Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat schwierige Jahre hinter sich. Pünktlich zu seiner 70-Jahr-Feier vorige Woche wurde er aber ein Problem los, das ihm seit 2004 wie ein Betonklotz am Bein hing. In der Hauptstadtregion, also Berlin mit Brandenburg, gibt es nun wieder einen starken Landesverband, nicht mehr zwei, die mit jeweils halber Kraft auftraten und sich gegenseitig Konkurrenz machten. Die junge Generation trat auf dem Verbandstag in Berlin nicht nur sehr selbstbewusst auf, sie ist auch im neuen Bundesvorstand vertreten. Bei den Freien geht der DJV in die überfällige Offensive. Nicht zuletzt haben sich ein paar Persönlichkeiten verabschiedet, die sich schon lange nicht mehr durch konstruktive Mitarbeit hervorgetan hatten, sondern nur noch durch persönliche Schmähungen und intrigantes Verhalten. Die Voraussetzungen sind also gut, um gemeinsam und kollegial etwas zu erreichen. Hierzu noch ein paar Anmerkungen von einem, der den Laden kennt.
1. Berlin und Brandenburg
Es ist korrekt, dass die Ereignisse in der Hauptstadtregion, die vor 15 Jahren den DJV erschütterten, uns Mitglieder anderer Landesverbände Hunderttausende von Euro gekostet haben. Das klingt viel, aber unter dem Strich entfiel auf das durchschnittliche DJV-Mitglied nicht einmal ein Monatsbeitrag. Pro Monat waren wir an diesem Solidarakt mit einem niedrigen Cent-Betrag beteiligt. Man könnte von einem Berlin-Zehnerl sprechen, das ab sofort nicht mehr nötig ist. (Wer es genauer wissen will, muss die Schatzmeisterin oder die Kassenprüfer fragen.)
Das kann man wahrlich einen glimpflichen Ausgang einer Affäre nennen, die mit dem Missbrauch von Vertrauen begonnen hatte und von Satzungen ermöglicht wurde, die keine hinreichenden Sicherheitsvorkehrungen gegen böswilliges Verhalten enthielten. Man könnte es auch die Schattenseite des Föderalismus nennen: Aus Misswirtschaft in Berlin und Naivität in Potsdam erwuchs ein Problem, das dem ganzen DJV nachhaltig schadete – und zwar deshalb, weil traditionell die Landesverbände die Macht haben, anders als bei einer zentralistisch geführten DGB-Gewerkschaft.
Für diejenigen, die es nicht miterlebt oder schon wieder vergessen haben: Nach der feindlichen Übernahme der damaligen Landesvorstände und Geschäftsstellen in Brandenburg und Berlin durch eine Clique von Personen, die zum großen Teil keine Berufsjournalisten waren – zentrale Figur war der rechtsnationale Touristik-Kaufmann und Junge-Freiheit-Mitarbeiter Torsten Witt –, hatten wir auf einem Sonderverbandstag den Ausschluss dieser beiden Landesverbände beschlossen.
Dies war die ultima ratio: Wenn verbandsschädigendes Verhalten von den Vorständen vereinsrechtlich autarker Landesverbände ausgeht, kann der DJV leider keinen Ausschluss dieser Funktionäre beschließen. Er hat als reiner Dachverband nicht einmal einen direkten Draht zu „seinen“ Mitgliedern. Wer sich als „DJV-Mitglied“ bezeichnet, ist in Wahrheit Mitglied in einem Landesverband, der seinerseits Mitglied im DJV ist. (Leider erwies es sich juristisch als faktisch unmöglich, einen Landesverband en bloc loszuwerden, egal wie sehr sich seine Führung danebenbenimmt. Aber die NATO kann ja auch nicht die Türkei rauswerfen.)
Mangels Alternative folgten wir (ich war seinerzeit als Delegierter dabei) dem Plan des damaligen DJV-Bundesgesamtvorstandes (des obersten Gremiums, dem neben dem Bundesvorstand auch die Landesvorsitzenden angehören). Dieser Plan sah vor, neue Landesverbände zu gründen und die Mitglieder der Altverbände zum Übertritt aufzufordern. Die anderen Landesverbände machten Geld für eine Anschubfinanzierung locker und verzichteten auf Darlehenszinsen. Zumindest in der Hauptstadt verlief der Übertritt allerdings schleppend. Eine starke Gruppe von Aktiven aus dem alten Berliner Landesverband war nicht bereit, ihren Verein kampflos der von außen gekommenen Clique zu überlassen – eine legitime Sichtweise. Sie rebellierte gegen die Machtübernahme und setzte sich schließlich durch. Leider war der DJV Berlin bereits zum Sanierungsfall geworden und bedurfte unserer Unterstützung. So entstand die absurde Situation, dass in einer Stadt zwei legitime Landesverbände des DJV konkurrierten, die beide ihre Existenz letztlich Finanzhilfen aus den anderen Bundesländern verdankten: Den Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB, hervorgegangen aus der Fusion der beiden neuen Verbände in Berlin und Brandenburg) hätte es ohne unsere Starthilfe nie gegeben, der DJV Berlin wäre ohne unsere Unterstützung an seinen Schulden erstickt.
