Zurück aus Berlin, ist es heute Zeit, die denkwürdigen Gremiensitzungen und Versammlungen der VG Wort Revue passieren zu lassen. Schließlich hatten einige Autorenkollegen im Netz rhetorisch vorgeglüht, und so war zu erwarten, dass der eine oder andere versuchen könnte, den Vorstand oder uns Verwaltungsräte beidseitig auf den Grill zu werfen, und sich womöglich nicht mit dem Gargrad „medium“ zufrieden geben würde. Wir waren beispielsweise seelisch und moralisch darauf vorbereitet, uns vom Münchner Schriftsteller Tom Hillenbrand auf der Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten noch einmal live in Farbe und 3D unterstellen zu lassen, wir hätten 15 Jahre lang eine autorenfreundliche Rechtslage ignoriert und sein Geld sowie das Tausender anderer Urheber den Verlegern geschenkt. Wir waren gefasst auf einen offensiven Auftritt von Mitgliedern und Repräsentanten des kleinen Qualitätsjournalistenvereins Freischreiber, der als Organschaft Hillenbrands Prangerschrift „Urheberpauschale für Autoren“ unterzeichnet und einen Prozessgegner der VG Wort in den Himmel gelobt hatte. Soweit diese Kolleginnen oder Kollegen denn im Meistersaal an der Köthener Straße saßen, taten sie dies betont unauffällig und frönten der journalistischen Tugend des Zuhörens; vielleicht waren aber auch so gut wie keine von ihnen erschienen, weil sie sich so die Strapaze ersparten, sich bei bestem Biergartenwetter im dampfigen Saal die vorgefasste Meinung kaputt machen zu lassen.
Zugehört und sich zurückgehalten hat auf alle Fälle ein bekannter Freischreiber, der sich mit seinen gerne beilscharfen, von Selbstgerechtigkeit und Selbstverliebtheit nicht unbedingt freien Urteilen einen Namen als Killerplauze unter Deutschlands Medienfachbloggern gemacht hat: Stefan Niggemeier. „Ät Niggi“ wurde exakt dort gesichtet, wo er zu erwarten war – in Tuscheldistanz zum (letztlich aus formaljuristischen Gründen erfolgreichen) Kläger Martin Vogel. Offenbar hatte er beschlossen, sich in Teilnehmender Beobachtung zu üben – ähnlich einem embedded journalist im Tross einer Krieg führenden Partei.
Die Attacken kamen schließlich von anderen.
Überraschungsfrei…
…von Martin Vogel selbst, der es gut versteht, seine Euphorie so zu kaschieren, dass von Vorkenntnissen unbelastete Zuhörer seine Redebeiträge für sachlich halten könnten.
Wenig überraschend…
…von Ilja Braun, einem langjährigen Mit- bzw. Zuarbeiter jenes publizistisch-advokatischen Komplexes, der unter der Dachmarke „irights“ netzpolitische Kreise mit Argumentationshilfen versorgt und in der Urheberrecht-ist-von-gestern-Szene als marktführender Lobbyistenpool geschätzt wird.
Ilja hat sich vor Jahren als Referent der Bundestagsfraktion Die Linke um die Enquêtekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ gekümmert, später im Team „Digitales und Medien“ des Verbraucherverbandes VZBV um Telekommunikation. Laut eigenen Angaben heuerte er inzwischen bei der Grünen-Fraktion an und betreut medienpolitische Themen, allerdings ohne dabei bisher Spuren im Netz hinterlassen zu haben.
Nebenher schrieb er eigene Bücher wie „Grundeinkommen statt Urheberrecht?“ (Tenor: lieber Grundeinkommen für alle als nur für Urheber, aber leider wird das eh nix) und übersetzte Werke aus dem Holländischen und Englischen, etwa die Streitschrift „Adieu auteursrecht, vaarwel culturele conglomeraten“ von Joost Smiers und Marieke van Schijndel, einen ideologischen Generalangriff auf Urheberrecht und Kulturwirtschaft. Brauns deutsche Fassung trug nicht etwa den Titel „Ade Urheberrecht, lebewohl Kulturmafia“, sondern „No Copyright: Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht“, ganz so, als ginge es nicht um die ersatzlose Abschaffung von Urheber- und Verwertungsrechten, sondern um den Versuch hiesiger Medienunternehmen, das kontinentaleuropäische Urheberrecht vor dem Herüberschwappen des US-Copyright-Systems zu schützen. In Wirklichkeit ging es um eine Enteignung der Autoren bei gleichzeitiger Zerschlagung der Unternehmen, für die sie arbeiten.
