Jurassic Park im Lindenkeller

Zwei am Abgrund stehende Dinosaurier projizierte Stephan Russ-Mohl, gelernter Journalist und Professor für Kommunikationswissenschaft in Lugano, bei der Mitgliederversammlung des BJV an die Wand. Der Kleinere, wohl der Gattung Beratosaurus minor angehörig, belehrte den großen, behäbigen Klientosaurus rex: „Um zu überleben, musst Du schlanker und schneller werden.“ Dessen Antwort: „Soso, aber ich bin doch dann immer noch im Sauriergewerbe, oder?“

Die Karikatur, eigentlich gemünzt auf US-amerikanische Zeitungsverlage, hätte sehr gut auch auf das Gros der Anwesenden gepasst. Wenn es nämlich eine Gruppe von Mitgliedern gab, die im Freisinger Lindenkeller wirklich eifrig von ihrem basisdemokratischen Mitspracherecht Gebrauch machte, so war es die der amtierenden und ehemaligen Redakteure regionaler Tageszeitungen – mit einem überproportionalen Anteil an Betriebsräten.

Niemand wird den Mitarbeitern der Dinosaurierbranche einen Vorwurf daraus machen, dass sie sich mit dem prognostizierten Aussterben der Gattung nicht abfinden wollen. Es ist ihr gutes Recht, die näher kommenden Kometeneinschläge, die ihre Nahrungsgrundlage bedrohen, als bittere Ungerechtigkeit zu beklagen und in der Herde Schutz zu suchen.  

Schade ist aber, dass diese Herde die übrigen bedrohten Arten kaum wahrnahm – was natürlich mit daran lag, dass deren Vertreter sich großenteils in ihren Bauten verkrochen hatten. Angesichts der dürftigen Präsenz von Jungen, Freien, Onlinern, Rundfunkern oder auch (Fach-) Zeitschriftenredakteuren mochte man fast meinen, der gesamte BJV sei im Sauriergewerbe tätig – so dominant zeigte sich die Fraktion derer, die lieber die guten alten Zeitungszeiten beschworen als nach vorn in eine Zukunft zu blicken, in der die alten Erfahrungen, Tugenden und Arbeitsweisen schlichtweg irrelevant werden.

Es gehe um Aufbruch und Selbstkritik, hatten BJV-Chef Wolfgang Stöckel und DJV-Vizevorsitzender Michael Anger im Vorfeld postuliert. Auf dem Jahreskonvent in Freising war jedoch ständig die Rede von "Kontinuität", auf Deutsch also "weiter so." Vielen Wortmeldern war dabei ganz, ganz wichtig, sich möglichst selten an neues Führungspersonal mit neuen Ideen gewöhnen zu müssen. Ihnen erschien der Gedanke sichtlich fremd, dass neue Ehrenamtliche – die es in ihrer Weltsicht grundsätzlich eh nicht gibt – durchaus in der Lage sein könnten, alte, bewährte Werte neu zu interpretieren. Selbst Kollegen, die man bisher für ziemlich vernünftig gehalten hatte, taten plötzlich so, als sei Kontinuität eine, wenn nicht die Antwort auf die Fragen einer frappierend diskontinuierlichen (Medien-) Welt.

Wer sich bei der Mehrheit der BJV-Aktiven gründlichst in die Nesseln setzen will, braucht denn auch nur zu verlangen, dass sich Funktionäre künftig nach acht Jahren auf demselben Posten mal nach einem neuen Betätigungsfeld im Verband sowie nach einem Nachfolger umsehen sollten. Beim fünfköpfigen Geschäftsführenden Vorstand würde dieses sanfte Rotationsprinzip dazu führen, dass pro Zweijahresturnus durchschnittlich 1 1/4 Vorstände den Posten räumen müssten. Diese Vorstellung fanden die Verfechter der Kontinuität fatal. Dass aber, nicht zuletzt aufgrund ihres eigenen Wahlverhaltens, binnen 25 Monaten die gesamte Führungsspitze ausgetauscht sein wird, monierten sie nicht.

