Christoph Keese kennt sich mit Journalisten aus, schließlich war er selbst lange einer von uns. Heute ist er aber Chef-Lobbyist eines Unternehmens, das Bibeln, Zahnbürsten und viele andere Produkte unters Volk bringt. Offizielle Berufsbezeichnung: Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG.
Exkollege Keese sieht jetzt Pressevielfalt und Qualitätsjournalismus in Gefahr:
„Mehr als acht Milliarden Euro Jahresbudget der öffentlichen Sender zerrütten den entstehenden unabhängigen Journalismus, wenn sie ungebremst ins Internet vordringen.“
Warum das? Weil die Tagesschau eine Nachrichten-App für iGeräte verschenkt, die laut Keese so „vorzüglich“ gemacht ist, dass seine Leute nichts Besseres bieten können?
„Die Gebührenfinanzierung der „Tagesschau“-App bedeutet, dass eine große Mehrheit ungefragt gezwungen wird, Spezialangebote für die Happy Few zu finanzieren, die sich ein Gerät in der Preisklasse von 600 Euro und mehr leisten können.“
Dass ich die iBesitzer mit meinen Rundfunkgebühren subventioniere, mag ein Fall für den Rechnungshof oder die KEF sein. Den Springermann müsste die Begünstigung der Glücklichen Wenigen jedenfalls nicht sorgen. Wenn ihm wirklich daran gelegen wäre, die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit preiswerten Qualitätsnachrichten zu sichern, bräuchte er ja nur eine App entwickeln zu lassen, die auf den Spar-Gadgets der Unhappy Many läuft und wegen der Vielzahl der Nutzer so billig sein könnte, dass diese Zielgruppe sie sich leisten kann. Dann könnte Springer „unabhängigen“ Journalisten satt und genug Lohn und Brot geben, niemand müsste Apple reich machen und alles wäre im Lot.
Worum geht es wirklich?
„„Die Welt“ zum Beispiel kostet dort im Abonnement 9,99 Euro für 30 Tage, 25,99 Euro für drei Monate und 89,99 Euro für ein Jahr.“
„Dort“, das ist der App(le)store, in dem exklusiv die Happy Few bedient werden, „die sich ein Gerät in der Preisklasse von 600 Euro und mehr leisten können“ – und das Spezialangebot Welt-App obendrauf. Die 0-€-Tagesschau-App können immerhin auch die nicht ganz so wenigen halbzufriedenen News-Junkies nutzen, die diesen Reichen für ’nen Apple und ’n i ihre Gebrauchtgadgets abkaufen, wenn ein neues Modell erscheint.
Den Kollegen Keese treibt gewiss anderes um: Er sieht sein Geschäftsmodell fortschwimmen, das – im Medientagesprech – darin besteht, eine Commodity wie aktuellen Nachrichtencontent zu monetarisieren, also aus ohnehin produziertem Material zusätzlichen Umsatz zu quetschen. Die Journalisten werden – wenn ich die üblich gewordenen Autorenverträge so ansehe – von solchen Zusatzerträgen wohl nicht viel sehen.
Wenn es um Pressevielfalt im Sinne von Recherche- und Meinungsvielfalt ginge, dürfte Springer übrigens auch nicht – wie der Konzern es beim Portal „Die Redaktion“ praktiziert – den Absatzmarkt für Journalisten durch Syndication in industriellem Maßstab verstopfen.
Die Tagesschau mag News verschenken, aber sie bezahlt ihre Leute anständig, obwohl sie die Nachrichten nicht weiterverhökert. Sie ist Teil der Medienvielfalt, so wie am anderen Ende der Skala die kostenlosen Anzeigenblätter der Tageszeitungsverlage Teil der Pressevielfalt sind. Außerdem: Nur wo Tagesschau draufsteht, ist auch Tagesschau drin. Springer ist auch da drin, wo es keiner erwartet. Und das hat mit Vielfalt ganz wenig zu tun.
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