Internet der Wunderdinge

„Wissen“ nennt sich die Rubrik der Süddeutschen Zeitung, in der es um Forschung und Innovation geht. An diesem Donnerstag widmet sich der Seitenaufmacher dem „digitalen Dorf“, also einem Widerspruch in sich. In Deutschland ist das Dorf der Ort, an dem Digitalisierung am aufwendigsten und damit am unwahrscheinlichsten ist. In dörflich strukturierten Regionen lohnt sich der Ausbau der Infrastruktur oft weder für Festnetz- noch für Mobilfunkbetreiber. Der Autor der Wissensseite lässt erkennen, dass er das eigentlich auch weiß. Dennoch schreibt er ausführlich über die nette Utopie des digitalisierten Dorfs – über Wunschdenken von Wissenschaftlern und Technokraten. Dieses kulminiert im letzten Absatz:

„Heute nutzen weltweit drei Milliarden Menschen das Internet. Für das Internet der Dinge rechnen Experten aber mit 50 Milliarden Gegenständen, die Daten ins Netz schicken werden“, sagt Trapp. Auch in der smarten Stadt könnte die Internet-Bandbreite dann knapp werden.

Das ist leider grober Unfug, und das nicht nur, weil für viele meiner Kollegen jeder als Experte durchgeht, der solche steilen Prognosen nach der Formel Pi mal Kristallkugel abgibt. (Selbst wenn eines Tages 50 Milliarden Gegenstände online sein sollten: Die allermeisten werden nur innerhalb des Hauses kommunizieren und nicht Daten „ins Netz schicken“, weil es dafür keinen sinnvollen Business Case gibt und es kein Normalverbraucher will.)

Okay, mancher wird mein Urteil zu hart finden und mich besserwisserisch, aber wenn man Wirtschaftsgeografie studiert hat und zudem die Entwicklung der IT seit gut 30 Jahren berufsmäßig verfolgt, darf man poltern, wenn einem spekulativste Hypothesen zu dieser Thematik als „Wissen“ serviert werden. Tatsächlich schreibe ich mir schon seit der Öffnung des Telekommunikationsmarkts Ende der Neunziger die Finger fusselig mit Warnungen vor der digitalen Spaltung unseres Landes, und ich kann auch abschätzen, von welchen Datenmengen beim Internet der Dinge die Rede ist. Man muss das nicht vertiefen, nur so viel: Bandbreite kann in der Stadt beliebig skaliert werden, wenn man in Glasfaserkabel investiert, und Engpässe werden definitiv nicht durch „intelligente“ Haushaltsgeräte ausgelöst, sondern bestenfalls durch Ströme audiovisueller Daten jedweder Form, von Computerspielen und großen Video-Cloud-Uploads bis zu Telemedizin.

Das Thema an sich ist allerdings sehr wichtig. Es gehört nicht in das Ghetto der Wissenschaftsseiten, auf denen irgendwelche Professoren von ihren Projekten erzählen dürfen, die unter Förderbedingungen funktionieren mögen, aber in der Praxis am Geld scheitern werden. Es gehört endlich auf die politische Agenda – und in der Zeitung dementsprechend auf die Titelseite. Schnelles Internet ist kein Luxus und kein Spielzeug für gelangweilte Millennials. Es gehört zur Grundausstattung eines modernen Industrielandes – und zwar flächendeckend mit Festnetz bis an die Ränder geschlossener Ortschaften, per Funk bis in den letzten Winkel, an den sich Menschen (Rettungskräfte!) verirren. Orte, an denen es fehlt, bluten mit der Zeit aus, als gebe es keinen Strom mehr, kein Wasser, keine Müllabfuhr. Nein, das ist keine Polemik. Das ist die Realität. Wir bekommen Geisterdörfer und Geisterkleinstädte.