Da der eine oder andere DJV-Landesverband bereits von einem Kollegen im Rentenalter geführt wird, liegt die Idee auf der Hand, in den Geschäftsführenden Vorstand sollten ausschließlich Kolleginnen und Kollegen wählbar sein, die noch aktiv im Berufsleben stehen. Wer es wagt, dies zu fordern, bekommt aber noch eisigeren Gegenwind zu spüren: Dann wird gleich die Große Verfassungskeule ausgepackt, um eine aufkeimende Diskussion über das Selbstverständnis des Verbandes abzuwürgen. Ältere Kollegen würden grundgesetzwidrig diskriminiert, heißt es, wenn man ihnen das passive Wahlrecht streitig mache.

Dabei ist im Kreis der Senioren weit und breit niemand in Sicht, der dieses beanspruchen würde. Nicht einmal der einzige Kollege, der bei einer erneuten Wiederwahl von der Regelung betroffen wäre, möchte nach eigenem Bekunden 2011 noch einmal antreten. Aber egal: Als nichtbetroffener Älterer echauffiert man sich so leidenschaftlich, als solle der BJV umgebaut werden nach dem Vorbild Presseausweise verhökernder Pseudoverbände, in denen normale Mitglieder nichts zu sagen haben. Und man zählt auf, auf welche betagten Lichtgestalten der Verband in tempi passati hätte verzichten müssen, wenn die angestrebte neue Regel damals gegolten hätte – darunter auch solche Honoratioren, denen exakt dieselben Kritiker einst nachzusagen pflegten, sie hätten nicht erkannt, dass ihre Zeit vorbei war.

Wer heute die geballte Rage der ehemaligen jungen Wilden aus der Generation 50plus auf sich ziehen möchte, braucht tatsächlich nur das Pfui-Wort „Verjüngung“ in den Mund zu nehmen. Selbstkritik? Aber warum denn? Der BJV steht doch gut da, er hat viele Mitglieder und ein schönes finanzielles Polster, aufs Trefflichste beschützt von einem so gewieften wie pflichtbewussten Schatzmeister. So ist es fein, so würde man es gerne lassen, ganz egal, wie sich die Realität da draußen entwickelt.

Da stört es natürlich, wenn man darauf hinweist, dass es sich diejenigen zu einfach machen, die den verdienten Verbands-Finanzminister alle zwei Jahre durch öffentliche Lobeshymnen von einem Rückzug aus der ersten Reihe abhalten, statt sich frühzeitig (!) und ohne Hektik (!) nach einem kompetenten möglichen Nachfolger umzuschauen (der auch einspringen könnte, falls der Amtsinhaber mal krank werden sollte). Nirgendwo steht geschrieben, dass in dem Spitzengremium des BJV, das explizit für die Geschäftsführung verantwortlich ist, nur eine einzige Person fähig sein darf, Budgets aufzustellen und zu überwachen. (Nach Geist und Wortlaut der Satzung handelt es sich beim Geschäftsführenden Vorstand um ein Team. Leider merkt das keiner, denn die Titel der Ämter suggerieren eine glasklare Hackordnung – und die wird bisher, ob absichtlich oder nicht, gelebt. Ein Rollentausch mit einem Rangniedrigeren würde als sozialer Abstieg empfunden, so als werde der Oberbürgermeister zum einfachen Stadtrat degradiert. Ein Rotationsprinzip wäre allein schon deshalb sehr heilsam, weil sich dann z.B. ein stellvertretender Vorsitzender gar nicht genieren müsste, als Schriftführer zu kandidieren.)