Mehrere Anläufe zu einer Wiedervereinigung des DJV Berlin mit dem JVBB scheiterten. Erst dieses Jahr gelang der Zusammenschluss; kurz vor dem Verbandstag war die Sache mit dem Eintrag ins Vereinsregister perfekt. Und alle Beteiligten haben aus den Fehlern gelernt.
Happy end also? Nicht ganz. Noch existiert eine Art Zombie, der lebende Leichnam des Brandenburger Altverbandes. Nach der letzten bekannten Zahl, die schon mehrere Jahre alt ist, hat er noch 110 Mitglieder. Von seinen Funktionären ist auf der Website nur noch ein einziger zu entdecken, ein Diplomingenieur namens Klaus Dieter M. mit Postfachadresse in Weil am Rhein, der in Personalunion die Rollen des Geschäftsführers und des Vorsitzenden spielt. Von irgendwelchen Aktivitäten für seine Restmitglieder ist keine Rede mehr, sofern man von angeblichen Autorabatten absieht.
Dafür verbreitet der Herr Dipl.-Ing. sporadisch AfD-freundliche Aussagen und teilt Links zu Tichys Einblick. Wenn es noch eines Arguments für eine Reform des deutschen Vereinsrechts bedürfte, so wäre der selbsternannte DJV „Berlin-Brandenburg“ (der außer einer virtuellen Telefonnummer mit Berliner Vorwahl und einer Berliner c/o-Briefkastenadresse keinen erkennbaren Bezug zur Hauptstadt hat und dem DJV-Bundesverband noch einen fünfstelligen Betrag schuldet) eines der anschaulichsten Beispiele dafür, wie man heute noch mit einem e.V. dem Rechtsstaat eine Nase drehen kann.
In der Schweiz geht das übrigens auch. 2013 gründete der im französischen Raedersdorf gemeldete M. mit seiner deutschen Freundin Silvia S., wohnhaft in Binningen im Kanton Basel-Landschaft, den „DJV Medien Club“: „Der Verein betreibt Lobbyarbeit rund um den Journalismus und stellt Presseausweise für Journalisten aus.“ (Sollte jemand schon mal so ein Plastikkärtchen gesichtet haben, würde ich mich über eine Nachricht freuen, am liebsten mit Foto.)
2. Unsere Jungen
Wenn ich von den Jungen schreibe, meine ich natürlich nicht Buben oder Knaben, sondern junge Leute (m/w/d). Im DJV sind darunter Kolleginnen und Kollegen unter 40 zu verstehen. Von denen könnte unser Verein noch viele mehr gebrauchen, denn wir leiden seit geraumer Zeit unter einem paradoxen Phänomen: Leute aus meiner Generation, die als Berufsanfänger Anfang der Achtziger mit der Ehrenamtlerei anfingen – bestes Beispiel: Bundesschatzmeisterin Katrin Krömer – sind trotz unseres reiferen Alters immer noch gefragt, wenn zeitraubende Arbeit zu tun ist. Gleichzeitig wird gejammert, dass wir Alten die Welt halt durch die Brille der Alten sähen und eigentlich keine Ahnung hätten, wie es den Jungen in der heutigen Medienwelt geht.
Dieses Jahr ist jedenfalls ein Erfolg zu vermelden: Der 31-jährige Kollege Philipp Blanke, der die Axel-Springer-Journalistenschule besucht, hat nicht nur einen der relevantesten und überzeugendsten Redebeiträge dieses Verbandstags geleistet, sondern sich am nächsten Tag tatsächlich in den Bundesvorstand wählen lassen.
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich der erste in eine Reihe von Teilnehmern war, die nach seiner Wortmeldung auf ihn zugingen und baten, zu kandidieren. Nicht nur reden, sondern mitmachen: Nur so funktioniert es. Es wäre schön, wenn unsere anderen Jungen, die am liebsten nur in irgendwelchen halbformellen Hintergrund-Arbeitskreisen mitdiskutieren, aber um Himmels Willen keine Funktionäre werden wollen, ihre Zurückhaltung aufgäben und sich eifriger in die entscheidenden Gremien wählen ließen. (Man muss Vereinsmeierei nicht mögen, aber wird sind nun mal ein Verein und müssen uns daher manchmal leider wie einer verhalten.)
