„50.000 Menschen sterben pro Jahr in Europa an den Folgen der Schiffsabgase“
Wirtschaftswoche vom 2. Juli 2012
Die gleiche Zahl wie in der Wiwo findet man in vielen Medien und quer durchs Netz, und meistens wird nicht erwähnt, wer diese Berechnung wie angestellt hat. Sie stammt aus einem dänischen Forschungsprojekt, und wenn ich es nicht völlig falsch verstanden habe, handelt es sich um eine sehr theoretische Zahl über „vorzeitige“ Todesfälle. Vorzeitig stirbt aber auch ein 99-Jähriger, den eine Lungenentzündung dahinrafft, vor der er ohne die schädlichen Substanzen in der Luft verschont geblieben wäre. Sonst wäre er halt 100 geworden wäre.
Natürlich gibt es keinen Totenschein, auf dem als Todesursache „Einatmen von Verbrennungsrückständen von Schiffskraftstoff“ steht. Eine derart monokausale Sichtweise wäre höchst unwissenschaftlich; ein Beweis lässt sich nicht führen, denn Schadstoffe vermischen sich. Was die Forscher wissen, ist nur, wo welche Krankheiten, die durch derartige Abgase begünstigt werden, gehäuft auftreten und wie stark dort die Lebenserwartung der Patienten von vergleichbaren (!) Gegenden mit geringerer Schadstoffbelastung abweicht.
Ich fände es ja toll, wenn Schiffe bald keine Dreckschleudern mehr wären. Aber anzunehmen, dass das Abschaffen dieser einen Giftquelle dazu führt, dass 50.000 Trauerfälle per anno vermieden werden, wäre eine sehr kühne Schlussfolgerung. Vielleicht leben diese Menschen ein paar Monate länger, aber wer von Abgasen Lungenkrebs bekommt, stirbt immer noch vorzeitig.
Die Gefahr solcher Kampagnenzahlen, die von NGOs und Journalisten hinausposaunt werden, besteht darin, einen Sündenbock herauszugreifen und damit den Blick von allen anderen Sündern abzulenken. Wie wäre es denn, wenn man einfach schriebe, wie viele Menschen überhaupt wegen Abgasen ein zu kurzes Leben haben? Wenn man schriebe, welchen Anteil welche Schadstoffe an der gesamten Luftverschmutzung haben, ohne daraus per makabrer Milchmädchenrechnung anteilige Tote zu kalkulieren? Wenn man sich darauf beschränken würde, die Landkarten (siehe Studie) mit der Verteilung der Schadstoffe zu veröffentlichen?
Das wäre weniger plakativ, aber seriöser.
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