"In Bayern scheinen die Uhren immer noch anders zu gehen als im Rest der Republik."
"Amtsmüde Parteisprecher aller Couleurs dürfen sich jetzt wieder Hoffnungen machen, dass sie eines Tages mit lukrativen Posten bei öffentlich-rechtlichen Sendern belohnt werden."
Der aktuelle BJVreport befasst sich mit dem bevorstehenden Wechsel von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm auf den Intendantenposten beim BR und auch mit der Rolle von Dr. Wolfgang Stöckel, dem 1. Vorsitzenden des BJV und stellvertretenden Vorsitzenden des Fernsehausschusses im Rundfunkrat. Einige Informationen daraus sind durchaus diskussionswürdig. Immerhin brachte Stöckel…
"Im BR-Rundfunkrat hätten die unabhängigen Mitglieder gar keine Chance, einen Kandidaten durchzusetzen, der nicht CSU-nah sei, sagte Rundfunkratsmitglied Wolfgang Stöckel dem epd."
…etwas Transparenz in die Funktionsweise bayerischer Hinterzimmerdiplomatie. Der Redakteurin offenbarte er, im Rundfunkrat Mitglied eines Zirkels um den emeritierten Professor Hans Georg Lößl gewesen zu sein, der am Rosenmontag (also am 15. Februar 2010) im Münchner Bahnhofshotel seinen Favoriten Wilhelm beschnuppert (und dann dessen Wahl forciert) habe. Ex-Staatsdiener Lößl, der sich von Parteiämtern immer ferngehalten hat und deshalb als "Grauer" gilt, sieht sich selbst — wie im BJVreport nachzulesen — quasi als Erfinder des seine Staatsnähe bald abstreifenden Intendanten Wilhelm.
Als das konspirative Treffen stattfand, war allerdings schon seit zweieinhalb Wochen die Meldung der Augsburger Allgemeinen (AZ) in der Welt, die CSU wolle Wilhelm als Intendanten installieren. Die Teilnehmer hätten also wissen können, auf welch glattes Eis zu schreiten sie im Begriff waren. Wenn erst ernster genommene Medien das Thema aufgriffen, konnte es ungemütlich werden.
"Der Chef-Sessel im Münchener Funkhaus ist nun fest in der Hand der CSU. Schließlich muss die Macht medial abgesichert werden. Da geht es in der deutschen demokratischen Bundesrepublik nicht anders zu als in, sagen wir, Venezuela. Nur geräuschloser."
Daland Segler in der Frankfurter Rundschau über die Wahl des "schwarzen Smartie"
Besagte Meldung der Augsburger Kollegen steht übrigens bis heute online, ohne dass von irgendeinem Betroffenen — sei es Wilhelm, Lößl, Seehofer oder gar Stöckel — auch nur die kleinste Reaktion dokumentiert wäre, geschweige denn ein Dementi oder eine Gegendarstellung. (Alle sechs Online-Kommentare stammen von empörten Bürgern.) Lediglich der BJVreport geht indirekt auf die Causa ein. Das Blatt wertet aber das Seehofer-Zitat "wir haben mit dem Wilhelm noch Großes vor" als Kolportage, übergeht das Faktum, dass die AZ explizit die Verbindung zur Neubesetzung der BR-Intendanz herstellt, und fragt rhetorisch: "Ist also der Neue im Funkhaus ein im CSU-Amigosystem sozialisierter Karrierist, wie ein Blogger befürchtet?" Womit vermutlich auf diesen Text angespielt werden soll, der eigentlich nicht von Befürchtungen handelt, sondern von einem charakteristischen Lebenslauf und von der Verletzung von Grundprinzipien, die dem BJV früher einmal wichtig waren, durch dessen führenden Kopf.
Da nun aber ein evangelischer Theologe wie Lößl (im Gegensatz zu einem katholischen Bischof) ganz zweifellos immer die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit spricht, so Gott ihm helfe, lassen sich aus seiner im BJVreport zitierten Aussage, "diese Wahl hat kein Politiker lanciert", nur folgende vier Schlüsse ziehen:
1.) Lößl und der gleichfalls in der evangelischen Kirche engagierte Stöckel interessieren sich einen feuchten Kehricht dafür, was ein Provinzblatt aus dem katholischen Augsburg schreibt.
2.) Der bekennende Wilhelm-Fan Lößl hatte seine höchst eigene Idee, den jungen Mann zum Intendanten zu machen, den CSU-Granden schmackhaft gemacht, die sich nach der Wahlschlappe von 2008 nicht mehr getraut hätten, einen verfassungsdogmatisch so brenzligen Vorschlag selbst zu machen. Manchmal muss man eben die Christsozialen zu ihrem Glück zwingen.
"Dass ein Regierungssprecher Intendant wird, ist in der Geschichte des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks beispiellos."