Die eine oder der andere scheint zu fürchten, es sei schädlich für die Karriere, sich in einer Gewerkschaft zu exponieren. In Wirklichkeit beweist man in solchen Funktionen, wenn man aus ihnen etwas macht, auch Führungskompetenz, qualifiziert sich also für Höheres. Wer davor Angst hat, wird weiter im Mainstream mitpaddeln.
3. Journalisten, die PR machen
Allerdings gibt es auch Junge, über die man sich nicht nur als Alter veritabel ärgern kann. Zum Beispiel über den mit seiner Naivität kokettierenden Bundespressekonferenz-Youtuber Tilo Jung und all jene, die ihm nach seinem Auftritt bei der 70-Jahr-Feier applaudierten. Der leidenschaftliche Quälgeist hatte auf sehr unsubtile und unfreundliche Weise zum Ausdruck gebracht, dass er mit der Öffentlichkeitsarbeit des DJV und öffentlichen Äußerungen seines Vorsitzenden sehr unzufrieden ist, unter anderem auch deshalb, weil Frank Überall Pressesprecher als Kollegen betrachtet, die in den DJV gehören. Ich möchte ergänzen: … und bereitwillig Mitgliedsbeiträge bezahlen, obwohl sie weniger davon profitieren als beispielsweise Zeitungsredakteure. Ups, jetzt habe ich wieder das Gendern vergessen. Bitte um Verzeihung!
Ich mag nicht in dem Tonfall zurückkeilen, dessen sich Tilo Jung mangels adäquater Kinderstube befleißigt hat. Statt dessen möchte ich erklären, weshalb es naiv von Jung ist, Pressesprecher kategorisch als Antagonisten von Journalisten abzustempeln, mit denen man ja nun gar nichts zu tun haben sollte. Der Antagonismus existiert nämlich nur auf der Ebene der Arbeitsbeziehung zwischen der Journalistin, die von der Pressesprecherin eine Auskunft verlangt, die diese lieber nicht erteilen möchte. Es ist eine professionelle, nicht an die Person, sondern an die Rolle geknüpfte Gegnerschaft. Sie ist vergleichbar mit der Gegnerschaft zu Kollegen, die der gleichen exklusiven Geschichte nachjagen und sie unbedingt als erste veröffentlichen wollen. Im DJV trafen sich schon immer Angestellte und Freie, die während der Arbeitszeit Konkurrenten waren, und zogen als Gewerkschafter oder Verbandsvertreter an einem Strang. Dass Öffentlichkeitsarbeiter, wie es Tilo und seine Fans zu vermuten scheinen, professionelle Öffentlichkeitsverhinderer, Marketingsprachrohre und Lügner seien, ist ein Zerrbild. Ja, es gibt diese Sorte, so wie es eben auch korrumpierbare und skrupellose Redakteure gibt. Aber wer das verallgemeinert, interessiert sich nicht für die Wirklichkeit, sondern will polarisieren und schwarzweiß malen.
Viele Journalisten haben bei Instituts- oder sogar Firmenpublikationen seriöse und anständig bezahlte Arbeit gefunden, beispielsweise im Wissenschaftsjournalismus. Ich selbst habe einst schon als Student in der Pressestelle der Münchner Uni gejobbt, und es war der Pressesprecher, der mir den Schubs gegeben hat, in den BJV einzutreten. Und es ist doch heute so: Je mehr die Verlage an den Redaktionen sparen, um so wichtiger wird es, dass journalistische Profis „auf der anderen Seite des Schreibtischs“ die für die Gesellschaft wichtigen Informationen aus der Forschung qualifiziert und allgemeinverständlich aufbereiten. Diese Kollegen auszugrenzen, ist verrückt. Statt dessen müsste man fordern, dass alle Verlage ihre Honorarbudgets wieder massiv aufstocken und/oder so viele gut ausgebildete RedakteurInnen einstellen, dass die Seiten auch ohne Vorarbeit der vermeintlichen Gegenseite mit guten Texten voll werden.
Deshalb freue ich mich, dass wir nicht nur ein neues Berufsbild verabschiedet haben, das die Tatsache widerspiegelt, dass PR zu den Tätigkeitsfeldern gehört, in denen Journalisten ihr Geld verdienen. Sondern dass wir mit Ulrike Grönefeld auch wieder eine (natürlich sehr seriöse) PR-Frau im Bundesvorstand haben. Sie arbeitet für das Deutsche Krebsforschungszentrum.
