Wozu Urheberrecht? (19) – Die Moral der Piratisten

Heute erlaube ich mir mal, ein paar Thesen der PPD („Piratenpartei Deutschland“) ins rechte Licht zu rücken.

Logo Piratenpartei Deutschland
Originaltext PPD:

Urheberrecht und nicht-kommerzielle Vervielfältigung

Der uralte Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu speichern und heute und in der Zukunft verfügbar zu machen, ist durch die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in greifbare Nähe gerückt. Wie jede bahnbrechende Neuerung erfasst diese vielfältige Lebensbereiche und führt zu tief greifenden Veränderungen. Es ist unser Ziel, die Chancen dieser Situation zu nutzen und vor möglichen Gefahren zu warnen. Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts beschränken jedoch das Potential der aktuellen Entwicklung, da sie auf einem veralteten Verständnis von so genanntem “geistigem Eigentum” basieren, welches der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegen steht.

Erst einmal sollte man wissen, ob man eine Wissens- oder Informationsgesellschaft anstrebt. Informationen sind banal und ohne Kontext irrelevant. Eine Informationsgesellschaft ist primitiv. Also streben wir wohl nach einer Wissensgesellschaft. Diese lebt nun mal von Geistesarbeit. Deutschland hat wenig materielle Ressourcen, aber reichlich geistige. Dann ist es doch wohl kontraproduktiv, denen, die das Wissen erarbeiten, das Recht abzusprechen, darüber zu verfügen.

Interessant bis verräterisch ist übrigens die Formulierung „veraltetes Verständnis von (so genanntem) geistigem Eigentum“, denn ein „neues Verständnis“ von geistigem Eigentum bieten die Piratisten überhaupt nicht an. Dass das angeblich veraltete Verständnis der modernen Wissensgesellschaft entgegenstünde, wird zwar postuliert, aber nicht begründet. Es ist das Dogma der PPD.

Keine Beschränkung der Kopierbarkeit

Systeme, welche auf einer technischen Ebene die Vervielfältigung von Werken be- oder verhindern (“Kopierschutz”, “DRM“, usw.), verknappen künstlich deren Verfügbarkeit, um aus einem freien Gut ein wirtschaftliches zu machen. Die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichen Interessen erscheint uns unmoralisch, daher lehnen wir diese Verfahren ab.

Darüber hinaus behindern sie auf vielfältige Art und Weise die berechtigte Nutzung von Werken, erschaffen eine vollkommen inakzeptable Kontrollierbarkeit und oft auch Überwachbarkeit der Nutzer und gefährden die Nutzung von Werken durch kommende Generationen, denen der Zugang zu den heutigen Abspielsystemen fehlen könnte.

Zusätzlich stehen die gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Etablierung einer lückenlosen und dauerhaft sicheren Kopierschutzinfrastruktur im Vergleich zu ihrem gesamtwirtschaftlichen Nutzen in einem extremen Missverhältnis. Die indirekten Folgekosten durch erschwerte INTEROPERABILITÄT bei Abspielsystemen und Software erhöhen diese Kosten weiter.

Den ersten Absatz kann man getrost auf die dogmatische Aussage reduzieren, kaufmännisch oder wirtschaftlich zu denken sei unmoralisch. Damit wird ein schönes Eigentor draus, denn die „künstliche Verknappung“ ist ja in Wahrheit keine, wenn gegen angemessene Vergütung beliebige Stückzahlen bereitgestellt werden. Sich diese Vergütung zu sparen, ist ein rein wirtschaftliches Interesse derer, die sich das Werk anzueignen trachten – und damit unmoralisch.

Der zweite Absatz behauptet wiederum etwas, ohne es zu belegen: die angebliche Überwachbarkeit der Nutzer.  Ein Kopierschutz verhindert Kopiervorgänge, nicht mehr und nicht weniger. Wenn etwas anderes gemeint sein sollte, müsste man es konkret benennen. Die Nutzung von Werken durch kommende Generationen ist ein absoluter Nebenaspekt, denn das Gros der Inhalte wird dann, wenn das Auslesen schwierig wird, nur noch für Historiker von Interesse sein. Das Wissen wird für die Menschheit nicht verloren sein, darum kümmern sich Archivare. Und wer ein DRM-geschütztes E-Book kauft, denkt wohl kaum daran, es eines fernen Tages seinen Enkeln zu hinterlassen.

