Digital Audio Broadcasting (DAB), der Nachfolger des UKW-Radios, droht an enormen Kosten zu scheitern.
Pionier des „Radio-Highways“ zu werden ist kein billiger Spaß. Die Aufnahme in den ebenso exklusiven wie virtuellen Club ist kaum unter 800 Mark zu haben. Was seine Mitglieder eint, ist die Bereitschaft, dem Innovationsstandort Deutschland Zeit und Geld zu opfern.
So lassen sie mittels „irreversibler Einbauarbeiten“ – wie derzeit im Bundesland Bayern und in Berlin – ihr Automobil mit sperrigem elektronischem Gerät ausrüsten, welches wohl schon Ende nächsten Jahres reif fürs Deutsche Museum sein wird, pappen sich einen ,,Ich bin DABei“- Sticker an die Heckscheibe und verpflichten sich vertraglich, Marktforschern mehrmals ihre Meinung zum getesteten Multimedia-Komfort-Radio zu sagen.
Diese selbstlosen Avantgardisten der Informationsgesellschaft sind zudem an einem deutschen Rekord beteiligt: Nie zuvor liefen im Medien- und Telekommunikationssektor so viele Pilotprojekte nebeneinanderher wie bei Digital Audio Broadcasting (DAB), dem designierten Nachfolger der Ultrakurzwelle (UKW). In sämtlichen Bundesländern südlich des NDR-Sendegebiets hat der Probebetrieb mit Bürgerbeteiligung entweder begonnen oder steht kurz bevor.
Ob sich der Aufwand lohnt, ist höchst ungewiß. Denn vom Ausgang der Versuche in elf Bundesländern hängt nicht nur ab, wie der digitale, mit allerlei Extras aufgemöbelte Hörfunk aussehen soll, sondern ob er überhaupt deutschlandweit kommen wird. Daß auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) Anfang September der Startschuß zum Regelbetrieb fällt, wie es der Lobby-Verein DAB-Plattform auf seiner Internetseite trotzig behauptet, gilt nicht nur wegen der kurzen Vorlaufzeit als unwahrscheinlich.
Die Beteiligten sind heftigst zerstritten: Der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) etwa hat schon voriges Jahr dem Lobby-Verein die Gefolgschaft gekündigt, weil er seine Interessen nicht angemessen vertreten sah. Mehrere ARD-Vertreter sollen nur murrend an Bord geblieben sein, und auch die Telekom macht lediglich gute Miene zu einem Spiel, das ihr so gar nicht gefällt.
Es geht – natürlich – ums Geld. Der Fall erinnert fatal an das Gezerre um die Magnetschwebebahn Transrapid: Zehn Jahre nach Beginn der DAB-Entwicklung im Rahmen des Programms Eureka 147 und sechs Jahre nach Betreten der „Plattform“ sind die technischen Fragen im Detail ausdiskutiert; nur fehlt immer noch ein plausibles wirtschaftliches Konzept für das Radio in CD-Qualität, das zusätzliche Informationen huckepack vermitteln soll, einen individuell zugeschnittenen Verkehrsfunk beispielsweise.
Nutznießer von DAB wären nach derzeitigem Stand nur die Lieferanten der Infrastruktur: Hersteller von Radios und Sendeanlagen sowie die Telekom. Für Medienunternehmen bedeutet die Technik eine Investition ohne absehbaren Gewinn. Denn sie müßten DAB solange parallel zum bestehenden UKW-Netz betreiben, bis die Verbraucher ihre Radiowecker, Stereotuner, Ghettoblaster, FM-Walkmen und Autoradios verschrottet hätten und es deutschlandweit nur noch DAB-Radios gäbe. Bei den Werbeeinnahmen drohte während der großen Publikumswanderung ein Nullsummenspiel: „Digital statt analog“, stöhnt Karlheinz Hörhammer, Geschäftsführer der Antenne Bayern Hörfunkanbieter GmbH & Co., „heißt ja nicht, daß ich mehr Zuhörer gewinne.“
Da haben es die öffentlich-rechtlichen Anstalten schon besser. Seit der Erhöhung der Rundfunkgebühren am 1. Januar 1997 zahlt ihnen jeder Teilnehmer monatlich elf Pfennig DAB-Abgabe. Über die Laufzeit des neuen Gebührenstaatsvertrags, kalkulierte der VPRT, sind dies stattliche 174 Millionen Mark – eine Quasi-Subvention, auf die private Funkhausbesitzer neidisch schielen.
Zwar hat der Bayerische Rundfunk seinem privaten Konkurrenten Antenne Bayern für zwei landesweite Programme Platz gemacht. Die meisten deutschen Privatstationen sind aber auf Sender im sogenannten L-Band bei 1,4 Gigahertz angewiesen, die ihnen die Telekom nur bis zum Ende der Pilotphase kostenlos überläßt. Danach wird es teuer. Die Sendekosten sind wegen der geringeren Reichweite bis zu viermal so hoch wie im UKW-nahen Fernsehkanal VHF, über den DAB auch ausgestrahlt werden könnte.