Als störend gilt auch die Feststellung, den Freien als mit Abstand größter Gruppe im BJV stehe es zu, einen der beiden stellvertretenden Vorsitzenden zu stellen. Am Mangel an arbeitswilligen Kandidaten wäre das nicht gescheitert, es gab mindestens zwei potentielle Interessenten für einen Vize-Posten. Sie hätten allerdings ein amtierendes Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands zum Wahlduell herausfordern oder gegen eine von diesem vorgeschlagene Kandidatin antreten müssen. Solch einen Versuch kann man getrost bleiben lassen, wenn klar ist, dass der Amtsinhaber bis dato eine halbwegs ordentliche Klientelpolitik für seine loyale Hausmacht aus dem Sauriergewerbe betrieben hat. Wenn das höchste der geduldeten Gefühle die Kampfkandidatur um den Posten des Schriftführers ist (der im Hierarchiegefüge des Gremiums traditionell auf unterster Stufe steht), braucht sich wirklich niemand zu wundern, wenn sich kein Freier darauf einlassen mag. Als fünftes Rad am Wagen bewegt man nichts gegen einen PS-starken Vierradantrieb, dem eine klare Mehrheit der Kollegen erst einmal andere Ziele ins Navi programmiert hat.

Nun kann man es sich bei der Vergabe des Schwarzen Peters leicht machen: Wären genug Freie zur Mitgliederversammlung erschienen, wäre eine Kampfkandidatur gegen einen Vize durchaus erfolgversprechend gewesen. Der Preis für den Sieg wäre jedoch auch dann jede Menge böses Blut zwischen Freien und Redakteuren gewesen, also eine Verhärtung der Fronten zwischen zwei Lagern, die nach dem Selbstverständnis des BJV (Berufsverband und Gewerkschaft) ja eigentlich keine Kontrahenten sein sollten, sondern Kollegen. Bekommt man einen Platz in der Tafelrunde, in der die freiberuflich tätige Hälfte der Mitglieder keine Stimme hat, nur um den Preis des Königsmords, hat eine Kandidatur keinen Sinn.

So bleiben die Freien im BJV vorerst auf die Lobby-Arbeit von Festangestellten angewiesen – also von Menschen, die sich in die aktuelle Situation der Künstler-Unternehmer erst hineindenken müssen. Der einzige Kollege, der die Marktentwicklung bei den Freien hautnah mitbekam, weil seine Frau jahrelange Erfahrung als Freie hat, wurde mit der Stimmgewalt des traditionsbewussten Gewerkschaftsflügels aus dem Amt gewählt.

Nun ruht die Hoffnung auf den beiden Neuen im Geschäftsführenden Vorstand: Obgleich sie ihre Wahl ihrem gewerkschaftlichen Engagement für abhängig beschäftigte Redakteure und Pauschalisten verdanken, haben sich die Kolleginnen mit der Annahme ihrer Ehrenämter auch denen verpflichtet, die als klassische Freiberufler von noch so emsiger Tarifarbeit nicht im Geringsten profitieren. Bleibt zu hoffen, dass sie genug Zeit finden, sich neben der Personalrats- und Betriebsratsarbeit rasch in die Probleme der Honorarempfänger im Zeitalter von Auftraggeberschwund, Honorardumping und Totalbuyout einzuarbeiten. Nehmen sie sich die Zeit nämlich nicht, wird unser Verband daran noch vor der nächsten Vorstandswahl zerbrechen.

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6 Antworten auf „Jurassic Park im Lindenkeller“

  1. Gemeinsam könnte man so Vieles anpacken – sitzen doch in der Praxis Freie und Redakteure in einem Boot.

    Betriebsräte setzen sich im Übrigen für Freie ebenso ein wie für die Festangestellten.

    Für mich steht eines fest: Durch negative Stimmungsmache kommt dieser Verband kein Stückchen weiter!

    Im Übrigen trägt besagte Stimmungsmache sicherlich auch wenig dazu bei, potentielle Stimmen bei der nächsten Wahl für das eigene Lager zu begeistern.