Auch Absatz drei stellt apodiktisch Behauptungen in den Raum. Niemand will eine 100-prozentig wasserdichte Lösung. Allen Urheber wäre es viel lieber, die Nutzer würden den Wert der Werke, die sie kopieren möchten, anerkennen. Jeder Euro, der in technische Abwehrmaßnahmen investiert wird, landet nicht bei den Urhebern, verteuert aber die Werke. Die einzigen, die davon profitieren würden, sind Softwareentwickler.

Freies Kopieren und freie Nutzung

Da sich die Kopierbarkeit von digital vorliegenden Werken technisch nicht sinnvoll einschränken lässt und die flächendeckende Durchsetzbarkeit von Verboten im privaten Lebensbereich als gescheitert betrachtet werden muss, sollten die Chancen der allgemeinen Verfügbarkeit von Werken erkannt und genutzt werden. Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der meisten Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert.

Es konnte in der Vergangenheit kein solcher Zusammenhang schlüssig belegt werden. In der Tat existiert eine Vielzahl von innovativen Geschäftskonzepten, welche die freie Verfügbarkeit bewusst zu ihrem Vorteil nutzen und Urheber unabhängiger von bestehenden Marktstrukturen machen können.

Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern, um die allgemeine Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur zu verbessern, denn dies stellt eine essentielle Grundvoraussetzung für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar.

Wer so auf der Unterscheidung zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Aktivitäten herumreitet, sollte scharf abgrenzbare Kriterien dafür nennen, was darunter zu verstehen ist. So ist die „technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft“ überhaupt nicht ohne kommerzielle Aspekte darstellbar. In dem Moment, in dem ein Kopiervorgang die wirtschaftliche Entwicklung fördert – also das Wohl von Unternehmen und ihren Arbeitnehmern – ist er nicht mehr „nicht-kommerziell“.

Jeder Urheber hat bereits heute das Recht und auch die technische Möglichkeit, „innovative Geschäftskonzepte“ auszuprobieren. Jeder Versuch, Urheber zu ihrem vermeintlichen Glück zu zwingen, ist dagegen immanent totalitär und mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung unvereinbar. Eine „soziale Weiterentwicklung“ der Gesellschaft kann nicht darin bestehen, Künstler, Journalisten und Intellektuelle mit einem Grundeinkommen abzuspeisen, damit Angehörige anderer, gut dotierter Berufe umsonst oder gegen eine minimale Pauschale ihre Werke nutzen können. Es wäre eine Zweiklassengesellschaft, in der die Kreativen die Unterschicht bilden.

Förderung der Kultur

Wir sehen es als unsere Verantwortung, die Schaffung von Werken, insbesondere im Hinblick auf kulturelle Vielfalt, zu fördern. Positive Effekte der von uns geforderten Änderungen sollen im vollen Umfang genutzt werden können. Mögliche, aber nicht zu erwartende, negative Nebenwirkungen müssen bei deren Auftreten nach Möglichkeit abgemindert werden.

Verantwortung heißt, zu erwartende negative Nebenwirkungen zu vermeiden. Im Übrigen ist dieser Abschnitt wohlfeiles Gewäsch.

Ausgleich zwischen Ansprüchen der Urheber und der Öffentlichkeit

Wir erkennen die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an. Die heutige Regelung der Verwertungsrechte wird einem fairen Ausgleich zwischen den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Urheber und dem öffentlichen Interesse an Zugang zu Wissen und Kultur jedoch nicht gerecht. Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit.

