Tod an der elektrischen Schnur

Regen Sie sich um Himmels willen am Flughafen nicht auf! Sonst trifft Sie noch der Schlag – mit 50.000 Volt.

Meine Mutter hatte schon in prähysterischer Zeit Angst vorm Fliegen. Was mich auf den Tod ängstigt, sind Flughäfen – nicht etwa, weil mich in der Schalterhalle ein Koransuren rezitierender Assistenzarzt mit seinem brennenden Jeep überfahren könnte. Es ist das Bodenpersonal: Soll ich mein Leben technischen Analphabeten anvertrauen?

Nehmen wir den Fall der MIT-Studentin Star S., die ihren Freund abholen wollte. Am Shirt trug die 19-jährige eine handgelötete Brosche mit grünen LEDs; in der Hand hielt sie ein Werbegeschenk, einen Batzen Knetmasse. Die Schlaumeierin vom Infodesk kombinierte: Zünder, Plastiksprengstoff, was sonst? Flugs war Star umringt von einem Rudel MP-bewehrter Cops. Bei der kleinsten falschen Bewegung, räumte der Polizeichef ein, wäre sie präventiv durchsiebt worden. Sie kam mit einer Strafanzeige davon. Ihr Verbrechen: Tragen einer Bombenattrappe.

Robert D. bewegte sich falsch. Der Pole wollte zu seiner Mutter nach Vancouver, kam aber mangels Sprachkenntnis nicht durch die Einreisekontrolle. Nach zehn Stunden hinter Glas drehte der Unverstandene durch, bis Polizisten ihn mit zwei 50-Kilovolt-Ladungen
aus der Taser-Elektroschockharpune niederstreckten. Exitus.

Die versehentliche Hinrichtung schockte Kanada. Doch der Hersteller beharrt darauf, die Waffe sei nicht tödlich, die Stromstärke zu gering. Im Dementieren hat er ja Routine: Schon manchem Getroffenen blieb – etwa vor Schreck? – einfach das Herz stehen. Und wenn jemand beim Zusammenbrechen mit dem Schädel auf den Marmorboden knallt, kann doch die Waffe nichts dafür.

Auch wir dürfen die Geräte nicht verteufeln. Von ihrem Prinzip – „erst schießen, dann fragen“ – sind auch deutsche Innenminister angetan. Warum sollten sie sich beirren lassen von Meldungen, wonach bereits 300 Menschen den Tod an der elektrischen Schnur gestorben sein sollen? Das heißt doch nur, dass bald sämtliche Risiken, Nebenwirkungen und Kontraindikationen untersucht sind. Dann kann man die Paralysepistolen unbesorgt auch deutschen Airportbeschützern in die Hand geben. Bevor sie abdrücken, müssen sie nur sorgsam den Beipackzettel lesen. Wenn der zornige Passagier schlau ist, nutzt er diese Zeit, um sich wieder abzuregen: Es ist seine beste Chance zu überleben.

Aus der Technology Review 1/2008, Kolumne FROITZELEIEN

Spin-Off: Edel und hilfreich

Das Starnberger Unternehmen Interactive Wear integriert Elektronik in luxuriöse Kleidung – und wenn alles glattgeht, bald auch in ganz normale Arbeitsanzüge.

Der Backofen ist gefüllt und auch schon heiß, doch von Essensduft keine Spur. Auch der Blick durch das beschlagene Sichtfenster lässt einen rätseln: Seit wann dünstet man Tagliatelle im Ofen? Erst von Nahem betrachtet entpuppen sich die geruchsneutralen Bandnudeln als Textilbänder mit eingewebten Leiterbahnen – Komponenten für das, was in der Modebranche „intelligente Kleidung“ heißt und bei Techies „Wearables“.

Im Konzert mit zwei Waschmaschinen und einem Wäschetrockner macht der zweckentfremdete Herd die Küche der Starnberger Interactive Wear GmbH zum veritablen Forschungslabor. Markus Strecker, im zweiköpfigen Vorstand für Technik zuständig, „Spin-Off: Edel und hilfreich“ weiterlesen

Das alte Bild der Erde

Irgendwie beruhigend: Google Earth & Co. zeigen nie die wahre Lage im Hier und Jetzt.

