Die Süddeutsche Zeitung berichtet über einen Rechtsstreit, der offenbart, wie tief manche Medien gesunken sind (falls sie im speziellen Fall nicht schon länger dort unten waren, wo man sie jetzt sieht) – und welche Ahnung manche Richter von Presserecht und -kodex haben. Nämlich so gut wie keine.
Es geht um einen gealterten Münchner Stenz namens Roberto B., der seit Jahrzehnten in Symbiose mit der Tratschpresse lebt. Der hat, wie sich das für alte Stenze gehört, eine Freundin, die so jung aussieht, dass nur B.’s dunkler Teint ihn vor dem Verdacht bewahrt, er habe seine Enkelin gebeten, Opa vor die Kameras zu begleiten. Im Prozess geht es um eine Scheintrauung, die Roberto B. exklusiv für das Magazin B. aus dem Verlag von Hubert B. inszenierte, über die aber auch die Wochenzeitung B. aus dem Verlag von Friede S. ganz frech berichtete. Roberto B. fordert deshalb vom Verlag S. Geld.
Im Bericht der SZ steht nun folgender Satz, der die Verkommenheit dieses Teils unserer Zunft recht gut auf den Punkt bringt:
„So hätten etwa Vertragspartner, wie diverse Hotelresorts, Brautmode- und Ringe-Lieferanten, ein bekannter Friseur oder die Fluglinie vergeblich auf ihre Bezahlung in Form von Erwähnungen in der Bunten gewartet. Aus Verärgerung über den BamS-Bericht habe die Illustrierte nämlich diese Textpassagen gestrichen.“
Ekkehard Müller-Jentsch, SZ vom 26. Juni 2012
Leider behandelt die SZ den Casus so lapidar, als sei so etwas normal und kein Aufreger. Vielleicht ist es das ja. Dass der redaktionelle Teil der Illustrierten de facto als Werbefläche vermarktet wird – wenn auch nur indirekt über das bezahlte Objekt der „Berichterstattung“ – ist aber nicht nur grob sittenwidrig. Die offenkundige Mitwirkung der Redaktion (hätte niemand sie verärgert, hätte sie das Spielchen dem Bericht zufolge mitgemacht) verstößt beispielsweise auch gegen Art. 9 des Bayerischen Pressegesetzes:
„Bei Zeitungen und Zeitschriften müssen Teile, insbesondere Anzeigen- und Reklametexte, deren Abdruck gegen Entgelt erfolgt, kenntlich gemacht werden.“
Dass ein Entgelt an Roberto B. fließen sollte, ist ja immerhin jetzt gerichtsnotorisch. Der Verlag hätte zwar B.s Vertragspartnern keine Rechnungen schreiben können. Er genoss aber einen geldwerten Vorteil, weil das (seinerseits unappetitliche) Honorar an das Objekt der Berichterstattung dank der Co-Sponsoren nur einen kleinen Teil der unverschämten Gesamtforderungen des Selbstdarstellers an seine Geldgeber ausmachte: Es waren laut SZ nur 6000 Euro. (Zur Einordnung: Freie Journalisten arbeiten oft zwei Monate für das Geld, wenn nicht länger. Man sieht, wofür Geld da ist und wo die Prioritäten liegen in dem Verlag, dessen langjähriger Chef soeben als Präsident des Verlegerverbandes wiedergewählt wurde.)
Es handelte sich aber nicht nur um die Missachtung eines Gesetzes, sondern auch um Verstöße gegen die Berufsethik:
„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“
„Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“
Pressekodex, Ziffer 2
Die Sorgfaltspflicht – bei einem Reklame-Märchen geschenkt.
„Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.“
Pressekodex, Ziffer 4
Lauterkeit sieht anders aus – auch wenn es hier nur Unlauterkeit den Lesern gegenüber ist. Diese Ziffer lässt sich durchaus so lesen, dass sie nicht nur Witwenschüttlern gilt, sondern allen, die nicht sauber arbeiten.
„Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.“
Pressekodex, Ziffer 6
Siehe oben. Scheckbuchjournalismus mag legitim sein, wenn man einem Whistleblower, der seinen Job riskiert, ein Honorar zahlt. Hier ist er schlicht unanständig.
„Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.“
Pressekodex, Ziffer 7
Das ist der Hauptpunkt. Klare Missachtung. Wenn es dafür keine Rüge gibt, wofür dann?
„Springer-Anwalt Ulrich Amelung machte klar, dass die BamS sich gegenüber der unmittelbaren Konkurrenz so nicht benachteiligen lassen wollte.“
aus dem SZ-Bericht
Damit hätte auch BamS eine Rüge verdient.
„Der Vorsitzende Richter schlug vor, den ausufernden Streit mit einem vierstelligen Betrag beizulegen sowie einer freundlichen Berichterstattung über Roberto Blanco – das sei doch „interessanter als ein Gerichtsurteil mit Berichtigungen über den Schnee von gestern“.“
aus dem SZ-Bericht
Zum Thema Deal im Gerichtssaal habe ich schon einiges gelesen. Hierzu fällt mir aber nichts mehr ein. Seit wann kann man bei sittenwidrigen Verträgen auf Erfüllung oder Schadenersatz klagen? Die Klage hätte abgewiesen gehört. Statt dessen macht der Richter einen Vergleichsvorschlag, der auf einen erneuten Verstoß gegen den Pressekodex, die guten Sitten und das Pressegesetz hinausliefe. Und eigentlich auch auf eine Missachtung der Pressefreiheit. Aber die haben die Streitparteien schon derart misshandelt, dass sie sich nicht mehr mit einem Mindestmaß an Anstand darauf berufen könnten.
Sie sind der oder die 4581. Leser/in dieses Beitrags.
Und das denken sich andere:
http://www.reticon.de/nachrichten/so-funktioniert-journalismus_3017.html