Heute morgen habe ich etwas länger geschlafen, denn in meinem fortgeschrittenen Alter setzen einem drei Tagungs-Tage doch ein bisschen zu. Gestern ging der DJV-Verbandstag zu Ende, und es ging auch diesmal leider nicht nur darum, wie mein Berufsverband, der zugleich die maßgebliche Gewerkschaft der angestellten Redakteure ist, am besten die Interessen der Kolleginnen und Kollegen vertreten kann. Es ging auch um uralte zwischenmenschliche Probleme, die eigentlich nicht mehr in der Welt sein sollten, um das Spannungsverhältnis zwischen Insassen demographischer, soziologischer oder kultureller Schubladen, konkret also den biologischen oder gefühlten Männlein, Weiblein etc. sowie Greisen und Grünschnäbeln.
Nicht, dass es nicht reichlich vernünftige Redebeiträge gegeben hätte, aber manche waren eben doch geeignet, einen in eine milde depressive Episode verfallen zu lassen: Macht mich die unverschuldete Tatsache, dass ich ich ein Mann Ende fünfzig ohne Migrationshintergrund bin, zum Teil eines (Un-) Gerechtigkeitsproblems? Muss ich ein schlechtes Gewissen deshalb haben?
Betrachten wir die Fakten, zuerst was die Geschlechterfrage betrifft: Es ist richtig, dass viele Arbeitgeber auch in der Medienbranche sträflich ignorant mit dem Umstand umgehen, dass Kind und Karriere für Frauen keine Entweder-Oder-Entscheidung sind. Natürlich braucht unsere Gesellschaft Arbeitszeitmodelle, die es erlauben, dass beide Elternteile sich gleich viel Zeit für die Kinder nehmen, und weder Frau noch Mann soll wegen ihrer/seiner Familienplanung einen Karriereknick fürchten müssen. Das ist aber kein Problem, das die Medienbranche im Alleingang lösen kann. Viele junge Journalistinnen haben auch deshalb das Nachsehen, weil der in einem anderen Beruf tätige Vater ihres Kindes mehr verlieren würde, wenn er die Elternzeit nähme, dann in Teilzeit ginge und sie à la Petra Gerster die Hauptverdienerin wäre. Daher sind alle Arbeitgeber und Betriebsräte gefordert, nicht nur die in den Medien.
Aber müssen deshalb sämtliche männlichen Kollegen, auch wir Freiberufler, die überhaupt keine Einflussmöglichkeit haben, deshalb Pauschalvorwürfe über uns ergehen lassen? Das erinnert mich an Tiraden über Zuspätkommende, die sich die Pünktlichen anhören müssen: Diejenigen, die etwas ändern könnten, sind nicht die, die im Saal sitzen.
Neben Reminiszenzen an die Hoch-Zeiten des Geschlechterkampfs kochte auch der überwunden geglaubte Generationenkonflikt wieder hoch. Sogar eine Kollegin, die nicht dabei war, mokierte sich über das, was ein vorwitziger junger Kollege als „Vergreisung“ anprangerte. Nun ist es nach den Grundrechenarten ein Faktum, dass jede Wiederwahl den Altersdurchschnitt kontinuierlich steigen lässt. Sechs von sieben Mitgliedern unseres Bundesvorstandes wurden wiedergewählt; für eine nicht mehr angetretene Kollegin, die ihren 40. Geburtstag noch vor sich hat, rückte eine nach, die ihn gerade hinter sich hat. Somit liegt der Altersdurchschnitt um gut zwei Jahre über dem nach der Wahl von 2015. Er liegt jetzt noch knapp unter der magischen Marke von 50. Bei der nächsten Wahl 2019 wird er auf methusalemische 52 zusteuern. Setzt man das Berufseintrittsalter bei 25 und den Ruhestand bei 67 an, ist der Vorstand also arithmetisch um vier Jahre zu alt. Nimmt man aber die Mitgliederbasis als Grundlage, dürfte der Vorstand eher repräsentativ oder sogar ein, zwei Jahre „zu“ jung sein. (Ich weiß die exakten Zahlen nicht, aber ich kenne viele Mitglieder und das Alter derer, die in Bayern neu eintreten.)
Auch hier zeigte sich das Phänomen, dass die Aktiven immer die Schelte abkriegen, die eigentlich den Passiven gilt. Wir Ü50-Kollegen bekamen beinahe das Gefühl, wir müssten uns nun dafür rechtfertigen, dass wir uns noch ehrenamtlich betätigen. Der Witz ist, dass die von außerhalb des Saals twitternde Kollegin Silke B. (sie ist bei den Freischreibern organisiert) selber im Pleistozän geboren ist, nämlich 1966, und somit seit vorigem Jahr wie wir zur Methusalix-Fraktion gehört. (Auch eine 49-jährige Kollegin war not amused über die Vorstellung, dass jemand spätestens dann zum alten Eisen gehört, wenn er eine Fünf vorne hat.)
Das Absurde daran ist, dass Gewerkschaften und Berufsverbände eigentlich die Aufgabe haben, Altersdiskriminierung zu bekämpfen, zumal die Ruhestandsgrenze sich bis zur Verrentung der heute Jungen noch mehr der 70 nähern oder diese gar überschreiten wird. Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang nur einmal anmerken, dass bei der Vorstandswahl schlichtweg keine jüngeren Kandidatinnen oder Kandidaten antraten und es im DJV Usus ist, Jüngeren eine Chance zu geben und auch keinen Mann zu wählen, wenn man eine Frau auf dem Posten haben kann. Ein 60-Jähriger Kollege bekam das vom Verbandstag schmerzhaft gezeigt.
Vielleicht kommen wir ja weiter, wenn wir uns öfter daran erinnern, dass der Markenkern von Gewerkschaften „Solidarität und Kollegialität“ ist. Dazu gehört, sich über häufige Wortmeldungen von Senioren (wir haben ein paar Angehörige der Generation 75-plus, die noch hell im Kopf, aber manchmal anstrengend sind) nicht zu ärgern, sondern durch jugendliche Agilität den alten Herren zuvorzukommen und ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich wäre begeistert, wenn die U40-Generation sich in dem Maß einbrächte, wie es meine Generation in den Achtzigern und Neunzigern getan hat – und dabei uns Nicht-mehr-Jungen soviel Respekt entgegenbringt, dass bestimmte Vokabeln nicht mehr fallen: Wenn jemand von „Vergreisung“ sprechen darf, sind es die, die wissen, wie sich das Älterwerden anfühlt. 😉
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