Die Süddeutsche Zeitung stellt ihren Gastautor Leonard Dobusch (35) als Juniorprofessor für Organisationstheorie an der FU Berlin vor, der zur Urheberrechtsregulierung „forscht“ und bei netzpolitik.org bloggt. Nun ist das Urheberrecht wirklich nicht das natürliche Biotop von Organisationstheoretikern. Vielleicht erklärt das, warum Dobusch immer wieder durch Texte auffällt, die mehr mit dem Wunschdenken von erklärten Feinden des Urheberrechts zu tun haben als mit der Realität. Kürzlich polemisierte der Herr Professor anlässlich der Aufregung um das Thema Panoramafreiheit also nun „wider den Urheberrechts-Extremismus„*, den er zu erkennen glaubt, und dabei hobelte er mal wieder an den Fakten herum – frei nach dem Grundsatz „was nicht passt, wird passend gemacht“.
* Wie perfide die Wortschöpfung ist, erkennen Sie übrigens, wenn Sie den Urheber mal weglassen.
Zum Beispiel behauptete „Leonido“, bei der zu diesem Zeitpunkt anstehenden Sitzung des EU-Parlaments werde „über das Urheberrecht abgestimmt“. In Wahrheit ging es nur um die Verabschiedung eines Berichts der Piraten-Abgeordneten Julia Reda, zu dem mehr als 500 Änderungsanträge vorlagen. Dobusch erweckte indes den falschen Eindruck, das Urheberrecht in Europa werde sich durch die Abstimmung ändern. Nun ist der Mann wie gesagt kein Jura-Professor – und leider auch kein Politologie-Professor. Das entbindet ihn allerdings nicht von der Pflicht des Wissenschaftlers zur intellektuellen Redlichkeit. Eine so irreführende Verkürzung würde man bei der Bild-Zeitung vielleicht noch mit einem Schulterzucken übergehen; ein Hochschullehrer darf sich das nicht erlauben.
Es kam aber noch schlimmer – so schlimm, dass man sich fragen kann, ob der Gastautor keine Ahnung hat oder ob er vorsätzlich Lügen in die Welt setzt, um sein Publikum zu manipulieren:
„Dabei könnten die Parlamentarier dafür sorgen, dass man künftig keine Bilder und Videos mehr von Gebäuden und Kunstwerken im öffentlichen Raum machen darf, ohne beim Architekten oder Künstler um Erlaubnis fragen zu müssen. Genau das möchte nämlich der französische EU-Abgeordnete Jean-Marie Cavada.“
Es ging nie ums Fotografieren, sondern um das Veröffentlichen von Fotos. Bei Dobuschs demagogischer Darstellung sieht man förmlich den Flic vor sich, der vor dem Eiffelturm auf den Touristen zustürmt, ihm das Fotohandy aus der Hand reißt und zwecks Erstellung einer Strafanzeige die Personalien aufnimmt. Das Fotografierverbot ist das Äquivalent zum Tofuhühnchenrezept bei Acta oder zum Chlorhähnchenimport bei TTIP: ein bunter Heißluftballon. Aber Dobusch sattelt auf seine faktenferne Interpretation des Antrags sogar noch ein affirmatives „Genau das“ drauf. Von wissenschaftlicher Genauigkeit fehlt hier leider jede Spur.
Sodann stellt L.D. fest, dass Cavadas Änderungsantrag wohl keine Mehrheit bekommen werde. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiterzugeifern, als hätte er gerade nicht den Alarm selbst abgeblasen:
„Doch selbst, wenn die Vorschläge Cavadas also nicht in EU-Recht gegossen werden sollten, stehen sie exemplarisch für den Urheberrechts-Extremismus, der besonders die europäische Rechtslage prägt.“
Noch mal zum Mitdenken: Er beweist den von ihm postulierten Extremismus mit einem chancenlosen Änderungsantrag, den es ohne den unausgegorenen Ursprungsantrag im Bericht der Piratin Reda nie gegeben hätte. Die überwältigende Mehrheit, mit der Cavadas Antrag abgeschmettert wurde, führt die steile These Dobuschs ad absurdum, dass die Rechtslage (!) von einem „Urheberrechts-Extremismus“ geprägt sei. Ein groteskeres Exempel hätte er nicht finden können.