Arglose Wahrnehmungsberechtigte erfuhren am Freitagabend nichts von den vielfältigen Aktivitäten dieses netzpolitischen Aktivisten, denn er stellte sich ihnen schlicht und harmlos als „Literaturübersetzer“ vor. Vor einigen Jahren wäre das vielleicht noch eine halbwegs treffende Beschreibung seiner Erwerbstätigkeit gewesen; im Juni 2016 war es eine glatte Irreführung der Zuhörer. Das letzte Buch übersetzte der Nebenberufler laut seiner eigenen Website 2014. Dann übernahm er offenbar bei irights.info die Rolle eines Hausdolmetschers, der Beiträge von Netzaktivisten wie Cory Doctorow und Lawrence Lessig ins Deutsche überträgt. Dazu muss man wissen, dass die irights-Leute grundsätzlich sehr von US-amerikanischen Denkweisen geprägt sind und das hiesige Urheberrecht gern wie ein Relikt aus dem juristischen Paläozoikum erscheinen lassen.
Wie Ilja Braun denkt, zeigt sich exemplarisch an seiner Reaktion auf eine Mail, die ich ihm Ende 2009 schickte; er hatte auf irights.info behauptet, die VG Wort stelle sich taub. Es ging um das Internet-Meldesystem Metis, das damals noch in der Aufbauphase steckte. Da ich Mitglied der AG Metis war (bin’s noch immer), schrieb ich ihm, ich sei an einem Informationsaustausch interessiert. Seine Antwort: Er sehe nicht, wie er dazu einen konstruktiven Beitrag leisten sollte, denn er halte „das System an sich für verfehlt“: „Wir leben in einer Zeit, in der Nutzer zunehmend selbst zu Produzenten werden…“ „Geräteabgaben, die man da für digitale Speicherungen erhebt, müssten, wenn alles mit rechten Dingen zuginge, potenziell an etwa ebenso viele Leute ausgeschüttet werden, wie es Käufer für diese Geräte gibt… Mir scheint es da einfacher, gleich auf die Geräteabgaben zu verzichten.“ Er fand das Zählpixel-System zu kompliziert und hielt es „für von vornherein zum Scheitern verurteilt“.
Heute kann ich ihm nur zurufen: „Tja, Ilja, dann solltest Du Dich knapp sieben Jahre später aber nicht hinstellen mit Deinem Dollarnoten-Schlips um den Hals und im Namen von uns Autoren 100 Prozent von Millionen fordern, von denen wir heute keinen Cent sähen, wenn wir auf Dich gehört und nicht via VG Wort die Verleger mit ins Boot geholt hätten. Wir sind nicht den einfachen Weg gegangen, wir haben nicht verzichtet, wir haben für die Autoren etwas getan. Damit unsere Ausschüttung des Metis-Topfes ohne verbotene Willkür funktioniert, müssen wir so weit wie irgend machbar die Zugriffe zählen, und dafür benötigen wir Schnittstellen zur IT der Medienunternehmen, auf deren Servern unsere Texte liegen. Die entsprechenden IT-Projekte haben Geld gekostet, der laufende Betrieb erfordert einen gewissen Personalaufwand (= schafft Jobs in den Verlagen, um es in einem auch für Linke verständlichen Gewerkschafterdeutsch zu sagen).“
Nun ist Ilja Braun nicht der Schlimmste derer, die von anderen fordern, mit offenen Karten zu spielen, aber ihre eigenen Karten schamhaft verbergen. Es gibt Leute, die verstecken sie sozusagen im Ärmel.
Überraschung, Überraschung:
Am selben Saalmikrofon, an dem auch Martin Vogel sprach, baute sich immer wieder ein hemdsärmeliger Herr mitteljungen Alters auf, dessen Namen ich zunächst nicht verstand (das soll nicht heißen, dass er ihn absichtlich vernuschelte, es kann auch an meinen Ohren liegen). Er gab sich aus als Autor juristischer Fachtexte, quasi als Leidensgenosse des Herrn Dr. Vogel, geschädigt von der willkürlichen und nun endlich als ungerechtfertigt erkannten Ausschüttung des Verlegeranteils an den C.H.Beck-Verlag.