Neulich wollte meine Tochter zur Geburtstagsparty einer Freundin in einer Neubausiedlung irgendwo am Rand der Großen Kreisstadt Landsberg. Technikaffin, wie Gymnasiastinnen heute so sind, warf sie ihr Notebook an und rief den Stadtplan der städtischen Website auf. Kaum hatte sie den Straßennamen eingetippt, erschien ein gestochen scharfes Satellitenfoto. Merkwürdig war nur, dass die neue Siedlung darauf exakt so aussah wie die denkmalgeschützte Altstadt – und dass keine Straße den gesuchten Namen trug.

Nun hat man als Chauffeur vom Fahrdienst „Taxi Papa“ seine Erfahrungen mit elektronischen Wegweisern und checkt das lieber noch mal gegen. Und siehe da: Übereinstimmend zeigten Google Earth und Klicktel.de an, dass die Freundin doch nicht im Stadtkern haust, sondern … in einem Bauwagen?

So musste es sein, denn die E-Kartografen hatten die neue Straße, die in der eigenen Stadt noch keiner kannte, zwar schon vektorgrafisch erfasst. In ihrer „Hybrid-Ansicht“ aber er- schien die Fahrbahn nur als Projektion auf einer frisch planierten Kieswüste. In der realen Realität war der Bau der Siedlung freilich schon so lange abgeschlossen, dass in den Gärten alles grünte und blühte. Langsam dämmerte mir, dass die Geo-Informatiker uns Landeier nicht ganz so ernst nehmen wie etwa die Münchner, deren BMW-Welt kurz nach der Einweihung mit frischem Foto in voller Pracht aus der Adlerperspektive zu begoogeln war (Nachtrag: noch mit Baukran). Ich machte die Probe aufs Exempel: Zoom auf Kaufering, unser Stadtdorf mit knapp 10.000 Seelen. Das Haus unserer Bekannten, Anfang 2006 bezogen? Nicht mal eine Baugrube. Das Naturfreibad, 2004 eröffnet? Fehlanzeige. Schwenk zum Sportzentrum, vielleicht entdecke ich ja unseren Bürgermeister beim ersten Spatenstich zur neuen Trainingshalle anno 2001. Aber nein, nichts als grüne Wiese.

Zerstört ist meine Illusion, die Digital-Landkarten der Navis und Routenplaner seien Destillate aus Satellitenfotos. In Wahrheit eilen die Straßendaten dem Bild der Erde um Jahre voraus – was auch erklärt, wieso die Straßen in der Hybridansicht fast immer mitten durch die Vorgärten schnüren. Aber irgendwie ist es auch beruhigend, dass der digitale Globus weiße Flecken hat. Wir von den Datenhamstern Missachteten wissen ja, dass die provinzielle Wüste lebt.

Aus der Technology Review 12/2007, Kolumne FROITZELEIEN

Fahren mit echten Schikanen

Autos sind heute fast so schwierig zu bedienen wie Computer – daraus müsste sich Geld machen lassen.

Mit ihrem Vorschlag einer Ehe auf Zeit ist Dr. Gabriele Pauli, Bayerns einzige Kabarettistin mit eigenem Landratsamt, ja grandios gescheitert. Vielleicht hätte sie stattdessen eine andere Befristung per Gesetz fordern sollen: Führerscheine, die nur so lange gelten, wie man das Auto nicht wechselt.

Wer diese Idee für einen noch größeren Schmarrn hält als den Bund für sieben Jahre, hat wohl lange nicht mehr in einem Mietwagen gesessen: Außer Gaspedal, Bremspedal und Lenkrad ist kaum mehr etwas da, wo es hingehört. Nehmen wir die Oberklassekarosse, die mir ein großer Verleiher neulich großzügig zur Verfügung stellte, weil in der gebuchten Kategorie nichts parat stand. Okay, die motorische Sitzverstellung funktioniert sogar vor dem Dreh am Schlüssel. Danach aber surrt das Lenkrad viel zu weit nach unten, und der Bordroboter droht, Sitz & Co. an Fahrer 1 anzupassen, es sei denn, ich wähle „Gast“. „Bremse drücken“, verlangt dann der Bordrechner – „treten“ scheint nicht zu seinem Wortschatz zu gehören. Ich gehorche trotzdem, und der Monitor blafft: „Service!“ Der Servicemann vom Vermieter kennt das: „Einfach ignorieren. Fuß drauflassen und Schlüssel drehen!“ Die erste Rast nutze ich, um das Programmieren der Vierzonenklimatronik zu verstehen, die zweite, um den Radiosender zu wechseln. Und andere machen das beim Fahren?

