Dreißig Kanäle voll

Redaktion und Druckerei sind örtlich entzerrt. Doch der Datentransfer hat noch Tücken.

Im traditionsreichen Münchner Pressehaus Bayerstraße, einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt, ging unlängst eine Ära zu Ende. Eine Abbruchkolonne rückte an, um die alten Rotationsmaschinen abzuwracken, auf denen jahrzehntelang der „Münchner Merkur“ und das Boulevardblatt „tz“ gedruckt worden waren. Jetzt bekommen die Käufer und Abonnenten ihre Morgenlektüre aus einer modernen Druckerei im Norden der Stadt. Wie bei den Konkurrenzblättern „Süddeutsche Zeitung“ und „Abendzeitung“, die bereits seit Mitte der achtziger Jahre am Stadtrand produziert werden, dürfen Journalisten und Anzeigenverkäufer in der City bleiben.

Die Auslagerung der Druckereien von teuren Innenstadtlagen in verkehrsgünstig gelegene Gewerbegebiete ist bei Großstadtzeitungen mittlerweile fast die Regel. Die räumliche Nähe zur Produktion ist unnötig geworden, weil die Druckerei ohnehin keinen nennenswerten Einfluß mehr auf das Endprodukt hat: Die Zeitungsseiten entstehen komplett am Redaktionscomputer und werden per Datenleitung, Richtfunk oder Satellit druckfertig an die Rotation gebeamt.

Nur auf diese Weise konnte jetzt etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ mit einer aktuellen internationalen Ausgabe ein Replacement in Deutschland starten. Die fertigen Seiten werden abends per Satellit von Zürich nach Passau übertragen, gedruckt und versandt. Auch der Heidelberger Springer Verlag hat seine Produktion per Satellit entkoppelt: Satzarbeiten für die meisten Bücher und Zeitschriften erledigen Niedriglohnarbeiter im indischen Bangalore, die erfaßten Texte landen auf dem Umweg übers Weltall zur Weiterbearbeitung in den Springer-Rechnern.

Die vergleichsweise preiswerte ISDN-Technik, das in Europa bevorzugte Übertragungsmedium für digitale Daten, hat allerdings ihre Tücken. So ist das Digitalnetz, das die Telekom auf herkömmlichen Telefonleitungen betreibt, mit seiner Bandbreite von 64 Kilobit pro Sekunde den Datenmengen des Verlagsgewerbes kaum gewachsen. Ohne Kunstgriffe würde das Senden einer durchschnittlich bebilderten Zeitungsseite – etwa fünf Megabyte – über zehn Minuten dauern, und das lediglich in Schwarzweiß. Eine üppig illustrierte Vierfarbseite wäre mehr als eine Stunde unterwegs.

Um die Übermittlungszeit zu reduzieren, komprimieren die Verlage ihre Dateien für den Versand. Im Idealfall läßt sich damit die Transferzeit um 85 bis 90 Prozent verkürzen. Zusätzlich Tempo gewinnen die digitalisierten Seiten durch die Parallelschaltung mehrerer ISDN-Kanäle. Wer sich von der Telekom einen sogenannten Primärmultiplex-Anschluß mit 32 Kanälen installieren lässt, kann auf dieser Datenautobahn die Breite der Fahrspuren nach Gusto variieren – also beispielsweise vier Datenpakete auf je acht Kanäle aufteilen und simultan verschicken.

Der Axel Springer Verlag AG reicht selbst das noch nicht. Weil Telefonnetze manchmal überlastet sind und sehr viel Geld auf dem Spiel steht, verläßt sich der Hamburger Medienkonzern lieber auf eine Kombination aus dem neuen Telekom-Dienst Datex-M und fest angemieteten Transponder-Kapazitäten auf dem Fernmeldesatelliten Kopernikus. „ISDN“, so Ono Grudzinski, bei Springer zuständig für die technische Planung im Bereich Druckvorstufe, „ist für uns sekundär.“

Dabei ist das schnelle Datex-M, die deutsche Adaption der „Metropolitan Area Network“-Technologie mit maximal 140 Megabit pro Sekunde, den Regionalredaktionen der „Bild-Zeitung“ vorbehalten, die schon den elektronischen Ganzseitenumbruch eingeführt haben. Seiten mit großflächigen Inseraten funken die Hamburger als Faksimile per Satellit an die verschiedenen Druckorte. ISDN spielt im Springerschen Datenübertragungskonzept nur die Rolle der Rückversicherung: Sollte Kopernikus versagen oder ein Bagger ein Datex-M-Kabel zerfetzen, stellt das digitale Telefonnetz sicher, daß des Deutschen liebste Kaufzeitung doch noch an die Kioske kommt. Allein für diese Backup-Lösung hat sich Springer vom Berliner Systemhaus Teles GmbH vier Multiplex-Anlagen mit je 30 Nutzkanälen installieren lassen. Dennoch lassen diese 120 Datengleise, die ursprünglich für Videokonferenzen vorgesehen waren, insgesamt nur etwa 6,4 Megabit Daten pro Sekunde passieren.