Das ist für mich völlig okay. Jemanden aus der VW-Pressestelle hätte ich nicht gewählt. Aber auch niemanden wie Julian Reichelt, wenn Ihr wisst, was ich meine. Es geht immer darum, dass man anständig bleibt, keine Interessenkonflikte verschweigt und nicht die Dinge vermischt. Wenn ich für Firmenpublikationen wie PwC Next schreibe (oder früher das Magazin von Porsche Consulting), heißt das eben, dass ich in der brandeins nichts über meine Kunden schreiben kann und darf.
4. Die Freien
Das für mich schönste Thema auf dem Verbandstag war das „Jahr der Freien“, das auf Betreiben der Fachausschuss-Vorsitzenden Anne Webert (BJV) jetzt bundesweit ins Laufen kommt. Jawoll: Das mit dem Laufen ist das Motto, mit echten Staffelstab-Übergaben und Anleitungen, wie es für die Freien läuft, und mit Networking-Wanderungen und und und. Was, wer, wo und wie wann konkret läuft, steht noch nicht fest, aber ich bin schon sehr gespannt auf 2020.
Die vorlauten Freischreiber haben ja gemeint, herumposaunen zu müssen, wir entdeckten nach 70 Jahren die Freien. Ich könnte das als persönliche Beleidigung werten, aber ich weiß, wer das sagt, nämlich eine Organisation, die in den vergangenen zehn Jahren viel populistisch herumgetönt und wenig erreicht hat. Sollen sie den Mond anbellen. Ich setze auf Anne und ihre Mitmacher.
P.S.:
Oben erwähnte ich Abgänge aus der DJV-Mitgliedschaft, die für mich keinen Verlust darstellen. Zwei der drei Gemeinten steckten hinter einer persönlichen Kampagne gegen Frank Überall, die nicht nur über die „sozialen“ Medien lief, sondern auch über ein Medienportal, und echte Mobbing-Qualität hatte. Traurig, dass sich Kollegen für solche Aktionen hergeben. In einer Organisation mit 30.000 Mitgliedern gibt es immer einige, denen es niemand recht machen kann, die sich aber auch nie die Frage zu stellen scheinen, weshalb sie wohl trotz ihrer alles überragenden Intelligenz und moralischen Überlegenheit nie eine Mehrheit hinter sich bringen. Wenn sie endlich erkennen, dass sie im falschen Verein sind – ihre eigene soziale Inkompetenz fällt ihnen naturgemäß ja nicht auf – so ist das gut für die Nerven aller Beteiligten. Deshalb gab es in Berlin fast Freudentänze in einem Landesverband, als sich der Austritt eines seiner Kollegen herumsprach.
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3. …dass es die Freischreiber überhaupt gibt, liegt schon bissl an unserem Umgang mit den Freien. Gut, dass sich da jetzt vielleicht etwas ändert. Ich persönlich wünsche mir, dass die Freien vom DJV mehr gestärkt werden, in ihrer Spezifik als Freie, dass sie ein Standing bekommen aus dem heraus sie wirklich wie Freiberufler verhandeln können und nicht nur nehmen müssen, was man ihnen zugesteht.
Meine Kritik an den Freischreibern war von Anfang an, dass es dem DJV damals gut getan hätte, wenn die sich bei uns engagiert hätten. Diese Leute hatten immer gewartet, dass die Organisation DJV quasi als Dienstleister etwas für sie tut, statt sich selbst einzubringen und die Gewichte innerhalb unseres Verbandes neu zu tarieren. Dass die Kolleginnen und Kollegen ihr eigenes Süppchen kochen, statt bei uns mit anzupacken, ist mindestens so kontraproduktiv, wie es die Parallelstrukturen in Berlin mit zwei LVen waren.
2. Bei den Tilo-Jung-Passagen fällt mir eine andere Art von Journalismus ein, an die sich viele (Wessis) offensichtlich gewöhnt haben und der in seiner gedruckten Vier-Grossbuchstaben-Version viel zur Verrohung dieser Gesellschaft beiträgt…
Ich bin zwar Wessi, kann mich aber an den Bild-Stil auch nicht gewöhnen. Was Tilo sich erlaubt hat, war aber für mich etwas anderes. Er hat verbal auf den Teppich gekotzt, statt zu fragen, warum der DJV Pressesprecher als Mitglieder aufnimmt. Was sich Julian Reichel leistet, ist auf andere Weise unappetitlich.
1. (Vielleicht fällt mir ja weiteres auf…) Nicht nur die finanzstarken Landesverbände, alle Landesverbände, alle! schossen Geld vor und verzichteten auf eine Verzinsung!!!!
Ist korrigiert. Hatte ich anders in Erinnerung.