    Meine Bitte: Worten Taten folgen lassen. Ich bin gespannt!

    1. Hallo Babs,

      absichtlich nicht mit Klarnamen hier?

      Betriebsräte setzen sich … für Freie ebenso ein wie für die Festangestellten.

      Bei unseren Tageszeitungen, deren Freie von „ihrem“ Blatt abhängig sind, ja. Aber als Pauschalaussage stimmt es einfach nicht. Im Zeitschriftensektor kennen die Freien meist gar keine Betriebsräte – manchmal, weil es keine gibt. Ich fände es auch gar nicht gut, wenn der BJV das Thema auf die Betriebsräte abwälzen würde.

      Es geht ja um viel mehr – um die Mitgestaltung der Verbandspolitik durch die Freien. Nicht darum, dass ihr den gebeutelten Zeilenschreibern und Pauschalisten der Lokalpresse christliche Nächstenliebe angedeihen lasst (so ehrenwert das auch ist).

      Für mich steht eines fest: Durch negative Stimmungsmache kommt dieser Verband kein Stückchen weiter!

      Tut mir leid, aber wenn ich unsere Versammlungen so betrachte, entdecke ich niemanden, der da wirklich positive Stimmung verbreitet. Also Aufbruchsstimmung. Mitmachstimmung. Die gute Laune kehrt immer erst wieder ein, wenn der offizielle Teil vorbei ist.

      Im Übrigen trägt besagte Stimmungsmache sicherlich auch wenig dazu bei, potentielle Stimmen bei der nächsten Wahl für das eigene Lager zu begeistern.

      Da fängt es doch schon an: Du sprichst von Lagern. Wenn ich einen Lagerwahlkampf für sinnvoll gehalten hätte, dann hätte ich ihn 2009 geführt und nicht 2011. Bevor Du mich in irgendeinem Wahlgang siehst, müssen wir erst das Lagerdenken überwinden.

      Meine Bitte: Worten Taten folgen lassen.

      Für Taten sind die Gewählten zuständig.

      Ich bin gespannt!

