Für uns in der 17. Lehrredaktion der DJS war Syrthos nur der „Floh“. Den Spitznamen hatte der Schwabe mit nach München gebracht. Dass Kommilitonen, die ihn noch nicht kannten, zunächst dachten, wir unterhielten uns mit einem Florian, störte ihn nicht. Aber er legte Wert auf das „h“, das ihn von den normalen Flos unterschied.
Sein richtiger Vorname, der so griechisch klang, war eigentlich gar kein richtiger Vorname, sondern eine Erfindung seiner Eltern, die das Tuttlinger Standesamt durchgehen ließ. Gut 40 Jahre vor dem Suchmaschinenzeitalter hatten sie für ihren am ersten Weihnachtstag 1955 geborenen Sohn einen Namen gefunden, der bis heute so einzigartig ist, dass es genügt, „Syrthos“ zu googlen, und man findet prompt die vielen Spuren, die Floh im Netz hinterlassen hat; den Nachnamen braucht es nicht. Auch hier macht das kleine h den Unterschied: Syrtos ist ein griechischer Tanz.
Dass unser stets freundlicher, leiser Mitschüler und Kommilitone nicht mehr ist, dass sein geschwächtes Herz ihn im Sommerurlaub endgültig im Stich ließ, sprach sich nur langsam herum. Wie es leider so ist, schlafen auch Kontakte zu sehr lieben Menschen ein. Man verliert einander ungewollt aus den Augen und zuckt zusammen, wenn man beim DJV-Verbandstag auf die schwarz umrandete Liste schaut, die für die obligatorische Gedenkminute ausgelegt wird, und einen vertrauten Namen entdeckt. 63 ist doch kein Alter. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Vor zehn Jahren muss das gewesen sein, beim 60. Geburtstag der DJS. Wie die Zeit rennt.
Damals hatte der SWR-Redakteur, Regisseur, Produzent und Filmemacher gerade an der Musikhochschule Karlsruhe einen Studiengang für Fernseh-Musikjournalisten entwickelt und begonnen, als Dozent seine Erfahrungen weiterzugeben. Seine Spezialität waren einfühlsame Features und Künstler-Porträts. Er erzählte Zeitgeschichtliches entlang der Musik dieser Jahre (in der SDR-Sendereihe „Schön war die Zeit“) und ging als Redakteur der Tigerentenclubs auf Entdeckungsreise durch Manhattan.
Seine Bachelor- und Master-Studenten unterrichtete Syrthos bis 2017, dann zwang ihn eine Herzerkrankung zum Pausieren. Im laufenden Wintersemester wollte er wieder als Dozent einsteigen. Dazu kam es nicht mehr. Auch das Projekt seines Lebens, eine 90-minütige Doku über den Ausnahme-Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995), konnte Syrthos nicht mehr abschließen. Er hinterließ nur den Rohschnitt des Films, mit dessen Planung er schon zu Lebzeiten des Virtuosen begonnen hatte. Das Werk sollte zu dessen 100. Geburtstag im Januar 2020 erscheinen – mit dem Untertitel: „Auf der Suche nach dem Absoluten.“
Die Faszination für Michelangeli passte zu Floh. Wie der Protagonist seines Films hatte er auch selbst eine perfektionistische Ader. Immer wieder habe er an dem Projekt gearbeitet, schrieben vier langjährige SWR-KollegInnen im Intranet des Senders: „Er zog für ein halbes Jahr nach Italien, um sich die Muttersprache des großen Pianisten anzueignen, nahm ein Sabbatical, um das Archiv des Genius zu sichten. Das war Syrthos. Nie war ihm etwas zu viel, wenn es um gutes Programm, um die Kunst und um die Lebenskunst ging, das ganz Große im Leben. Und gleichzeitig konnte keiner wie er solch eine Freude und Dankbarkeit in den kleinen Dingen des Alltags finden, und mehr noch, diese Freude ausdrücken und den Moment zum Fest machen.“
Am morgigen Sonntag, dem 100. Geburtstag Arturo Michelangelis, habe ich die Ehre, mir im Kabarett „Die Galgenstricke“ in Esslingen mit Weggefährten von Floh alias syr den Rohschnitt des Films anschauen zu dürfen. Eine Woche später – und damit seltsam unpünktlich – läuft die von einem anderen Regisseur fertiggestellte Fassung im Fernsehen. Schade, dass das, was über den Sender gehen wird, nicht die Handschrift von Syrthos J. Dreher trägt. Aber gut, dass all die liebevolle Kleinarbeit, die so ein Projekt ausmacht, nicht völlig vergebens war.
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