3.) In Zeiten wie diesen ist es schnurz, ob die Gebühren zahlende Bevölkerung aus so einer Personalie zu Recht oder vielleicht sogar zu Unrecht den Schluss zieht, die ARD-Anstalten seien Beute der Parteien.
"Was würde die deutsche Presse — zu Recht! — schäumen, wenn der französische Präsident Nicolas Sarkozy oder gar der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi es wagen würden, ihren Regierungssprecher zum Chef eines Staatssenders zu machen?! Der Mann könnte eine schier übermenschliche Lichtgestalt sein, er hätte keine Chance."
4.) Der CSU-Informant der Zeitung hatte seine Informationen per Stiller Post kolportiert bekommen und war so dumm, seine Partei mit fremden Federn zu schmücken, statt einfach die Schnauze zu halten.
Für demokratieromantische BJV-Mitglieder, die in puncto "Staatsferne" noch altmodisch hohe Ansprüche hegen…
"Ein übergangsloser Wechsel vom Regierungssprecher zum Intendanten des BR kann nicht in Betracht kommen, wenn man es mit der Staatsferne ernst meint."
…ist nicht uninteressant, wie spitzfindig sich ihr 1. Vorsitzender herausredet. In der kurz vor der Intendantenwahl abgehaltenen Vorstandsklausur des BJV pochte Stöckel gegenüber ein paar aufmüpfigen Funktionären darauf, das ihm qua BJV-Ehrenamt 1995 zugefallene Mandat im BR-Gremium sei kein imperatives, ergo hätten für die Gesellschaftlich Relevante Gruppe der Journalisten nicht die Vorstandsmitglieder zu entscheiden, sondern er ganz allein. Damit hatte er formaljuristisch auch absolut Recht. Das von ihm in der Anstalt vertretene journalistische Fußvolk hat bei der Personalpolitik des BR tatsächlich nichts mitzureden. Wer das Sagen haben will, muss sich halt zur Wahl stellen. Jeder Verein hat die Führung, die er verdient.
Eine rhetorische Rücktrittsdrohung führte denn auch zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass keiner der Dissidenten auf den Posten von Stöckel scharf war, und so kam es, dass dieser als nach wie vor amtierender BJV-Chef im BJVreport in eigener Sache verkünden konnte, das sei doch alles nicht so schlimm: "Die Intendantenwahl beim BR lässt sich nicht mit dem Fall Brender vergleichen. Der ZDF-Verwaltungsrat ist in der Mehrheit politisch besetzt. Außerdem ging es in Mainz um eine Abwahl, keine Neuwahl."
"Die Berufung Wilhelms übertrifft noch die Causa Brender."
Daraus lernen wir:
Hätte Roland Koch einen ihm genehmen Chefredakteur erst nach Nikolaus Brenders Pensionierung installieren wollen, wäre das für Stöckel kein Grund zur Aufregung gewesen. (So lange konnte Koch nur leider nicht warten, sonst hätte er den ungeliebten Job als Hessen-MP ja noch eine ganze Weile weitermachen müssen.)
Dass der BR-Rundfunkrat mehrheitlich nicht "politisch" besetzt sein soll, dürfte freilich ein Missverständnis sein. Er wird nicht mehrheitlich von Parteien beschickt. Das war in Bayern auch noch nie nötig. Grau ist schließlich nichts als ein mehr oder weniger blasses Schwarz. Von blassgrünen oder rosagrauen Rundfunkräten war aus gutem Grund nie die Rede. Manche könnte man indes getrost als anthrazit bezeichnen.
"Wilhelm wählen heißt, die Staatsnähe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Gesetze der politischen Farbenlehre zu akzeptieren und fortzuschreiben."
P.S.:
Wenn die Wortmeldungen auf der gestrigen Mitgliederversammlung des BJV ein Maßstab sind, ist die Frage, wie staatsnah der BR-Chef ist und ob es wirklich nötig war, ausgerechnet mit der Stimme des BJV die Zustimmung für Ulrich Wilhelm über die 90-Prozent-Marke zu heben, Bayerns Journalisten keinen Streit wert.
P.P.S.:
Es ehrt die Redaktion des von Wolfgang Stöckel herausgebenen und von seinem Vize Wolfgang Soergel verantworteten BJVreport, dass sie immerhin eines der vier Rundfunkratsmitglieder interviewt hat, die nicht für Wilhelm votiert haben. Es ist die Schlagersängerin und Freie-Wähler-MdL Ute Singer alias Claudia Jung, die beherzt die Frage stellt, die im BJV nur hinter verschlossenen Türen diskutiert wurde: "Warum sollte man einen Mann wählen, der der Rundfunkanstalt nicht Staatsferne garantieren kann?" Ihre Antwort: Der "CSU-Mann Wilhelm" sei "nicht der Richtige für den Job".
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