Die Anbieter von ISDN-Lösungen für das Verlagswesen sehen trotz solcher technischen Beschränkungen optimistisch in die Zukunft. Denn die Aufrüstung auf die schnelle Glasfasertechnik ATM (asynchroner Transfermodus) ist Experten zu folge kein Problem. „Schmalband-ISDN mit 64 Kilobit ist lediglich der Anfang“, weiß Hansjörg Troebner, Geschäftsführer des Softwarehauses High Soft Tech (HST) aus Bremerhaven, „es kann künftig nahtlos in Datenautobahnen wie Breitband-ISDN auf ATM-Basis integriert werden.“

Zudem werden über kurz oder lang auch die Anzeigen nicht mehr als Filmvorlage, sondern elektronisch angeliefert werden. „Von der volldigitalen Zeitschriftenproduktion“, glaubt Karl-Heinz Stehle, technischer Leiter beim Systemhaus Audiocom GmbH in Augsburg, sind wir nur noch ein Jahr entfernt.“

Hinzu kommt eine europaweite Verzahnung der Verlags- und Druckindustrie. Druckaufträge für Zeitschriften, Kataloge und Broschüren werden schon heute grenzüberschreitend vergeben. Konzerne wie Burda, Bauer oder Gruner & Jahr lassen längst nicht mehr alle Objekte in Deutschland drucken. Speziell in Holland und Frankreich läuft viel deutschsprachige Ware durch die Druckmaschinen. Und wenn schon das Fertigprodukt über weite Strecken mit dem Lkw transportiert werden muß, reduziert der Druckdatenversand per ISDN wenigstens die Vorlaufzeit. Die entspricht nämlich bei so manchem Hochglanzmonatstitel noch längst nicht den Maßstäben der multimedialen lnformationsgesellschaft: Vom Anzeigen- und Redaktionsschluß bis zum Erscheinen vergehen mitunter noch sechs Wochen.

Ulf J. Froitzheim

aus der WirtschaftsWoche 19/1995

SOFTWARE-MONOPOLY: IBM ist am Zug

Der Champion im SOFTWARE-MONOPOLY hat schlecht gewürfelt. Microsoft muß eine Runde aussetzen. Konkurrenten wie IBM nutzen die Zeit, um wenigstens die Schloßallee vor dem Zugriff des Bill Gates zu sichern.

Top Business 3/1995

Wer den Adrenalinspiegel von Christian Wedell in die Höhe jagen will, braucht nur den Namen „Lieven“ zu nennen, und stante pede fährt der Europa-Chef der Microsoft Corp. aus der Haut. Theo Lieven, Chef von Deutschlands führendem Computerdiscounter Vobis und derzeit Microsofts rebellischster Kunde, gilt als Wedells Lieblingsfeind – noch vor Richard Seibt, der bei der deutschen IBM eine Großattacke gegen den Softwareriesen koordiniert.

Aber auch Andreas Zeitler kann sich rühmen, für den Microsoft-Mann ein rotes Tuch zu sein. Der neue Statthalter der US-Softwarefirma Novell in Deutschland läßt nämlich ebenfalls den gebotenen Respekt vor der Führungsmacht der Branche vermissen. Vor einem großem Aufgebot an Fachjournalisten machte sich Netzwerk-Verkäufer Zeitler kürzlich unverblümt über „Microsofts Netzwerk-Vision“ lustig.

Die Fälle von Majestätsbeleidigung häufen sich. „SOFTWARE-MONOPOLY: IBM ist am Zug“ weiterlesen

SES Astra: Himmlischer Krach

Auch nach dem Abdanken ihres absoluten Herrschers Pierre Meyrat bleibt die LUXEMBURGER SATELLITENFIRMA SES auf Expansionskurs. Doch hinter den Kulissen bahnt sich Streit um Macht und Einfluß an.

Top/Business 1/1995

Seit dem 20. Oktober ist im Chateau de Betzdorf nichts, wie es einmal war. An diesem Tag erhielt Pierre Meyrat, bis dato Generaldirektor des Luxemburger Satellitenkonsortiums Société Européenne des Satellites (SES), völlig überraschend den Laufpaß – der Verwaltungsrat hatte fristlos den Mann gefeuert, der mit seinen cleveren Schachzügen die SES zur Großmacht in Europas Fernsehlandschaft gemacht hatte.