      Ich auch. 😉

  2. Kollege Froitzheim,

    Ihr Weltbild ist ja ein ganz schlichtes: Die Festangestellten und die Betriebsräte sind die zum Aussterben verurteilten Dinosaurier – und die Freien sind jene Spezies, die Dank größeren Geschickes im Wettbewerb „survival of the fittest“ den Wandel im journalistischen Zeitenlauf überleben werden. Zum Glück stellt sich die Realität weit weniger schwarz-weiß dar, als Sie sie sehen (wollen). Weshalb versuchen Sie eigentlich, einen Keil zu treiben zwischen Kollegen, die in der Praxis aufeinander angewiesen sind, weil der eine ohne den anderen nicht existieren kann? Ohne Freie stünde ich als Redakteur auf verlorenem Posten, umgekehrt wäre es ebenso. Nur miteinander funktioniert´s, nicht gegeneinander. Und das sollte auch für einen Berufsverband gelten. In renditegeilen Verlegern (oder besser: BWL-gestählten Verlagsgeschäftsführern) haben wir, sprich Journalisten jeglicher Couleur, einen gemeinsamen Gegner. Was hilft es uns weiter, unsere Truppe in einzelne Fachgruppen-Kohorten aufzuspalten, die zunächst einmal damit beschäftigt sind, sich selbst zu beharken? So werden wir alle die vermeintliche journalistische Eiszeit, die Pessimisten heraufbeschwören, nicht überleben. Das werden wir nur schaffen, wenn sich der eine für den anderen stark macht. Und dazu ist sie schließlich da – die GEWERKSCHAFT. Sie, Herr Froitzheim, reduzieren Gewerkschaft auf die Funktion als Tarifpartei. Doch als ich in Freising bei meiner kurzen Vorstellung als Beisitzer-Kandidat gefordert habe, der BJV müsse in der Zukunft wieder mehr Gewerkschaft sein, hatte ich damit beileibe nicht nur Besitzstandswahrung der Festangestellten und „emsige Tarifarbeit“ wie Sie es nennen, im Sinn. Gewerkschaft bedeutet für mich wesentlich mehr: Solidarität aller abhängig Beschäftigten (und dazu zähle ich auch freie Journalisten!) gegenüber jenen, die versuchen, aus anderer Leute Arbeit übermäßigen Profit zu schlagen. Gewerkschaftliche Arbeit darf sich in meinen Augen nicht nur auf das Binnenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschränken. Gerade in Zeiten, in denen trotz des offensichtlichen Versagens allzu liberaler Marktwirtschaft der Mainstream immer noch auf neoliberale Parolen reinfällt, müssen Gewerkschaften auch wieder eine stärkere gesellschaftliche Rolle einnehmen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der BJV künftig weitaus größere Anstrengungen unternehmen muß, als (Berufs)-Standesvertretung in der Öffentlichkeit Gehör zu finden und damit auch politischen Einfluß auszuüben. Effektvolle Image-Kampagnen statt dröger Gruppenbilder von Journalisten in Streik-Leibchen, fantasievolle und damit einprägsame Lobby-Arbeit statt gepflegter Kamingespräche – Möglichkeiten gäbe es genug; und gerade wir Journalisten sollten doch am besten wissen, wie man es mit öffentlichkeits- und kamerawirksamen Aktionen in die Medien schafft. Das erfordert freilich Kreativität, und die wächst bekanntlich am besten auf dem Nährboden einer positiven Grundstimmung. Die vermisse ich derzeit leider ein wenig im BJV. Deshalb mein Appell: Miesmacherei einstellen und stattdessen kreativ die Probleme unserer Zunft angehen!

    1. Lieber Kollege Grebenhof,

      aus dem Umstand, dass ich Dinge manchmal anspitze, um sie deutlich zu machen, folgern Sie, ich hätte ein „ganz schlichtes Weltbild“. Das ist genau die Schwarzweißmalerei, die Sie mir unterstellen. Aber ich freue mich immer, wenn es mir gelingt, Menschen dazu zu bringen, ihre Vorurteile und Beißreflexe zu offenbaren. Damit ist wenigstens die Gesprächsgrundlage klar – für eine hoffentlich für alle Beteiligten fruchtbare Debatte.

      Die Festangestellten und die Betriebsräte sind die zum Aussterben verurteilten Dinosaurier

      Habe ich so nicht behauptet. Wenn aber die Tageszeitungen, so wie sie heute arbeiten, Dinosaurier sind, dann arbeiten eben auch ihre Redakteure im „Dinosaur Business“ aus dem amerikanischen Cartoon, den Russ-Mohl zeigte. Sie leben in Symbiose mit den armen Sauriern, sind von ihnen abhängig und genau ratlos wie diese. Im BJV müssen wir darüber diskutieren, was das für den Einzelnen bedeutet.

      – und die Freien sind jene Spezies, die Dank größeren Geschickes im Wettbewerb “survival of the fittest” den Wandel im journalistischen Zeitenlauf überleben werden.

      Nanu, Sie sind ja viel polemischer als ich! Wäre es so einfach, bräuchten die Freien den BJV nicht. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Bislang sind selbst die am meisten geschundenen Redakteure noch in einer privilegierten Situation gegenüber dem Gros der Freien. Die Jobs vieler Redakteure stehen aber zur Disposition – und ich als ehemaliger Betriebsrat, der schon eine Betriebsauflösung mitmachen musste, stelle die Frage, wer von ihnen sich denn ernsthaft mit dem Gedanken befasst hat, wie er nach einer betriebsbedingten Kündigung als Freier Fuß fassen könnte. Es ist doch eine Illusion, dass irgendein Verlag in Zukunft noch in nennenswertem Umfang neue Stellen für Festangestellte schaffen wird.

