Aus gegebenem Anlass ein paar Sätze zu Verwertungsgesellschaften, deren Sozialfonds und der Corona-Krise.
Zwar wird Journalismus jetzt von der Politik als systemrelevant anerkannt. Der Fokus richtet sich dabei in erster Linie auf die Nachrichten-, Politik-, Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalisten. Hart betroffen sind aber vor allem freie Journalisten, die für Ressorts wie Kultur und Sport schreiben. Wenn keine Fußballspiele und andere Wettkämpfe stattfinden, wenn Konzerte, Theater- und Kinopremieren verschoben oder abgesagt werden, haben die Kolleginnen und Kollegen nichts zu schreiben und nichts zu fotografieren. Kritiker und Kommentatoren, die nicht kritisieren und kommentieren können, haben keine Einnahmen, und in der gegenwärtigen Situation finden sie auch keine Beschäftigung, die honoriert würde. Ernst zu nehmende Rücklagen können die meisten Freien schon seit vielen Jahren nicht mehr bilden.
Deshalb werden jetzt verzweifelte Rufe laut, die Sozialfonds der Verwertungsgesellschaften (VG Wort, VG Bild-Kunst) sollten einspringen (und ihre Töpfe aufgestockt werden).
Diese Hoffnung muss ich als Insider* leider bremsen. Beide VGs mussten in dieser Woche sinngemäß darauf hinweisen, dass die Fonds tun werden, was sie können, aber für die derzeitige Lage – sprich: überraschend über uns hereinbrechende Höhere Gewalt in Form immer rigoroserer Covid-19-Eindämmung – schlichtweg nicht geschaffen sind. Sie sind so konstruiert und finanziert, dass sie in einzelnen Härtefällen Mitgliedern und Wahrnehmungsberechtigten aus der Klemme helfen können. Die VG Bild-Kunst hat vorgerechnet, dass ihr Fonds mit einer Million Euro gerade einmal 2000 Mitgliedern je 500 € überweisen könnte. Drehen wir das mal so um, dass viele Betroffene eher eine akute Liquiditätsspritze von 2000 € benötigen würden, reichte das Geld nur für 500 von ihnen.
Der Sozialfonds der VG Wort hatte 2018 rund 1,7 Millionen im Topf und schüttete die Zuführungen von rund einer Million zum größten Teil aus. Die Bilanz für das Jahr 2019 mit seinen Rekordausschüttungen liegt zwar noch nicht vor, aber die Größenordnung der Zuflüsse lässt sich insoweit abschätzen, als das Finanzpolster zwar noch einmal aufgestockt worden sein dürfte, sich aber nicht vervielfacht haben kann. Die Zuführungen werden Jahr für Jahr innerhalb des gegebenen Handlungsspielraums festgelegt: Die Höhe ist durch die gesetzlichen Vorgaben gedeckelt, und zugleich orientiert sich die Finanzausstattung am tatsächlichen Bedarf sowie den Bedürftigkeitskriterien, die in der Satzung des Sozialfonds (einer als GmbH geführten Tochtergesellschaft mit ehrenamtlichem Beirat) festgelegt sind. Das Maximum, was ausgezahlt werden könnte, ist das Fondskapital bis auf eine kleine Mindestreserve.
Das heißt: Nachträglich aufstocken lässt sich da nichts mehr. Die fetten Nachausschüttungen für die Jahre vor 2019 wurden an die Urheber ausbezahlt, das Geld ist weg. Die Geschäftsjahre der VGs und ihrer Töchter sind abgeschlossen und wirtschaftsgeprüft. Lediglich bei den aktuellen Einnahmen könnte eine VG den erlaubten Rahmen voll ausschöpfen (und ich vermute, dass das auch getan wird).
Spielen wir aber mal den Gedanken durch, die Gremien dürften die vereinnahmten Urheberabgaben willkürlich umschichten, um den aktuell am schlimmsten Betroffenen zu helfen: Es wäre immer noch so, dass man das Geld dafür anderen Urhebern, denen es gesetzlich zusteht, wegnehmen müsste. Die VGs sind aber, auch wenn das viele Urheber meinen, keine Umverteilungsorganisationen, deren Aufgabe es wäre, soziale Ungerechtigkeiten in großem Stil auszugleichen, sondern Treuhandorganisationen. So schön es wäre, wenn Autoren, die es nicht nötig haben, aus Solidarität jenen mehr überließen, denen es schlechter geht: Das lässt sich nicht per Beschluss einer Mitgliederversammlung durchsetzen, solange das Verwertungsgesellschaftengesetz hierfür keinen geeigneten Rahmen bietet. Damit es kein Tropfen auf den heißen Stein wäre, müsste es ja eh ein sehr massiver Eingriff sein.
Abgesehen davon: Niemand weiß, was dieses Jahr aus der Mitgliederversammlung wird. Die VG Bild-Kunst hat ihre für den April geplante Berufsgruppenversammlung auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Auch der Verwaltungsrat der VG Wort, der eigentlich bald zwei Sitzungen hätte, verharrt in Wartestellung, denn Telcos mit 30 Teilnehmern sind kaum realisierbar. Würde die VG Wort die MV komplett online abhalten, wäre sie witzlos, denn nach den geltenden Regularien wäre die Abstimmung über Anträge bereits gelaufen, bevor die Versammlung überhaupt eröffnet wird. Es gäbe keinerlei Debatte, nur eine Verlesung der Voten. Doch eigentlich müsste dieses Jahr über die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in Deutschland diskutiert werden. Die Konsultation zu den ersten Punkten, die in Deutschland umgesetzt werden, hat zwar noch stattgefunden, aber es ist unklar, wann der Bundestag darüber beraten kann und was dann die neue Rechtsgrundlage für unsere Verteilungspläne sein wird. Dieser verdammte Virus bringt wirklich alles aus dem Tritt.
Vor diesem Hintergrund wäre ich schon heilfroh, wenn die VGs es hinkriegen, in diesem Sommer ihre Hauptausschüttungen irgendwie über die Bühne zu bringen, und sei es mit Zahlungen unter Vorbehalt der nachträglichen Zustimmung durch die MV. Da wird die Aufsichtsbehörde gefordert sein. (Ich spekuliere hier nur.)
Deshalb kann man verkürzt sagen:
Ja, in einer begrenzten Zahl von akuten Notfällen können die Fonds mit überschaubaren Beihilfen einspringen, aber das ist die ultima ratio. Die Veranwortung für die Lösung liegt bei der Bundesregierung und den Landesregierungen. Die Überbrückungsgelder, deren Notwendigkeit Arbeitsminister Hubertus Heil ja offensichtlich einsieht, müssen für betroffene freie Journalisten ebenso bereitgestellt werden wir für Musiker und Schauspieler, die nicht mehr auftreten können.
Es darf sich dabei nicht um Kredite handeln. Es ist in unserer Branche genauso wie bei den Wirten und Betreibern von Sportstätten, die zu Recht darauf verweisen, dass sie nicht „nach Corona“ jedem Gast einen zweiten auf den Schoß setzen können, um die entgangenen Einnahmen wieder reinzuholen. Was weg ist, ist weg. Die Zahl der Sportereignisse wird ebensowenig verdoppelt werden wie die der Konzerte, Filmstarts und Premieren – und selbst wenn, könnte dann niemand doppelt so viele Stunden pro Woche arbeiten.
* Freier Journalist, ehem. Verwaltungsratsmitglied der VG Wort, Mitglied der VG Bild-Kunst und Mitglied der DJV-Kommission Urheberrecht
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