Zudem macht die Telekom mit Vorleistungen Schluß. „Unentgeltlich werden wir keine weiteren Netze aufbauen“, versichert Eberhard Siebert, DAB-Chef des Telefonkonzerns, mit Blick auf die T-Aktionäre. Der Bonner Manager will auch nicht mehr mit Anbietern einzelner Programme verhandeln, sondern nur noch mit Institutionen, die komplette Programmblöcke buchen – aus technischen Gründen strahlen DAB-Sender immer sechs oder sieben Programme gemeinsam aus. Damit wären die Landesmedienanstalten gefordert, sich neben der Lizenzvergabe auch um die Vermietung der Sendeplätze zu kümmern.
Konfrontiert mit den subventionsverwöhnten öffentlich-rechtlichen Rivalen und der Telekom, die das unternehmerische Risiko lieber der Medienbranche überläßt, planen private Sender vorsichtig den Rückzug. Zwar macht Hans-Dieter Hillmoth, Fachbereichsvorsitzender der Hörfunkbetreiber im VPRT, keine klare Aussage zum digitalen Autoradio. „Keiner will DAB mit vollem Herzen anpacken“, windet sich der Chef des Frankfurter Senders Hitradio FFH. „Aber es will auch niemand den Anschluß verpassen“, wenn DAB eines Tages doch UKW ablöst.
Bisher ging es aber weiter nur darum, pro Testgebiet ein paar hundert Freiwillige zum Mitmachen zu überreden. Bisher fehlt eine griffige Formel, die Konsumenten ganz wild auf DAB macht. Der optionale Datenbildschirm etwa, der freie Parkplätze oder Staus anzeigt, ist kaum der Knaller: Er darf im Zweifelsfall nur vom Beifahrer benutzt werden, weil er den Fahrer ablenkt; auch über sinnvolle Inhalte grübeln DAB-Protagonisten und Testsponsoren wie Karstadt, Deutsche Bahn und ADAC immer noch nach.
Daher will Telekom-Mann Siebert DAB vor allem als HiFi-Audiosystem schmackhaft machen: „Der Empfang ist echt besser. Wer DAB gehört hat, will nicht wieder auf UKW zurück.“ Guten Sound für unterwegs bieten freilich auch mobile CD- und Minidisc-Player, und das sogar ohne Werbeunterbrechung.
Nicht einmal den vielzitierten Vorteil der DAB-Gleichwellentechnik – Hunderte von Kilometern fahren, ohne das Programm zu verlieren – lassen Kritiker gelten. Das biete, so Hitradio-FFH-Chef Hillmoth, ein moderner Analogempfänger mit RDS (Radio Daten System) schon längst. Bliebe DAB als Bestandteil der häuslichen Stereoanlage. Bislang hat allein Bosch Multimedia es gewagt, einen Empfänger zu konstruieren. Denn der Bedarf an klaren Tönen ist unklar: So war Digital Satellite Radio (DSR) von Eutelsat ein grandioser Flop.
Auf der Suche nach dem Markt, dem eine Technik wie DAB wirklich noch gefehlt hat, sind die Testpiloten von DAB-Plattform und Telekom inzwischen auf den Monitoren der novitätenhungrigen Computerfreunde gelandet. Zumindest technisch ist sichergestellt, daß sich Dateien im Internetformat und andere Multimedia-Softwareobjekte per Digitalrundfunk verbreiten und auf dem PC speichern lassen. Per Decoder könnten sogar geschlossene Benutzergruppen aktuelle Informationen drahtlos empfangen, die nicht für jedermann gedacht sind.
Für diesen Zweck hat die Telekom an alles gedacht: Wer freie DAB-Datenkanäle füllen will, kann diese Arbeit beim ostfriesischen Daten-Service Center (DSC) Norddeich in Auftrag geben; sollte die Nachfrage steigen, plant der Fernmelderiese weitere DSCs in den Regionen.
Als Empfänger präsentiert das Erfurter Ingenieurbüro Techno Trend auf der Cebit eine PC-Steckkarte mit einer Spezialantenne für den DAB-Empfang, die im Auftrag der Telekom gemeinsam mit dem Eifeler Elektronikhersteller Technisat entwickelt wurde.
Sollten bis dahin keine Internetseiten durch den Äther segeln, läßt sich die Steckkarte auch als digitaler Radiorecorder nutzen, der die DAB-Songs Bit für Bit auf die Festplatte des Rechners bannt – mit automatischer Titelverwaltung und integriertem Schnittstudio. Nur an HiFi-Boxen für den PC hat bisher niemand gedacht.
ULF J. FROITZHEIM
Sie sind der oder die 2678. Leser/in dieses Beitrags.