      Nur in diesem Kontext sind die jetzigen Freien fitter fürs survival – fitter als entlassene Redakteure, die oft ihr ganzes Berufsleben in einem einzigen Betrieb verbracht haben und nie unter dem Druck standen, Überlebensstrategien zu entwickeln. Wäre ich heute noch angestellter Redakteur, würde ich mich (aus ganz egoistischen Motiven) sehr dafür interessieren, wie Freie ihren Job managen und wo es vielleicht eine Marktnische für mich gäbe.

      Weshalb versuchen Sie eigentlich, einen Keil zu treiben zwischen Kollegen, die in der Praxis aufeinander angewiesen sind, weil der eine ohne den anderen nicht existieren kann? … Nur miteinander funktioniert´s, nicht gegeneinander. Und das sollte auch für einen Berufsverband gelten.

      Sag‘ ich doch auch immer. Nichts läge mir ferner, als Keile zwischen Kollegen zu treiben. Diejenigen, die in Freising so darauf herumgeritten sind, wie lange sie schon im BJV (aktiv) sind (Motto: ich bin der Längere), wissen das eigentlich. Denn ich bin zwar nicht seit 37 Jahren dabei, gehöre aber zumindest zu denen, die doch schon ein bisschen länger im Verband mitmischen als Sie (unter anderem habe ich vor fast 25 Jahren als Jungredakteur am DJV-Entwurf für den Ausbildungstarifvertrag mitgearbeitet). Seit bestimmt 20 Jahren kämpfe ich im BJV dafür, dass Freie und Redakteure nicht gegeneinander arbeiten. Leider mit wenig Erfolg, was nicht primär an den Freien liegt, um es mal diplomatisch auszudrücken.

      In renditegeilen … Verlagsgeschäftsführern haben wir… einen gemeinsamen Gegner
      – das stimmt sicherlich, aber im Moment ist das Hauptproblem nicht die Ackermann-Attitüde der Montys und Depenbrocks, sondern die Inkompetenz und Phantasielosigkeit von Medienmanagern und geschäftsführenden Chefredakteuren. Wenn ein Chef keine Rendite mehr einfährt, laufen alle Vorwürfe der Renditegeilheit ins Leere. Von mir aus dürfen die Jungs sich sogar eine goldene Nase verdienen, wenn sie nur ihren Job richtig machen. Und das heißt: Rahmenbedingungen schaffen, unter denen gute Journalisten wieder tolle Blätter machen, die den Lesern das Geld wert sind. Das führt automatisch dazu, dass sie die Journalisten anständig bezahlen müssen. Die Institution Zeitung verkauft sich zur Zeit auch deshalb unter Wert, weil zu viele Verleger den Wert des Journalismus nicht (er)kennen – und vergessen haben, dass ein Return on Investment ein Investment voraussetzt.

      Was hilft es uns weiter, unsere Truppe in einzelne Fachgruppen-Kohorten aufzuspalten, die zunächst einmal damit beschäftigt sind, sich selbst zu beharken?

      Gar nichts. Die Fachgruppendenke ist ein Relikt aus der geordneten Welt des 20. Jahrhunderts, in der man sich in seiner Schublade häuslich einrichten konnte. Im Crossmediazeitalter ist sie kontraproduktiv. Auch die DJV-Fachausschüsse sind großenteils nur noch Schatten ihrer selbst. Das einzige, was wir wirklich brauchen, sind Organisationseinheiten, die beide Teile unserer Mitgliedschaft dabei unterstützen, unter zumutbaren Bedingungen unseren Job zu machen. Wir brauchen also neben einer starken Freienvertretung selbstverständlich auch ein Gremium, das sich um Betriebsrats- und Tarifarbeit kümmert. Beide sollten natürlich auch kollegial miteinander reden.

