Der Einzelhandel probt den Wildwuchs. Im Osten schießen Einkaufszentren auf der grünen Wiese aus dem Boden. Im Westen locken die Innenstädte mit mondänen Passagen – Shopping um jeden Preis.
Flora-Park, Magdeburg: 80000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf verkehrsgünstigem Areal am Rande der Stadt. Keine zwölf Kilometer entfernt, in Hermsdorf: der etwas kleinere Elbe-Park. Hier warten 60000 Quadratmeter auf neue Kaufkraft im Osten der Republik.
Das Werbeduell der benachbarten Rivalen, die beide ein Spektrum von Food über Elektronik bis zu Möbeln abdecken, tobt unerbittlich: Als Basismedium dienen den Kontrahenten monatlich erscheinende „Center-Zeitungen“, die örtlichen Anzeigenblättern beigelegt werden. Die großen Mieter wie Toys’R’Us, Brinkmann oder Promarkt geben dem Werbefeuerwerk mit eigenen Anzeigen weiteren Zündstoff. Um auch das Potential der kleineren Center-Geschäfte abzuschöpfen, bringt das Regionalblatt „Magdeburger Volksstimme“ monatliche Sonderseiten.
Bisher scheint es, als wäre der Eibe-Park, der von einer Tochter der Bayerischen Beamtenversicherung gemanagt wird, im Nachteil: „Der Flora-Park ist sehr gut besucht“, weiß René Körtge, Anzeigenleiter bei der „Volksstimme“, „Elbe bei weitem nicht so.“ Deshalb suchen die Mieter der Hermsdorfer Shopping Mall ihre Kundschaft mittlerweile anderswo: „Einer unserer Händler“, so Günter Hüls, Center-Manager im Elbe-Park, „berichtete, daß 18 Prozent seiner Kunden aus Niedersachsen kämen.“
Verdrängungswettbewerb mit Umgehungsstraße?
Als steige die Kaufkraft der Bevölkerung proportional zur Anzahl der Läden, genehmigen die Behörden in den neuen Ländern fast jeden Bauantrag der Investoren. Gemessen am neuerlichen Bauboom müßte der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland längst eingesetzt haben: Nach einer Statistik des Kölner Euro-Handelsinstituts (EHI) wuchs die Verkaufsfläche der Einkaufszentren 1993 um fast ein Viertel auf 4,2 Millionen Quadratmeter. 21 Center kamen hinzu; jetzt sind es 135. Ende 1995 sollen es mehr als 150 sein. Dabei treiben riesige Neubauten auf billigem Boden, wie sie sich im Osten der Bepublik eingebürgert haben, die Durchschnittsgröße steil nach oben – sie liegt bereits heute bei 31100 Quadratmetern.
Verbände warnen vor Einkaufsruinen
Die gigantischen Neubauten erregen längst die Gemüter: Welche Folgen für die Innenstädte hat die Auslagerung des Handels an den Stadtrand? Hubertus Tessar, Sprecher des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), Köln, warnt: „Wir werden in den neuen Ländern bald die ersten Ruinen von Einkaufszentren sehen.“ Zwar sind sich die Fachleute einig, daß die westdeutschen Kommunen aus den Fehlern der 70er Jahre gelernt haben. Den Lokalpolitikern im „wilden Osten“ will dennoch keiner ein gutes Zeugnis ausstellen.
So grollt Thomas Werz, Geschäftsführer für Städtebau und Verkehr bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels in Köln: „Jeglicher Aufbau eines innerstädtischen Handels ist im Osten unmöglich, weil die grüne Wiese überhandnimmt.“ Er verweist darüber hinaus auf Schätzungen, wonach in den neuen Bundesländern bald über die Hälfte der Verkaufsfläche außerhalb der Städte liegen wird.
Die Freunde des Einkaufs in der City geben sich freilich nicht geschlagen. Um den gewachsenen Stadtzentren neue Attraktivität zu verleihen, setzen sie auf die Renaissance der Konsumtempel in Zentrumslage: So baut die britische Stadium Group in Oberhausen das Centro, einen Einkaufs- und Erlebnispark mit 70000 Quadratmetern Verkaufsfläche (siehe Kasten).