Meyrat tauchte nach dem Eklat mit den Konzernaufsehern spurlos unter. Langjährige Weggefährten schworen noch Wochen nach seinem Abgang, nicht zu wissen, wo der von den Medien früher nur „Mister Astra“ genannte Topmanager steckt. Und die Verwaltungsräte rotierten, um für Meyrat einen geeigneten Nachfolger zu finden, der die Gewinnquelle SES sprudeln lassen kann wie bisher gewohnt. Denn für den Betreiber der Astra-Satelliten stehen astronomische Renditen auf dem Spiel: 1993 wies das Unternehmen bei 326 Millionen Mark Umsatz ein Betriebsergebnis von 141 Millionen Mark aus. Der Grund: Fast alle deutschen und viele internationale TV-Programme werden über die Luxemburger Himmelskörper Astra 1A bis Astra 1C ausgestrahlt, die Vergabe der Sendeplätze für Astra 1D läuft gerade. „SES Astra: Himmlischer Krach“ weiterlesen

Digitales Kino: Brillante Bilder

Computer verdrängen das Zelluloid. Verleiher schicken Filme per Glasfaser.

WirtschaftsWoche 42/1994

Hollywood mutet seinen Schauspielern oft eine Menge zu. Mal müssen sie sich spindeldürr hungern, dann sollen sie sich einen Wanst anfressen oder eine Glatze scheren lassen. Der Darsteller Gary Sinise mußte sich für den Film „Forrest Gump“ sogar ein Bein amputieren lassen. Zumindest erscheint es dem Zuschauer so. Die Operation wurde freilich nicht von Chirurgen ausgeführt, sondern von Special-Effect-Virtuosen bei Industrial Light & Magic (ILM), einem Unternehmen der Lucasfilm-Gruppe.

Den Lorbeer für diesen neuen Coup teilt sich ILM mit dem Computerhersteller Silicon Graphics Inc. (SGI), der dem Trickstudio stets die neuesten Grafikrechner liefert. Seit ihrer Zusammenarbeit bei der Produktion des Kassenschlagers „Jurassic Park“ arbeiten beide Unternehmen im Team – im Rahmen des Entwicklungsprojekts „Joint Environment for Digital Imaging“ (Jedi). Dabei digitalisiert ein schneller, hochauflösender Scanner Filmsequenzen, die auf normalem Negativmaterial gedreht sind; wenn die Bilder am Computermonitor fertig manipuliert, kombiniert und retuschiert sind, belichtet sie die Maschine direkt auf eine Negativfilmrolle, die dann ganz konventionell ins Kopierwerk geschickt wird.

Die Methoden der Jedi-Ritter erobern weltweit das Filmgewerbe. Zunehmend entdeckt die Branche die Vorteile der Digitalisierung. Die Bits und Pixels, in die der Film fast schon routinemäßig zerlegt wird, sind nämlich als Rohmaterial wesentlich vielseitiger einsetzbar als altmodisches Zelluloid. Erfolgsregisseur Steven Spielberg beispielsweise ließ sich die „Jurassic Park“-Sequenzen mit den computergenerierten Sauriern von der kalifornischen Telefongesellschaft Pacific Bell (PacBell) elektronisch an die europäischen Drehorte von „Schindlers Liste“ nachsenden. Am Bildschirm konnte der Regisseur prüfen, ob seine Anweisungen richtig umgesetzt worden waren.

Seit wenigen Monaten haben auch Europas Filmproduzenten Zugriff auf die neue Bearbeitungstechnik. Die Kinotechnik-Gruppe Arnold & Richter (Arri) in München hat als erster Dienstleister einen „Cineon“-Rechner von Kodak angeschafft. Dabei handelt es sich um die konsequente Weiterentwicklung des digitalen Bildverarbeitungssystems „Premier“ von Kodak, das vor vier Jahren erstmals manipulierte Standbilder als Pseudo-Originale auf 35-Millimeter-Film ausgeben konnte.

Der Computer setzt sich auch im Kino durch. Die texanische Spectradyne Inc., die weltweit über 700.000 Hotelzimmer mit Spielfilmen versorgt, schafft derzeit in Amerika die Videokassette ab. Bei dem Projekt, an dem auch der Dienstleistungsmulti EDS Electronic Data Systems Corp. beteiligt ist, werden die Hollywood-Streifen zentral in Plano bei Dallas digitalisiert, komprimiert, archiviert und per Satellit an die Vertragshotels von Spectradyne übertragen. Dort entschlüsseln schnelle Silicon-Graphics-Computer die Signale und speichern die Filme auf großvolumigen Festplatten.