Wer auf der Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten das Wort ergreift, ist normalerweise kein Mitglied mit vollen Rechten; er schreibt wahrscheinlich viel weniger als der fleißige Herr Vogel. Sich mit dem Kläger auf eine Stufe zu stellen, könnte also anmaßend gewesen sein, aber auf den Status kommt es nicht an.
Entscheidend ist, dass Juristen jeder Couleur in Fachblättern über ihre Themen schreiben. Also auch solche, zu deren Geschäftsmodell es gehört, für Mandanten zu arbeiten, die den Verwertungsgesellschaften die Zahlung von Urheberabgaben verweigern. Sie schreiben selbstverständlich weder wegen der Honorare noch wegen der Kopiertantiemen. Die Autorentätigkeit ist ihnen jedoch sehr nützlich als Instrument, Mitspracherechte in einem Verein zu erlangen, den sie in die Knie zu zwingen versuchen. Von innen kann man viel besser zersetzend arbeiten als von außen. Das wäre zwar ein Winkelzug, dessen sich jeder Advokat schämen sollte, aber schamlose Menschen gibt es in jedem Beruf.
Der Name des hemdsärmeligen Menschen, erfuhr ich dann, sei Urs Verweyen. Dass er wirklich keinen Hauch von Scham kennt, zeigt ein Blick auf die Website seiner Kanzlei KV Legal (KV = Klages und Verweyen). Er berate und vertrete, verkündet der frühere McKinsey-Berater stolz, „seit 2009 Jahren (sic!) den Interessenverband mittelständischer Computer- und Hardwarehersteller und -importeure, Zentralverband Informationstechnik und Computerindustrie e.V. (ZItCo), und eine Vielzahl von Herstellern, Importeuren und Händlern von PCs, Tablets, Smartphones und anderen Geräten und Speichermedien zu den urheberrechtlichen Geräte- und Speichermedienabgaben auf z.B. PCs, Tablets, Drucker, Mobiltelefone, Unterhaltungselektronik etc., und auf Leermedien wie CD- und DVD-Rohlinge, USB-Sticks und externe Festplatten; dazu führt er eine Vielzahl von Verfahren vor der Schiedsstelle Urheberrecht am DPMA, dem OLG München und dem BGH.“ Der Industrieverband nutzt die Kanzlei KV Legal sogar als Geschäftsstelle (siehe Screenshot des Impressums).
Das ist nicht dreist, es ist tolldreist. Ich fand es äußerst bedauerlich, dass Robert Staats, der als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG Wort den überaus selbstgerecht auftretenden Herrn Verweyen selbstverständlich kennt, viel zu gut erzogen ist, als dass er diesen coram publico bloßgestellt hätte. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen einem Juristen und einem Journalisten, jedenfalls möchte ich kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich finde das Betragen von Herrn Verweyen indiskutabel. Er hat vorsätzlich die Anwesenden getäuscht. Er hat die Gutgläubigkeit der anwesenden Autoren missbraucht, um einen Keil zwischen die Wahrnehmungsberechtigten und die Gremien zu treiben. Für mich ist er ein Schauspieler – aber kein guter, denn er hätte damit rechnen müssen, dass ihn jemand kennt oder seinen Namen googelt. Wer solche Methoden nötig hat, ist bei mir unten durch, und als Nichtjurist habe ich das Gefühl, dass das Verhalten auch eklatant standeswidrig ist.
P.S.: Kurz bevor ich erfuhr, wer da sprach, war der Juraprofessor Karl Riesenhuber von der Ruhr-Universität nach einem Redebeitrag zu Gunsten der VG Wort und ihrer Gremien aus dem 100-Prozent-Lager dafür angegriffen worden, dass er eine frühere Gutachtertätigkeit für die VG Wort nicht ausdrücklich erwähnt hatte. Ihm wurde unverhohlen unterstellt, er singe ja nur des Lied, des Brot er esse. In Wirklichkeit steht Riesenhuber kompromisslos und konsequent zu seiner Haltung, seine Glaubwürdigkeit steht nicht in Frage. Die Begriffe „Haltung“ und „Glaubwürdigkeit“ würden mir im Zusammenhang mit dem oben geschilderten Schmierenstück nicht in den Sinn kommen.