Obwohl also für den Gastautor wie für die SZ-Redaktion absehbar war, dass der wichtigste verbale Schuss nach hinten losgehen würde, polterte er fröhlich weiter:
„Schon vor dem Internet am Smartphone war das Urheberrecht über die Maßen restriktiv und bevorzugte eine kleine Minderheit von Rechteinhabern auf Kosten der Allgemeinheit.“
Dass das nur Bullshit sein kann, ergibt sich wiederum bereits aus der faktenfreien Begründung:
„Wie sonst ist eine Ausdehnung urheberrechtlicher Schutzfristen von 14 auf mittlerweile in der Regel über 100 Jahre erklärbar?“
Ja, wie bloß? Die in Kontinentaleuropa übliche Schutzfrist beträgt schon seit Generationen 70 Jahre ab dem Tod des Urhebers. So, wie es unser schnoddriger Gastautor hinrotzt, wird jeder Laie denken: „Was, bisher reichten 14 Jahre?“ Nein, es waren schon bisher 70 Jahre bei einem Autor, den gleich nach der Veröffentlichung der Schlag trifft, und 150 Jahre bei einem Autor, der mit 20 seinen Erstling herausbringt und 100 Jahre alt wird.
„Eine kleine Minderheit profitierte also – und der Nachteil für die Mehrheit war nicht groß genug für wirksame Proteste.“
Wenn die Urheber etwas von der Vergütung hatten („profitierte“ wirkt hier wie ein sozialistischer Kampfbegriff) und der Mehrheit kein nennenswerter Nachteil entstand, handelte es sich wohl um einen fairen Interessenausgleich. Von den seit Jahrzehnten üblichen Pauschalregelungen, die Privatkopien ja gerade zulasten der Urheber legalisieren, erwähnt Dobusch deshalb lieber mal nichts, um sich sein schönes Kartenhaus nicht flachzulegen. In der vordigitalen Zeit, auf die er sich bezieht, gab es – wie er selbst andeutet – keinen Streit über Leerkassettenabgaben oder die Kopiergeräte-Betreiberabgabe für Copyshops. Er hätte aber offenbar trotzdem gerne „wirksame Proteste“ gesehen. Die scheinen für ihn aus Prinzip erstrebenswert zu sein. Warum auch immer.
„Seit digitale Technologien aber praktisch jedem die weltweite Verbreitung von Fotos und Videos ermöglichen, ist das Urheberrecht endgültig nur noch eine einzige Einschränkung individueller Freiheit.“
Das Gegenteil ist der Fall. Da sich jeder Facebook-etc-Nutzer diese Freiheit einfach nimmt, ist das endgültig eine einzige Benachteiligung der Urheber. 99,9x Prozent der Verstöße bleiben folgenlos. Selbst wenn ein paar Promille derer, die auf die Rechte der Urheber auf Deutsch gesagt scheißen, tatsächlich Ärger bekommen, ist das sicherlich keine „einzige Einschränkung individueller Freiheit“, und schon gar nicht endgültig. Dobusch agitiert wie ein Stammtischbruder – und verzerrt die Wirklichkeit ähnlich grob wie ein Pegidist, der von einer Islamisierung des Villenviertels von Dresden warnt.
Recht hat er allerdings mit diesem Satz (den er leider nicht verstanden hat):
„Ein zentrales Merkmal von offenen, liberalen Gesellschaften ist es, dass Verbote als Ausnahmen daherkommen.“
Ausnahmen braucht es immer dann, wenn es widerstreitende Interessen gibt. Privatkopien sind grundsätzlich erlaubt, nur die Weiterverbreitung von Werken ist verboten. Ein Schuh wird auch hier draus, wenn man Dobuschs Argumentation umdreht: Leute wie er würden gerne den Autoren (und ihren Erben) verbieten, Geld mit der Nutzung ihrer Werke zu verdienen. Künstlerische Tätigkeiten in die Hobbysphäre zu verbannen, käme einem Berufsverbot (oder einer Enteignung hinsichtlich der Tantiemen) gleich – und das geht in einer offenen, liberalen Gesellschaft nicht.
