Pawlow’sche Fitness

Überwachungssensoren erobern unser Leben. Nicht mal beim Sport ist man vor ihnen sicher.

Bernd, Chef der Muckibude meines Vertrauens, hat kräftig in Hightech investiert. Beinpresse, Rückenstrecker, Bauchmuskeltrainer, Butterfly – alles, was meine verspannungsgefährdeten Büromenschenmuskeln lockern und stärken soll, ist bei ihm jetzt pures 21. Jahrhundert. Das erkennt man nicht nur am post-postmodernen Design, sondern auch an den Kabeln, die von den neuen „Powerline“-Apparaten wegführen, und vor allem an den Displays, die sich unerbittlich ins Gesichtsfeld der Fitnesswilligen schieben.

Selbstverständlich ist die neue Überwachungstechnik nur zu meinem Wohl entwickelt und installiert worden: Sensoren passen als virtuelle Schießhunde auf, ob ich nur so tue, als würde ich trainieren, und ob ich mich etwa zu sehr verausgabe für mein Alter. Lege ich mich nach Ansicht der eingebauten „Vitality“-Software zu sehr oder zu wenig ins Zeug, straft sie mich mit einer knatschroten Warnanzeige oder verweigert mir die Fitnesspunkte, die ich auf einer Chipkarte sammeln soll – einem elektronischen Mitwisser, der genau die Grenzen meines Bizeps und Trizeps, meines Latissimus und meiner Abduktoren kennt. Wenn ich meine Belohnung einstreichen will, muss ich den Maschinen gehorchen. Sie geben mir den grünen Bereich vor, der für mich das Maß der Dinge zu sein hat. Einmal Fitnesszirkel auf dem zugegebenermaßen sehr körpergerechten Gestühl, und ich fühle mich wie Pawlows Hund: Auf dem Laufband arbeite ich an meiner Kondition, im Kraftraum an meiner Konditionierung.

Zum Glück hat Bernd auch ein paar völlig veraltete Geräte aus dem 20. Jahrhundert behalten. Auf denen kann man sich sogar noch in fröhlicher Runde von einem menschlichen Trainer schikanieren lassen, der nicht nur erkennt, dass man sich falsch bewegt, sondern einem auch zeigt, wie es richtig geht. Die technikbegeisterten alten Herren, die Bernds neue Geräte bevölkern, können von mir aus brav im Takt des Computers ackern. Schließlich sind sie die eigentliche Zielgruppe: „Schnelle und einfache Bedienbarkeit“, behauptet der Hersteller der futuristischen Foltergeräte, „erleichtern das Training besonders für Einsteiger und ältere Mitglieder. “ Ich selbst aber bin einfach noch zu jung für diesen Fortschritt: In meinem Alter reicht es völlig, wenn man schon am Schreibtisch den ganzen Tag auf ein Computerdisplay schaut.

Aus der Technology Review 5/2008, Kolumne FROITZELEIEN

Wir lieben teuer

Sitzen Sie bequem? Nein? Entspannen Sie sich lieber. Es könnte richtig schön ungemütlich werden auf den nächsten 157 Zeilen, da sollte man sich nicht auch noch verkrampfen. Wir haben uns nämlich entschlossen, Ihnen ein paar Zähne zu ziehen, Ihre billigen Illusionen kaputt zu machen, Ihnen die Hölle wenn nicht geothermisch heiß zu machen, so doch wenigstens einmal prophylaktisch vor Augen zu führen, lieber Herr Westerwelle!

Zeichung: Erik Liebermann

Dass Sie da jetzt durch müssen (und mit Ihnen all jene, die Ihnen spontan applaudiert haben wie Haus + Grund und Mieterbund), verdanken Sie jener Äußerung, mit der Sie Ende März eine ganz andere Zukunft der Energie entworfen haben, als nicht nur wir sie sehen, sondern auch als all die Experten, auf deren Sachverstand wir zählen. Oder als andere Leute, die einfach noch die Grundrechenarten beherrschen. Es war eine Äußerung, die uns zunächst vermuten ließ, Sie wollten sich einen Spaß machen, wollten uns auf den Arm nehmen. Nur eben – wie es sich für einen bekennenden Avantgardisten, Oppositionellen und Marketingprofi geziemt – rechtzeitig vor dem 1. April, an dem man auch mit dem hanebüchensten Unsinn nicht weiter auffiele.