Es sind daher Rahmenbedingungen zu schaffen, welche eine faire Rückführung in den öffentlichen Raum ermöglichen. Dies schließt insbesondere eine drastische Verkürzung der Dauer von Rechtsansprüchen auf urheberrechtliche Werke unter die im TRIPS-Abkommen vorgegebenen Fristen ein.

Der Verweis darauf, dass intellektuelle oder kulturelle Werke nicht im Vakuum entstehen, gehört ebenso zur PPD-Folklore wie das hohle Pathos der diesbezüglichen Phrasen. Allein schon der Umstand, dass hier nicht zwischen öffentlich bezahlter Wissenschaft, Belletristik, Fotografie und Journalismus differenziert wird, beweist, dass der für diese Thesen verantwortliche Arbeitskreis herzlich wenig Durchblick hatte. Ein weniger theatralischer Auftritt wäre einem sachlichen Diskurs gewiss zuträglicher.

Die drastische Verkürzung der Schutzfristen wäre bei einer ernsthaften Debatte vermutlich auch schnell vom Tisch, denn sie ist nur ein Symbol ohne Wert. Niemand, der das Urheberrecht nicht völlig ad absurdum zu führen oder es gänzlich abzuschaffen beabsichtigt, kann ernsthaft wollen, dass es zu Lebzeiten des Autors oder mit dessen womöglich frühem, plötzlichen Tod schlagartig endet. Soweit es darum geht, verwaiste Werke aus der Vergangenheit der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, lässt sich gewiss eine für alle Seiten akzeptable Lösung finden, die über die Verwertungsgesellschaften geregelt wird.

Treibende Kraft bei der Forderung, den Zugang zu verwaisten Werken zu erleichtern, sind Unternehmen der Kulturindustrie, also kommerzielle Marktteilnehmer. Für die Zukunft könnte deshalb eine konsensfähige Regelung so aussehen, dass jedes Werk mit standardisierten Urheberangaben versehen werden muss, zum Beispiel mit der Mitgliedsnummer bei der Verwertungsgesellschaft – wenn nicht schon vom Urheber selbst, dann vom Medienunternehmen, das das Werk veröffentlicht. Bei einer späteren Nutzung für einen anderen Zweck ist dann eine eindeutige Zuordnung möglich.

Ob die postmortale Schutzfrist nun 20, 40 oder 70 Jahre dauert, ist hingegen unerheblich, da die allerwenigsten Werke so lange von Interesse sind. Es gibt also keinen plausiblen Grund, die Frist unter den Trips-Standard zu drücken – oder allenfalls einen: dass die PPD eine Trophäe braucht, die symbolisiert, es den fiesen Urhebern gezeigt zu haben. Das wäre Wahlkampfschaumschlägerei genau auf dem Niveau der etablierten Parteien, die ein aufrechter Pirat angeblich verabscheut.

Sie sind der oder die 2910. Leser/in dieses Beitrags.

Eine Antwort auf „Wozu Urheberrecht? (19) – Die Moral der Piratisten“

  1. Die Legalisierung von nichtkommerziellen Filesharing zielt doch offensichtlich auf die Legalisierung von P2P-Filesharing ab, also z.B. auf Bittorrent. Solches Filesharing wäre (falls legalisiert) im Umfang wohl kaum kleiner als das kommerzielle Filesharing über Sharehoster (Megaupload. Rapidshare etc.). Die Urheber würden darunter also durchaus sehr stark leiden. Ähnlich stark wie wenn man nicht nur das nichtkommerzielle, sondern auch das kommerzielle Filesharing legalisieren würde (also Filesharing generell erlauben würde). Was einer fast vollständigen Aufhebung des Urheberrechtsschutzes gleichkäme.

    Die Legalisierung von P2P würde dazu führen, dass sich jeder alles mögliche beliebig runterladen dürfte (Filme, Serien, Musik, E-Books usw.) ohne irgendwelche Strafen oder Abmahnungen fürchten zu müssen. Wer behauptet, das wäre keine massive Einschränkung des Urheberrechtsschutzes, der ist wohl nicht ganz klar im Kopf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert