Und er kommt zu dem Ergebnis:
„Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil“, so schließt er messerscharf,
„nicht sein kann, was nicht sein darf.“Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache
Wenn eine Zeitung sich einmal auf die Linie festgelegt hat, die unüberlegten Warnungen vor Gurken, Tomaten und Salat nicht mit der gebotenen Distanz zu behandeln, sondern sie unkritisch wiederzukäuen, dann darf sie Entwarnungen natürlich nicht ernst nehmen. So kann sie gleichzeitig sich selbst treu bleiben und mit etwas Verspätung die kritische Attitüde zeigen, die man von ihr erwartet.
„Ehec und kein Ende: Salat, Gurken und Tomaten sollen plötzlich wieder harmlos sein. Die Unsicherheit bleibt“
So untertitelt die Panorama-Redaktion der SZ heute ihren Bericht, in dem sie die Schuldsvermutung gegen die verdächtigten Gemüsesorten mühsam aufrecht erhält. Die Fotos der Delinquenten kommen mit einer ähnlich zweiflerisch-spöttischen, freilich von keinerlei Recherche gestützten Bildunterschrift daher:
„Drei Unschuldige und eine Täterin? Tomate, Gurke und Salat wurden am Freitag vorerst freigesprochen, allein die Sprosse soll Ehec übertragen.“
Dazu passend mokiert sich der Wirtschaftsredakteur im München-Teil über Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart, der ausgerechnet in der SZ-Kantine zugab, rohes Gemüse zu essen:
„Etwas ungläubig registrierte das Publikum, dass Steingart weiter unverdrossen Salat, Tomate und Rohkost ist…“
Ja, wie kann er bloß, wo sich die SZ doch nach Kräften gemüht hatte, die erste allgemeine Verunsicherung noch zu schüren? (Handelsblatt-Leser wissen, dass die Düsseldorfer vergleichsweise rasch Antikörper gegen die mediale Hysterie entwickelt hatten und seitdem breit recherchieren und recht ausgewogen berichten.)
Bedarf es da noch der Erwähnung, dass die SZ-Redaktion nichts daran auszusetzen hat, dass Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann den Sprossen-Gärtnerhof von Bienenbüttel als „Spinne im Netz“ bezeichnet, ganz so, als habe der lediglich fahrlässig handelnde Bio-Gärtner sich genüsslich am Blut seiner Opfer laben wollen? Oder daran, dass die Politik im Zuge einer kollektiven Branchenhaftbarkeit vor dem Verzehr von Sprossen jedweder Herkunft warnt, weil in EINEM Betrieb, der längst desinfiziert und geschlossen ist und dessen Produkte gar nicht mehr im Handel sind, eine Charge verseucht war? Das ist etwa so, als hätte man damals im Flüssigei-Skandal nicht nur voreilig vor Birkel-Nudeln, sondern vor allen Eiernudeln gewarnt. De facto wird die wirtschaftliche Todesstrafe über Firmen verhängt, die keinen Anlass zu Verdächtigungen geliefert haben.
Eine verantwortliche Redaktion, die nicht den Hysterikern unter ihren Lesern nach dem Mund redet, hätte betont, dass die Politik ihrer Vorsorgepflicht vollauf genügen würde, wenn sie die Hygienepraxis der Sprossenzüchter in kurzen Abständen akribisch überprüfte und gegebenfalls neue Vorschriften erließe, die Vorfälle wie in Bienenbüttel verhindern. Präventiv und ohne sich um die Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidungen zu scheren, unbeteiligte Unternehmen zu ruinieren, ist ein Armutszeugnis für Politiker, die auf ihre Bereitschaft zur Schadensbegrenzung einen Eid geschworen haben.
P.S.:
Die amtlichen Verbraucherschützer rechtfertigen sich jetzt, der Fehlalarm habe zumindest indirekt doch Schlimmeres verhindert, da die Leute Sprossen fast nur auf dem Salat äßen. So verriet der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, Andreas Hensel, wofür seine Behörde wirklich da ist – nämlich nicht dafür, wie der Name suggeriert, Risiken wissenschaftlich fundiert zu bewerten, sondern: „Wir sind dafür da, um zu warnen.“ Hensel weiter: „Viele Verbraucher haben die“ …irrtümliche (Anm. d. Bloggers)… „Warnung befolgt. Das hat viele Menschen davor bewahrt, krank zu werden.“
Die Idee ist ausbaufähig: Sollte sich eines Tages, sagen wir, ein Tourist in einem Allgäuer Bergdorf an verdorbener Butter infizieren, kann man bundesweit vor dem Verzehr von Brot warnen. Die Bäcker träfe zwar keinerlei Schuld. Aber wenn niemand mehr sich Butterbrote schmieren kann, infiziert sich niemand an der auf dem nicht verkauften Brot nicht verschmierten Butter.
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