Leider sprechen die Indizien dafür, dass Sie es diesmal tierisch ernst meinten, als Sie nicht nur sagten, „bezahlbare“ Energie sei ein „Grundbedürfnis“ des Menschen, sondern daraus quasi noch eine Art Grundrecht der Deutschen ableiteten, auf Gas, Strom und Öl zwölf Prozentpunkte weniger Mehrwertsteuer bezahlen müssen zu dürfen als auf Apfelsaft, Stützstrümpfe oder Insulin.

Da es sich beim Benzinpreis oder Gastarif um den „Brotpreis des 21. Jahrhunderts“ handele, soll also der traditionell beim Bäcker geltende Steuersatz von sieben Prozent auch an der Tankstelle und im Heizungskeller zur Anwendung kommen. „Wir lieben teuer“ weiterlesen

Exzellenter Durchschnitt

Eliten können nützlich sein – aber sie kommen nicht aus den dafür ausersehenen Spitzenhochschulen.

Der Beruf meines Sohnes ist Ingenieur. Sein Spezialgebiet ist das Tuning von Lego-Raumgleitern, sein Ziel der Mars, den er mit verwegenen Hightech-Konstruktionen urbar machen möchte. Unser Junior erfüllt perfekt die Anforderungen unserer Bildungspolitiker an seine Generation: Kaum auf dem Gymnasium, kennt er seine Rolle in der Arbeitswelt. Noch sieben Jahre, dann wird er sich an einer Exzellenzuni einschreiben und – husch, husch – zum Bachelor und Master avancieren. Das Ego eines Elitestudenten hat er schon, wenn auch nicht die Noten. Egal, sein Papa war auch der mittelmäßigste Pennäler der renommiertesten Lehranstalt am Ort.

Wo ich gerade am Angeben bin: Erwähnte ich, dass ich Absolvent einer Elite-Hochschule bin? Meine Alma Mater, die Uni München, ist Teil eines Exzellenzclusters, zu dem Deutschlands führender Knochenchirurg, die besten Molekularbiologen und exzellente Physiker gehören. Mit meinen akademischen Meritchen hat das zwar nichts zu tun, aber ein Quäntchen dieses Glanzes strahlt auch auf mich ab. Dass die „LMU“ wie jede Großuni diverse Fakultäten hat, an denen ganz ordinäre Ordinarien grundlangweilige Routinearbeit leisten, muss man ja nicht an die große Glocke hängen.

Doch nun kommt Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange daher und stellt das tolle Konzept der Elite-Mega-Uni infrage, das überlaufenen Hochschulmetropolen weiteres Wachstum sichert. Die Frau glaubt tatsächlich, exzellente Forschung auf ausgesuchten Fachgebieten sei ein wichtigeres Ziel als auf breiter Front Spitze zu sein! Das ist fast so vorlaut wie die Behauptung, man müsse einer von Etatnot gebeutelten Provinzfakultät nur genug Geld geben, dann könne sie den besten Professoren die besten Arbeitsbedingungen bieten. Am Ende kommt Stange noch auf die Idee, die Lehrpläne so zu entrümpeln, dass hochbegabte Schüler nicht mehr angeödet abschalten und sitzen bleiben. Womöglich geriete das gesamte System ins Wanken, das den Arbeitgebern den Nachschub an normierten Fachkräften für den hierarchischen Mittelbau sichert.

Und das kann ja nun keiner wollen: Die wahre Elite lässt sich heute doch schön leicht erkennen, indem man nach Lebensläufen schaut, die nicht so stromlinienförmig verlaufen wie der Weg vom Turbo-Abitur über den Master ins Bewerbercasting.

Aus der Technology Review 4/2008, Kolumne FROITZELEIEN

Wir sind Software

Genforscher können jetzt die DNA programmieren – also kommen bald wohl Lebewesen voller Fehler.

Der Charme der Disney-Cartoon-Serie „Kim Possible“ liegt darin, dass sie die moderne Wissenschaft liebevoll auf die Schippe nimmt: Es gibt wahnsinnig gute Forscher (wie die Eltern der pubertierenden Hauptperson) und wahnsinnig böse Forscher (wie die feiste Genhexe D. N. Esther). In der Welt des Highschool-Girls Kim, das im Wochentakt die Menschheit vor durchgeknallten Technik-Zauberlehrlingen rettet, ist buchstäblich nichts unmöglich.