Ohne jede akademisch redliche Beweisführung behauptet Dobusch zudem über den Schutz der Werke durchs Urheberrecht:
„Schon immer waren mit diesem weitreichenden Schutz Gefahren für kreative Prozesse und freie Meinungsäußerung verbunden.“
Da diesem Organisationstheoretiker offenbar die Grundlagen der Politikwissenschaft fremd sind, begreift er nicht, dass auch hier das genaue Gegenteil stimmt. Das Urheberrecht sichert die wirtschaftliche Grundlage der freien Presse (im Sinne von Medien). Es muss möglich sein, Journalismus und Kunst hauptberuflich zu betreiben, sonst ist die Gesellschaft darauf angewiesen, dass diejenigen, die es sich finanziell erlauben können, diese Funktionen als Amateure ausüben. Meinungsfreiheit und künstlerische Betätigung würde so zum Privileg der Reichen. Was das heißt, sollte selbst ein fachfremder Wissenschaftler nachvollziehen können.
„Schranken wie jene für Zitate und Parodien sollen deshalb verhindern, dass das Urheberrecht zur Unterdrückung von kritischer Auseinandersetzung mit bestehenden Werken zweckentfremdet wird.“
Diesen Zweck erfüllen die Schranken ja auch. Wo ist das Problem?
Nun folgt ein Exkurs über den Unterschied zwischen Idee und Werk, der im Kontext völlig irrelevant ist. Auch darüber, ob ein Facebook-Teilender mit Andy Warhol in einem Atemzug zu nennen sein könnte, braucht man eigentlich nicht ernsthaft zu reden. L.D. tut es dennoch.
„Im 21. Jahrhundert sind wir nämlich alle Appropriationskünstler.“
Wieso?
„Private Fotos und Videos landen zunehmend auf kommerziellen Plattformen wie Youtube, Facebook und Flickr. Tausende Menschen tanzen zu Harlem Shake, Happy und Gangnam Style, nur um das Ergebnis auf Video zu bannen und ins Netz zu stellen.“
Aha, das ist also Kunst. Und ich dachte, das kann weg. 😉
Im Ernst: Kein Mensch verbindet damit einen künstlerischen Anspruch. Selbst ein gemeiner Plagiator hat mehr Verständnis von urheberschaftlichen Dingen als jemand, der nur einfach etwas „teilt“. Ganz ehrlich: Mir sind Laien, die unbedarft ein Foto oder einen Text teilen, an dem ich die Rechte habe, weitaus näher und sympathischer als Akademiker, die ihre von keinerlei Sachverstand getrübten Vorstellungen mit dem vermeintlichen Gütesiegel ihres universitären Status unters Volk bringen.
Abschließend kommt Dobusch auf einen alten Piratenhut zurück – Mash-ups und Klangcollagen – und versucht den Bogen zum Konstrukt des „Fair Use“ im US-Copyright zu schlagen. Kennte er sich damit aus, so wüsste er, dass die Regeln in den USA so schwammig sind, dass regelmäßig dazu prozessiert wird, das Gesetz also mitnichten…
„…dem Urheberrechtsextremismus der alten Gesetze und der Rechteinhaber einen Riegel vorschiebt.“
Aber was will man von einem vermeintlichen Vordenker erwarten, der immer Richtung Silicon Valley schielt und es an kritischer Distanz gegenüber den Interessen der dortigen Werbekonzerne vermissen lässt? Ich wüsste jedenfalls eine wirklich dankbare Aufgabe für einen Organisationsforscher: herauszufinden, wie die Lobbyisten solcher Konzerne es organisatorisch anstellen, ihre Produkte (also die User: „You are the product“) für ihre Interessen einzuspannen.
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Lieber Ulf,
toller Text. Kleiner Tipp: Schick‘ den doch mal bitte als leichtgekürtzen Leserbrief an die Süddeutsche.
Gruß,
Stefan