      Sie, Herr Froitzheim, reduzieren Gewerkschaft auf die Funktion als Tarifpartei.

      Sorry, das ist Unfug. Ich wünschte, der BJV wäre ebenso eine Freiengewerkschaft wie er eine Redakteursgewerkschaft ist. Was ich moniere, ist die Tatsache, dass viele Kollegen, die von der aus meinen Beiträgen mitfinanzierten jahrzehntelangen Tarifarbeit des DJV profitieren, nichts anderes sehen und sich damit begnügen, wenn sie ihren Besitzstand wahren. Es stimmt, dass nicht alles es so sehen. Aber eben doch sehr viele.

      als ich in Freising … gefordert habe, der BJV müsse in der Zukunft wieder mehr Gewerkschaft sein, hatte ich damit beileibe nicht nur Besitzstandswahrung … und “emsige Tarifarbeit” … im Sinn.

      Das vernehme ich gerne. Warum dann aber dieser klassenkämpferische Auftritt? Wenn ich in einem Hybrid aus Berufsverband und Gewerkschaft, dessen Vereinsleben bereits haushoch dominiert wird von einer der beiden Seiten, fordere, dass ebendiese Seite noch mehr Gewicht erhält, provoziere und polarisiere ich doch. (D.h. nicht ich, sondern Sie.)

      Effektvolle Image-Kampagnen statt dröger Gruppenbilder von Journalisten in Streik-Leibchen, fantasievolle und damit einprägsame Lobby-Arbeit statt gepflegter Kamingespräche – Möglichkeiten gäbe es genug

      Prinzipielle Zustimmung! Wobei ich sagen muss: Die Kamingespräche haben ihren Sinn, wenn die richtigen Teilnehmer zusammenkommen. Sie dürfen aber nur ein Teil der Lobbyarbeit sein.

      Das erfordert freilich Kreativität, und die wächst bekanntlich am besten auf dem Nährboden einer positiven Grundstimmung. Die vermisse ich derzeit leider ein wenig im BJV.

      Ich vermisse sie sogar sehr. Der beste Dünger für eine positive Grundstimmung wäre aber gewesen, Kritiker ernst zu nehmen, auf sie zuzugehen, sie einzubinden und ihre Kreativität zu nutzen. Und sie nicht zu zwingen, über eine offene Konfrontation zu versuchen, mit an den Tisch zu kommen. In dieser Hinsicht ist mir der BJV zu sehr CSU. (Bitte jetzt nicht falsch verstehen!)

      Deshalb mein Appell: Miesmacherei einstellen

      Solange Sie mich nicht für einen Miesmacher halten, unterschreibe ich das sofort. 😉

    1. Tja, darauf habe ich fast gewartet, dass das jetzt kommt. Im Prinzip bin ich nach wie vor der Ansicht, die ich vor der offiziellen Gründung der Freischreiber gegenüber Kai Schächtele geäußert habe: Wir sollten unsere Kräfte bündeln – und die Freien würden eine Menge Energie sparen, wenn das innerhalb des DJV geschähe. Wenn alle bayerischen Freischreiber als BJV-Mitglieder in Freising gewesen wären, hätten die Mehrheitsverhältnisse anders ausgesehen. Sie hätten die wahre Situation auf dem Markt widergespiegelt, d.h. die Bedeutung der Freien. Das Problem ist ja nicht, dass die Betriebsräte und älteren Redakteure kommen (es wäre traurig, wenn auch sie zu Hause blieben), sondern dass die Freien nicht kommen.
      Aber versprochen: Wenn ich darf, ohne deshalb vorher eintreten zu müssen, komme ich zum nächsten Freischreiber-Treffen in München. Dann reden wir mal darüber, warum ich das – noch – so sehe. Es gibt schon noch rationale Gründe, dem BJV die Treue zu halten, trotz der Lethargie vieler Kollegen.

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