Die Ära, in der Jung und Alt unbeschwert lachen konnten über groteske Schmuseschimären aus D. N. Esthers Genlabor wie „Pandaru“ oder „Otterfliege“, ist aber leider vorbei. Daran ist weniger der Disney-Konzern schuld (der irrigerweise meint, vier Staffeln der Hightech-Persiflage seien genug) als vielmehr Craig Venter: Das Alphatier der Gentech-Zunft lässt Drehbuchschreibern einfach keine Chance mehr, die Wirklichkeit satirisch zu überzeichnen. So verfügt Venters Privatlabor, das bereits bei der Dechiffrierung des Menschen-Genoms die Nase vorn hatte, über das nötige Know-how, um die komplette DNA eines Organismus künstlich herzustellen. Die populärwissenschaftliche Erklärung der Forscher lautet: Zellen sind die unvermeidliche Hardware, wir programmieren aus den Basen A, C, G und T die leibhaftige Software der Zukunft.

Wissenschaftsgläubig wie wir sind, gehen wir davon aus, dass es Venter und seinem Star-Forscher Hamilton Smith bald gelingt, lebensfähige Kunstzellen zu züchten. Aber was kommt dann? Können wir nach allem, was wir über Entstehung und Funktion von Software wissen, Programmierern die Gestaltung von Lebewesen überlassen? Interessant wäre die neue Artenvielfalt schon. Aber wenn wir eine eierlegende Wollmilchsau in Auftrag geben, müssen wir darauf gefasst sein, stattdessen eine kriechende Otterfliege zu bekommen oder ein Pandaru ohne Beutel, das bei jedem Sprungversuch zusammenbricht.

Misslungene Schimären wären aber nicht einmal das Schlimmste an dieser schönen neuen Welt. Wirklich übel ist die Vorstellung, dass Amerikas Kreationisten jetzt frohlocken, weil Venters Ankündigung ihre These vom „Intelligent Design“ zu stützen scheint. Dabei sind sie selbst der beste Gegenbeweis: Ein göttlicher Software-Designer, der solche wirren Hirne programmiert, kann gar nicht richtig intelligent sein.

Aus der Technology Review 3/2008, Kolumne FROITZELEIEN


Datenhamster in der Servicewüste

Der Staat will alle Kommunikationsdaten speichern. Sein Pech ist, dass er dazu die Telefonfirmen braucht.

Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wird mehr informationelle Mosaiksteinehen anhäufen als das MfS dies je vermochte. Im Zeitalter der Petabyte-Plattencluster braucht kein Bürger mehr auffällig zu werden, um sich für vorsorgliche Überwachung zu qualifizieren. Es genügt, per Funk oder Draht Informationen und Meinungen auszutauschen, Tratsch und hohles Geschwätz. Bald dürfen wir uns im Zweifelsfall für jeden unbedachten Mausklick rechtfertigen, der uns vor einem halben Jahr unterlaufen ist, für jede SMS und E-Mail vom und an den falschen Adressaten, für jedes Telefonat. Wehe dem Angerufenen, wenn sich ein böser Bube verwählt: Da leider nicht alles abgehört werden kann, greift bis zum Beweis des Gegenteils die Schuldsvermutung.

So weit die Theorie. In Wahrheit ist die VDS kein Grund zu verzagen. Denn beim Datenhamstern ist die Staatsgewalt abhängig von Firmen, die Grandioses versprechen (wie das „Fernsehen der Zukunft“ per Telefonkabel), aber konsequent das Motto leben: „Wo wir sind, klappt nichts. Darum sind wir überall für Sie da.“ Droht ein Kunde etwa mit einem Auftrag für ein All-you-can-eat-Kommunikationspaket, bekommt er eindrücklich demonstriert, wie gut Geschäftsprozesse an Murphy’s Law ausgerichtet sein können. Die Bestellung via Web versickert ebenso im IT-Nirwana wie ein erneuter Auftrag per Telefon. Nervt er die outgesourcten Hotliner beharrlich mit Nachfragen, bringt ihm der Briefträger eines Tages Zugangsdaten, die das System nicht kennt, sowie eine Auftragsbestätigung für den falschen Tarif. Wählt der Kunde im Callcenter-Dialog „Beschwerde“, hört er 126 Minuten lang, der nächste Berater sei für ihn reserviert. Erreicht er anderntags die Störungsstelle, schalten die Experten nicht etwa um auf Web-TV-Speed, sondern auf das Ur-DSL-Tempo von 1999.

Wer schon als ausdrücklich „willkommen“ geheißener, zahlender Kunde solch systematischen Murks erlebt, bekommt eine Idee davon, welche Servicequalität erst staatliche „Bedarfsträger“ zu gewärtigen haben, die aufgezwungene Geheimdienstleistungen kostenlos verlangen. So erscheint der miserabelste Kundendienst plötzlich im mildesten Licht: Wahrhaft beängstigend sind die Telefonfirmen, bei denen alles klappt wie am Schnürchen. Aber gibt es die überhaupt?

Aus der Technology Review 2/2008, Kolumne FROITZELEIEN