Nach 700 Kilometern steuere ich erleichtert die Zapfsäule an, gleich bin ich das Teufelsding los! Aber wo ist die Tankentriegelung? In der Kurzanleitung, im Register des 400-Seiten-Handbuchs: nichts. Die eilends angerufene Dame von der Technik-Hotline des Vermieters wähnt den Knopf da, wo er bei der Marke früher mal war. Ist er natürlich nicht, woraufhin die hilflose Helferin einen Rückruf vom Technik-Notdienst des Herstellers anbietet. Gute Frau, die Leute hinter mir wollen
heute auch noch tanken!

Aber ich will nicht meckern. Indem sie sich immer neue Verstecke für die wichtigsten Bedienelemente ausdenkt, sichert die Autoindustrie die Jobs der Fahrlehrer in einer vergreisenden Gesellschaft. Oder sie macht gleich selbst ein Geschäft draus – das einwöchige Intensivtraining am Simulator in ihren pompösen neuen Auslieferungstempeln.

Aus der Technology Review 11/2007, Kolumne FROITZELEIEN

Es lebe der Zentralabiturient

Ab 2013 sollen Schulen genormten Output liefern – einzig das Lehrpersonal macht noch Probleme.

Jahrzehntelang ging nichts voran im deutschen Schulwesen, nicht einmal eine kleine Rechtschreibrevolution wollte den kleinstaatlerischen Kultusbürokraten glücken. Deren einziger unbestrittener Erfolg besteht darin, dass das Bildungsbürgertum bei „Pisa“ nicht mehr spontan an Studienreisen durch Italien denkt, sondern an die objektiv messbare Qualität des Outputs steuerfinanzierter Bildungsanstalten. Dummerweise aber gibt das noch keine Antwort auf die Frage, wie sich die geforderte standardisierte Qualität der Humanressourcen nicht nur messen, sondern auch produzieren lässt.

Jetzt aber ist der gordische Knoten entzwei, und natürlich ist es die beherzte Annette Schavan, die das Schwert in der Hand hält: 2013 wird Schluss sein mit den schulpolitischen Alleingängen fanatisch-föderalistischer Bremer, Saarländer oder Berliner, denn dann soll nach den acht Jahren Gymnasium (G8) das Bundeszentralabitur kommen. Wo früher jedes Lehrerkollegium teure Arbeitszeit aufwenden musste, um sich die Prüfungsaufgaben auszudenken, wird im Optimalfall für jedes Fach also nur noch ein einziger Beamter benötigt. Ein kleines bisschen Vorarbeit müssen die Kultusministerien allerdings noch leisten, bevor sie der Wirtschaft ab 2013 Normabiturienten liefern können: Sie müssen den Geschäftsprozess „Unterricht“ nach Best-Practice-Grundsätzen optimieren und diese den Lehrkräften eintrichtern. Die standardisierten Einheitsskills der Gymnasiasten lassen sich dann – Abschaffung handschriftlicher Prüfungen vorausgesetzt – wunderbar maschinell auswerten.

Sechs Jahre sind auch noch genug Zeit, um mittels professioneller PR allen Skeptikern klarzumachen, dass Heterogenität in der Bildung ein überholtes Konzept ist. Das beste Beispiel ist die Mathematik: Es zweifelt doch wohl niemand daran, dass sich jeder Kaufmann mit fraktionalen Weyl-Integralen auskennen und jeder Mediziner die Zinseszinsrechnung ohne Excel und Taschenrechner bewältigen muss. Und wenn der fürsorgliche Staat das Vereinheitlichungsprojekt dereinst konsequent durchgezogen hat, braucht sich kein Normalbürger mehr Gedanken über Bildungsreformen zu machen: Wenn alle das Gleiche gelernt haben, gibt es auch nichts mehr, was irgendwer vermissen könnte.

Aus der Technology Review 10/2007, Kolumne FROITZELEIEN