Mittlerweile sieht man sehr deutlich, wozu die Tatenlosigkeit lippenbekennender Wirtschafts-, Verkehrs-, Städtebau- oder Sozialminister hinsichtlich des Ausbaus der Breitbandnetze führt: Junge Menschen und Unternehmen sehen auf dem Land keine Perspektiven mehr, weil für die einen Lebensqualität, für die anderen die Wettbewerbsfähigkeit an einem zeitgemäßgen Internetzugang hängt. Diese beiden Faktoren verstärken einander sogar: Den Unternehmen gehen gleichzeitig die Kunden aus und die jungen Fachkräfte. Man hat die Netze auf dem Land nicht vorsorglich ausgebaut, als der Sog in die Städte noch nicht so groß war, und heute lohnt es sich weniger denn je. Dass man Breitband auf dem Land nicht braucht, wie der erste Chefregulierer Klaus-Dieter Scheurle glaubte, erwies sich als self-fulfilling prophecy. Das geht so: Bereits in der Phase, in der die qualifizierten Arbeitskräfte nur in die Stadt pendeln und dort noch nicht sesshaft sind, lasten sie die Mobilfunkmasten in den Dörfern tagsüber nicht aus; sie verstärken im Gegenteil die Nachfrage in der Stadt.

Selbst die besten Algorithmen und Apps können diese Spirale nicht umkehren. Sie können erst dann Wirkungen entfalten, wenn jemand in Vorleistung geht und die Dörfer durch eine gute Netzanbindung wieder attraktiv macht und damit auch die groteske Mieteskalation in den Metropolen bremst.

Das Internet der Dinge mag ja in der Lage sein, zu erkennen, wenn die demente Seniorin, die von der Dorfbevölkerung noch übrig geblieben ist, zu wenig trinkt. Es reicht ihr aber kein Glas Wasser und redet nicht mit ihr, um sie ans Trinken zu erinnern. Und RFID-Transponder – bitte!!! – ersetzen nun wirklich keine Glasfaserkabel oder Datenfunknetze. Sie machen allenfalls die Dateneingabe leichter. Merke: Wo es keinen Internetzugang gibt, da gibt es auch kein Internet der Dinge. Also ruft auch keine Software den ambulanten Pflegedienst.

Da wir hier von der gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch notwendigen Renaissance des ländlichen Raums reden: Es wird Zeit, den Konstruktionsfehler der Datennetze zu beheben, ihre Asymmetrie, die im Kürzel ADSL steckt. Teleheimarbeit sollte einmal strukturschwachen Räumen Entwicklungschancen bringen, aber für heutige Anforderungen sind die Bandbreiten nur in der Stadt einigermaßen zufriedenstellend. Ländliche Netze sind schon in Empfangsrichtung sehr langsam, in Senderichtung noch viel langsamer. ADSL war halt nie für echte Zwei-Wege-Kommunikation ausgelegt. Die Technik degradiert das Internet zum interaktiven Fernsehen; der Upstream ist nur ein Rückkanälchen zum Server, der normalerweise in der Großstadt steht.

Leider hat bisher niemand durchgerechnet, was es unsere Volkswirtschaft und die Bürger kostet, ganze Orte vom Fortschritt – besser gesagt: von der Gegenwart – abzuhängen und den Haus- und Grundbesitzern in den überlaufenen Großstädten Windfall Profits zuzuschanzen.

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2 Antworten auf „Internet der Wunderdinge“

  1. Du weißt doch, mein Kühlschrank ist so alt, den toppt nur der Bosch von Axel Hacke. Und wenn er ersetzt wird, dann nur durch einen iFridge mit iOS 25.02, den ich mit meinem iPad 17 und meine Applewatch 13 steuere, während mich mein iCar 4 chauffiert. 😉

  2. Die Unsymmetrie der Netze hat ja nun auch zu einem interessanten Gerichtsurteil geführt:

    https://www.wvr-law.de/ag-stuttgart-bad-cannstatt-13-08-2015-8-c-102315/

    Mich störte das imemr schon, jeder Upload ist eine Riesen-Aktion. Aber das ist natürlich politisch gewollt, man soll halt auch im Internet passiv TV konsumieren und nicht aktiv agieren. Das Internet zum Rundfunk zu degradieren bringt ARD & ZDF Geld (für die Internet-Rundfunkgebühr) und Macht.

    Aber bist Du sicher, daß Dein Kühlschrank und Deine Spülmaschine nicht doch irgendwann Pornos aus dem Netz laden? :P. Oder auch nur das neueste Windows-Update, das dürfte sogar von der Datenmenge her schlimmer ausfallen…

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