Vorteil der Digitaltechnik: Der Gast kann sein Programm individuell starten. Das System stürzt auch dann nicht ab, wenn 32 Hotelgäste gleichzeitig denselben Kinohit abrufen. Damit erspart sich Spectradyne das zeitraubende Kopieren und Ausliefern unzähliger Videobänder sowie die Wartung der Recorder. Außerdem können die Hoteliers eine größere Auswahl bieten und schneller auf eine veränderte Nachfrage reagieren.

Künftig könnte auch noch die Digitalisierung bei EDS entfallen, wenn das Material dort bereits mit 45 Megabit pro Sekunde als Datenstrom einträfe. PacBell bastelt gemeinsam mit dem französischen Elektronikkonzern Alcatel am „Kino der Zukunft“, wie das Projekt offiziell heißt. Die Basistechnik stammt aus der Fernsehbranche: das hochauflösende Fernsehen HDTV. Während sich Medienexperten in Europa, Amerika und Japan endlose Debatten um künftige Ausstrahlungsnormen liefern, hat PacBell mit einem HDTV-Prototyp bereits die Grenzen des Heimempfängers überschritten und die neueste Version des Films „Dracula“ in ein Kino übertragen. Dort projizierte ein hochauflösender TV-Projektor („Beamer“) den Gruselfilm auf eine große Leinwand.

Die Belieferung der Lichtspielhäuser per Glasfaserkabel soll in wenigen Jahren das Kopieren von Filmrollen überflüssig machen. Zudem würde der fortgeschrittene Videoverteildienst ABVS (Advanced Broadcast Video Service) jeden Kinobesitzer in die Lage versetzen, sein Programm beliebig oft zu wechseln oder bei Bedarf auch Musik- und Sportereignisse live in Großprojektion zu zeigen. Projektmanager Rich Mizer jubelt über die Vorzüge von ABVS: Normale Filme wären schon nach ein paar Vorführungen mit Kratzern, Fingerabdrücke oder Cola-Spritzern übersät. Sein verschleißfreies „digitales Zelluloid“ hingegen liefere stets „brillante Bilder und kristallklaren Ton“.

Davon sind deutsche Cineasten noch nicht überzeugt. Detlef Roßmann, Chef des Oldenburger „Casablanca“-Filmtheaters und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kino in Hamburg, rechnet nicht damit, „daß innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre Praxisreife erzielt werden kann“. HDTV sei „in der Auflösung immer noch schlechter als ein sehr guter Kinofilm“. Handliche Kameras liefern allerdings schon die ersten digitalen Signale. Auf der Photokina in Köln zeigte die Eastman Kodak Co. soeben ihre Fotokamera DCS 460, eine digitale Version der Nikon-Spiegelreflex F-90, die auf kompakten Notebook-Speicherelementen die Bilddaten sammelt (Wirtschaftswoche 39/1994). Beim Tempo, das die Computertechnik derzeit vorlegt, rücken auch Bewegtbilder im vollen 35-Millimeter-Format in greifbare Nähe. Schon bisher liegen Fotografie und Filmerei technisch sehr nah beieinander: Seit der Ur-„Leica“ verwenden beide dasselbe Filmformat.

Ulf J. Froitzheim

Standards und Spezialitäten

Zwar sitzt Deutschlands größte Programmschmiede, die SAP AG, nicht in Bayern. Dennoch kommt praktisch kein Computeranwender in der Republik an Software aus dem Freistaat vorbei.

TopBusiness, Report IV, September 1994

Die Nachricht aus Übersee kam für Wolfgang Gentzsch völlig unerwartet:
„Wir haben erst mal geschluckt, als wir das gelesen haben“, erinnert sich der Chef der Genias Software GmbH im oberpfälzischen Neutraubling. Die Supercomputer-Experten der US-Raumfahrtagentur hatten „Codine“, eine Genias-Eigenentwicklung, mit elf amerikanischen Programmen verglichen und legten nun die Auswertung vor. Resultat: Die Software aus der Oberpfalz erfüllte auf Anhieb mehr der geforderten Kriterien als jedes der US-Konkurrenzprodukte – Sieger nach Punkten (siehe Kasten Seite 32).

Das transatlantische Lob war auch für den Geldgeber von Genias, die Münchner Atlas Venture GmbH, eine willkommene Überraschung. Seit dem Testbericht häufen sich nämlich schon Anfragen von Unternehmen aus dem Ausland, die ein solches Produkt gerne vertreiben würden. Ein derartiges Tempo bei der Markterschließung hatten die Wagnisfinanzierer dem Team des Unternehmers Gentzsch, der im Hauptberuf Informatikprofessor an der Fachhochschule Regensburg ist, gar nicht abverlangt. „Standards und Spezialitäten“ weiterlesen