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Hallo Ulf,
du zitierst hier ohne meine Genehmigung aus einer unveröffentlichten, privaten Mail von mir, und dann noch aus einer von 2009. Das ist journalistisch ganz schlechter Stil. Ich kann auch keinerlei öffentliches Interesse daran erkennen: Ich habe aus meinem Herzen nie eine Mördergrube gemacht, und was ich zur Geräteabgabe im Allgemeinen und zu Metis im Besonderen zu sagen habe, ist an diversen Stellen zitierfähig dokumentiert. Zudem suggerierst du durch deine Hervorhebung, ich hätte mich grundsätzlich gegen Geräteabgaben ausgesprochen. Habe ich nicht, es ging lediglich darum, dass ich Metis nicht für ein zukunftsträchtiges System der Pauschalvergütung im Netz halte und es deshalb abgelehnt habe, an seiner konkreten Ausgestaltung mitzuarbeiten.
Tut mir leid, wenn das Deinem Stilempfinden zuwiderläuft. Da Du Deine Standpunkte offensiv und konsistent vertrittst und die Aussage insofern dem Inhalt nach nicht vertraulich war, fand ich es aber legitim, hier in Form eines unverfälschten Zitats darzustellen, wie Du die Dinge seinerzeit gesehen hast. Ich denke, wer so offensiv wie Du die VG Wort angeht, muss Kritik einstecken können. Und die Information, dass und mit welcher Argumentation Du ein Angebot abgelehnt hast, Dich konstruktiv einzubringen, ist durchaus von öffentlichem Interesse, nachdem Du Dich so exponiert hast. Metis mag Schwächen haben, aber frag mal die Autoren, die dadurch Tantiemen erhalten haben, ob sie das schlecht fanden. Ich denke, sie werden dankbar sein, dass wir nicht auf Ilja Braun gehört haben und die Milliönchen nicht haben sausen lassen.
Wer vom Industrieverband bezahlt wird kann unmöglich objektiv sein, wer von der VG Wort bezahlt wird ist über jeden Zweifel erhaben. Ein Stück für das man sich schämen sollte, wenn man die Berufsbezeichnung Journalist führt.
Soso, ich werde von der VG Wort „bezahlt“? Wie kommen Sie darauf? Ich meine: Es ist schon richtig, dass ich in die VG Wort eingetreten bin, weil ich möchte, dass wir Autoren möglichst viel herausholen. Wie alle anderen Mitglieder und Wahrnehmungsberechtigten bekomme natürlich auch ich regelmäßig Überweisungen aus München, und je höher sie sind, desto schöner. Aber meine Tätigkeit für die VG Wort ist seit jeher eine rein ehrenamtliche. Ich habe dafür noch nie ein Gehalt oder Honorar erhalten. Was ich hier schreibe, ist mein Privatvergnügen und bringt mir keinen Cent ein. Sollten Sie mir die bescheidenen Sitzungsgelder missgönnen: Wenn ich in der Zeit, die ich in Sitzungen verbringe, Artikel schreiben würde, hätte ich mehr auf dem Konto – trotz der bescheidenen Honorare im Pressewesen. Zu schämen gibt es also absolut nichts.
Was Ihre Verteidigungsversuche bezüglich Herrn Verweyen angeht: Ich kenne Sie nicht, aber wie naiv muss man sein, es okay zu finden, dass ein unzweifelhaft bezahlter Interessenvertreter der Industrie Autoren zu Klagen aufstachelt, die über den normalen Verjährungszeitraum hinausgehen? Es kann sich nur um den durchsichtigen Versuch handeln, Urheber zu instrumentalisieren, um die VG Wort an den Rand der Insolvenz zu treiben. So viele Autoren, die dumm genug wären, darauf hereinzufallen und ihre künftigen Tantiemen faktisch der Industrie zu schenken, sehe ich nicht.
Hinzu kommt, dass der Mann die Anwesenden ganz fies hinters Licht geführt hat, indem er ihnen vorenthielt, für wen er arbeitet.
Rainer Dresen nennt das Vorgehen Verweyens übrigens süffisant „Lobbyarbeit 2.0„. Ich sage es derber: Ich fühlte mich richtiggehend verarscht, als ich erfuhr, wer da sprach.
Jetzt sind Sie dran: Nennen Sie mir einen objektiven Lobbyisten!
P.S.: Die hier hinterlassene Adresse scheint nicht echt zu sein. Wer austeilt, sollte mit seinem Namen dazu stehen. So muss ich annehmen, dass Sie hier im Auftrag gepostet haben. Es würde ins Konzept einer Lobbyarbeit 2.0 passen.