Der Aachener Wirtschaftsgeograf Professor Peter Gräf wiegelt die Einwände des Einzelhandels ab und fordert: „Der Handel muß aus den eingefahrenen Bahnen heraus, muß aktiv werden.“ Die alteingesessenen Händler sollen „den Werbekampf mit dem Einkaufszentrum aufnehmen“, meint Gräf, räumt aber ein, daß viele sich das „massive Werbekonzert“ wahrscheinlich nicht leisten können.
Auch im „wilden Osten“ sind die Stadtväter um die Ansiedlung neuer Einkaufstempel bemüht. So erhält die Stadt Dessau von der ECE Projektmanagement GmbH aus Hamburg ein Einkaufszentrum mit 29000 Quadratmetern unmittelbar neben dem Rathaus. Ähnliche Projekte laufen in Schwedt und Hoyerswerda.
Das Dessauer Konzept stammt aus dem Westen. Gerd Seitz, Geschäftsführer der zur Hamburger Otto-Gruppe gehörenden ECE, schwärmt von seinen positiven Erfahrungen in Koblenz, wo die Innenstadt mit erheblichem Kaufkraftschwund gekämpft habe: „Unser Löhr-Center hat nachweislich die Zentralität der Stadt gesteigert. Davon profitiert jetzt der ganze innerstädtische HandeL“ Eine ähnliche Entwicklung hätten die Zentren im saarländischen Neunkirchen und im westfalischen Hamm ausgelöst.
Obwohl der HDE schon die heute fertigen Verkaufsflächen in der Summe für überdimensioniert hält, baut ECE als Marktführer unter den Betreiberf1rmen munter weiter. In den nächsten drei Jahren will das Unternehmen zehn weitere Shopping-Center in Ostdeutschland fertigstellen. Die meisten sollen die Infrastruktur unterversorgter Stadtteile verbessern.
Gerd Seitz will es sogar mit dem übermächtigen Saale-Park aufnehmen, Deutschlands größtem Einkaufszentrum (knapp 93000 Quadratmeter) in Günthersdorf zwischen Halle und Leipzig: Wenn alles nach Plan läuft, eröffnet ECE 1996 mitten in der Trabantenstadt Leipzig-Grünau das Allee-Center – nach dem Vorbild der ECE-Objekte Perlacher Einkaufspassagen (PEP) und Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München.“Wir glauben, daß wir die 100.000 Einwohner im Einzugsgebiet stark an unser Objekt binden können“, so Seitz, „weil sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder selbst mit dem Auto schnell donhin kommen.“
An Mietern für die Ladenlokale mangelt es der Otto-Firma angeblich nicht. Schon vor Baubeginn seien in der Regel 60 Prozent oder mehr vergeben.
Ideen-Import im Pott
Mit Attraktionen aus Amerika geht der Einkaufs- und Freizeitpark Centro im April 1996 an den Start.
Von allem, das nichts mit der Vermietung von Büro- oder Verkaufsflächen zu tun hat, läßt Eddie Healey am liebsten die Finger. Die Vielzweckarena in Oberhausens Neuer Mitte (13000 Sitzplätze), immerhin als Konkurrenz zur Dortmunder Westfalenhalle konzipiert, verpachtet der englische Developer auf 20 Jahre an einen Subunternehmer, die New Yorker Ogden Services. Das Unternehmen, in den USA führend in der Bewirtschaftung von Sport- und Konzerthallen, schafft damit den Einstieg in den deutschen Markt.
Das Ogden-Management überläßt nichts dem Zufall: Tourneen werden mit Musikern und Sportlern so ausgehandelt, daß sie möglichst viele Ogden-Standorte durchlaufen. Mit Pizza, Hotdogs und Getränken machen die Arenen der Firma Millionenumsätze. Vice-President Frank Russo: „Centro Oberhausen ist für uns das meistversprechende Projekt in Deutschland.“
Auch der Kino-Komplex in Oberhausen läuft unter amerikanischem Management: Die Firma des ehemaligen Disney-Managers Don Iwerks baut für 15 Millonen Dollar das Erlebniskino Cinetropolis mit den Attraktionen Fox Giant Screen Theatre (Imax-Filme auf 18-Meter-Leinwand). Turbo Ride (Kino mit Bewegungssimulation), Cinedrome (tagsüber Kino in 360-Grad-Rundprojektion, abends computergesteuerte Live-Video-Diskothek) und Virtual Adventures (Videospiele für Gruppen). Daneben plant Time Warner ein Multiplex-Theater für gewöhnliche Filme.
Titelgeschichte der Ausgabe 33/1994 der w&v werben & verkaufen