Neue Software macht Fotoapparate endlich idiotensicher. Doch warum muss sich der Fortschritt an Deppen orientieren?
Was haben wir doch damals den Mund voll genommen in dem kleinen Fotogeschäft, in dem ich als Student jobbte. Als „idiotensicher“ verkauften wir die seinerzeit revolutionären Kameras mit Autofokus und Belichtungsvollautomatik. Ein Kollege ätzte, jetzt fehle eigentlich nur noch die Motivklingel, die dem Knipser signalisiert, wann er auf den Auslöser drücken soll. Wer damals fotografierte, dachte sich nämlich etwas dabei.
Bald war freilich klar, dass die Automatisierung dem technikgläubigen Laien ungeahnte Möglichkeiten gab, seine Schnappschüsse kreativ zu ruinieren. Die Abzüge zeigten nicht nur unterbelichtete Mitmenschen vor gleißenden Landschaften, sondern auch verschwommene Gestalten vor gestochen scharfem Hintergrund – wenn nämlich der Entfernungssensor zwischen den Köpfen hindurch gepeilt und das Objektiv auf „unendlich“ justiert hatte. Der künstlerische Schaden ließ sich potenzieren durch eine Innovation namens Aufhellblitz. Der sollte eigentlich die Schatten aus den Gesichtern vertreiben. Fortan wunderten sich die Touristen aber über unförmige weiße Flecken auf ihren Nachtaufnahmen der Skyline von Manhattan: Myriaden von Motten, die beim hoffnungslosen Versuch der Kamera, per Automatikblitz den gegenüberliegenden Wolkenkratzer zu illuminieren, in den Photonenhagel geraten waren.
Getrieben vom Ehrgeiz, Intelligenz und Kamerabedienung immer weiter zu entkoppeln, ist die Fotoindustrie inzwischen über sich selbst hinausgewachsen. Ihre neuesten Produkte nehmen nicht nur Technik-Analphabeten die letzte Berührungsangst, sie motivieren sogar notorische Kunstbanausen zu wahren Knips-Exzessen. Wer je bei einem Kollegen über die Schulter auf ein kleines Kameradisplay starren musste, um höflich Hunderte schlechter Urlaubsbilder an Auge und Hirn vorbeizappen zu lassen, wünscht sich zurück in die Zeit der Diaschauen. Damals war jedes missratene Bild verlorenes Geld. Heute belichtet man erst mal drauflos, es gibt ja zu jedem Fehler ein Gegenmittel: Statt einem einzigen Schärfemesser das Fokussieren anzuvertrauen, lässt man Dutzende von Sensoren eine Mehrheitsentscheidung treffen. Droht der Knipser das Bild zu verwackeln, hält die Kamera-Elektronik in Echtzeit dagegen. Vorletzter Schrei war die „Smile“-Funktion, bei der die Kamera erst auslöst, wenn die fotografierte Person „Cheese“ oder etwas Ähnliches sagt. Seither gibt es von manchem griesgrämigen Charakterkopf kein frisches Foto mehr.
Womit die Hersteller jetzt werben, geht allerdings zu weit. „Motiverkennung“ heißt ihr aktuelles Zauberwort. Sie meinen zwar nicht unsere gute alte Motivklingel, die schrillen würde, wenn eine hübsche Frau unseren Weg kreuzt. Aber was sich hinter dem harmlosen Begriff verbirgt, ist Graus genug für jeden anständigen Fotografen, bei dem die Bilder noch im Kopf entstehen. Es gibt bereits Modelle mit virtuellem Visagisten. Ist deren „Make-up-Funktion“ aktiviert, zaubern Chip und Software Falten und Pickel weg. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur vollautomatischen Smile-Make-up-Software, die missmutige Mundwinkel schon während der Belichtung nach oben zieht.
Unter uns: Die Prototypen sind bestimmt längst in der Erprobung. Oder was glauben Sie, warum Ihnen die Bundeskanzlerin neuerdings so penetrant aus allen Zeitungen ins Gesicht lächelt?
ULF J. FROITZHEIM greift als freier Journalist gern auch mal zur Kamera. Unvermeidliche kosmetische Eingriffe erledigt er lieber von Hand.
Aus der Technology Review 12/2009, Kolumne FROITZELEIEN