Wenn man über Energie schreibt, kommt man ums Aktualisieren kaum herum. In der Mai-Ausgabe der brand eins hatte ich versucht, die Frage zu beantworten: "Woher nehmen wir eigentlich die Energie…", ergänzt um einige Relativsätze. Bei Redaktionsschluss war die Bohrplattform Deepwater Horizon noch heil, auch die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung für deutsche AKWe war offen.
Jetzt ist einiges klarer, aber keineswegs in einer Weise, die einen freuen könnte, und das nicht nur wegen des versauten Golfs von Mexiko, sondern auch wegen der deutschen Energie-"Politik". So ist endgültig klar, dass der Unionspolitiker mit dem besten Durchblick und der größten Weitsicht, Norbert Röttgen, nicht so darf, wie er will. Den volkswirtschaftlich fatalen Ablasshandel mit der Atomwirtschaft, Merkels Zugeständnis an Betonpolitiker wie Stefan Mappus und den verantwortungsflüchtigen Roland Koch, hat der Umweltminister schlucken müssen. Sofern sich die Bundesregierung denn halten kann, geht es nur noch um den Umfang des Laufzeitzuschlags, nicht mehr um die Frage, ob es beim Atomausstieg bleibt oder nicht. Der Ausstieg aus dem Ausstieg kommt.
Der schlechte Witz daran ist, dass jetzt eine angebliche Brückentechnik (klassische Nuklearenergie) begünstigt wird, dadurch aber auf wundersame Weise das gegenüberliegende Ufer just um die Länge des eingefügten Brückenstücks in die Ferne verschoben wird. Je länger die Atom-Brücke durch das gesetzgeberische Flickwerk wird, desto später amortisieren sich Investitionen in innovative, nachhaltige Energietechniken. Das von der Regierung abgesegnete Geschäftsmodell der Großkraftwerksbetreiber besteht nun einmal darin, möglichst wenig zu investieren und Anlagen, die heute niemand mehr so bauen würde, so lange wie möglich zu melken. Insofern sollten sich Gegner und Befürworter der Atomkraft eigentlich einig sein, dass es so nicht geht.
Wer an die Zukunft unserer Volkswirtschaft denkt, muss sich eigentlich — unabhängig davon, wie hoch er das "Restrisiko" eines GAUs in einem überalterten Druck- oder Siedewasserreaktor einschätzt — darüber klar werden, in welche neuen Energiegewinnungstechniken er investieren will. Das Problem für die ziemlich zentralistisch strukturierten RWEs, EONs und Vattenfalls ist, dass alles Neue auf kleinteiligere Energieerzeugung hinausläuft und darüber hinaus die Stromnetze wichtiger werden, die sie gerade aus Antitrust-, also ordnungspolitischen, Gründen abgeben mussten. Man muss keine Angst vor AKWen haben, um die Vorzüge einer dezentraleren Stromproduktion zu erkennen — siehe Bill Gates, Toshiba, Nuscale und Hyperion mit ihren nicht nur für uns Mitteleuropäer befremdlichen Konzepten rund um Mini-Kernreaktoren. Vernünftiger als dicke Meiler à la Krümmel oder Three Mile Island bis zum Auseinanderbrechen weiterzubetreiben, wäre das allemal (jedenfalls wenn man mit der kaltschnäuzigen Metzgerhundigkeit eines Versicherungsmathematikers die Risiken für Gesundheit und Leben quantifiziert, die mit Entscheidungen für oder gegen diese oder jene Energiepolitik verbunden wären).
Die Köche und Mappusse dieser Republik, die vielleicht nicht aus bösem Willen, dann aber aus Ignoranz oder Inkompetenz an alter Technik festhalten, täten gut daran, sich mal unvoreingenommen anzuhören, was ihr Parteifeind Norbert Röttgen zu sagen hat. Der ist kein U-Boot der Grünen in der CDU, sondern vertritt genau die Positionen, die man von einem christlichen Demokraten erwarten darf. Wer eine wissenschaftlichere Quelle bevorzugt als einen oft zum Taktieren gezwungenen Minister, kann sich ja mal bei der DLR schlau machen. Die staatliche Forschungseinrichtung hat — wenn auch für Greenpeace — auf Basis neuester Daten noch einmal durchgerechnet, wie schnell die Menschheit sich vom Uran ganz und von fossilen Brennstoffen weitgehend unabhängig machen könnte. Politiker, die dagegen ernsthaft anreden wollen, brauchen schon verdammt gute Argumente. Jedenfalls bessere, als sie bisher von Mappus zu hören waren.
Der BDI hatte zwar von Kölner Volkswirten ausrechnen lassen, dass die vereinbarten Klimaziele mit 60 Jahren AKW-Laufzeit preisgünstiger erreichbar wäre als mit dem Ausstiegsszenario; der Studie liegen etliche Prämissen zugrunde, über die man streiten kann, diverse Unwägbarkeiten wurden der Einfachheit halber ausgeblendet. Dahinter steht aber kein mutiges Wachstumsprojekt, sondern ein defensiver Ansatz. Ein größeres Angebot an CO2-freiem Atomstrom nützt weder der Umwelt noch einer Volkswirtschaft, die innovative Technik exportiert, denn andere Abgas-Emittenten bekämen dann ihre Zertifikate billiger, so dass sie weniger Anreiz hätten, in umweltschonendere Produktionsverfahren zu investieren. Gleichtzeitig würde die Refinanzierung von "Renewable"-Anlagen erschwert, die Nachfrage sinken, Skaleneffekte später erreicht.
Soll der Umbau unserer Energie-Infrastruktur, der ein gigantisches Konjunkturprogramm wäre, tatsächlich gelingen, sind innovative Start-Ups und emsige Mittelständler gefragt — und Manager in den großen EVUs, die bereit sind, ihre Unternehmen im Sinne Schumpeters kreativ zu zerstören, also neu zu erfinden. BP lernt gerade auf die harte Tour, was es heißt, wenn man gezwungen wird, über die Grundlagen des eigenen Geschäfts nachzudenken, und der Shell-Chef Peter Voser hat es sich gerade aus dem Mund von Röttgen anhören müssen (Süddeutsche Zeitung, 11. Juni 2010, "Störfall im Umspannwerk").
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