Bis heute war ich der festen Überzeugung, ich sei ein Familienvater. Immerhin haben meine Frau und ich zwei Kinder großgezogen, und wir sind entgegen allgemeinem Brauch auch nach 28 gemeinsamen Jahren immer noch zusammen. Da die Kinder aber aus dem Haus und zudem volljährig sind, bilden wir keine Familie mehr. Keine Familie im Sinne des Gesetzes – oder besser: keine Familie im Sinne der Familienpolitik unseres vorgeblich christlich-sozialen Landrats Thomas Eichinger.
Von wem ich das weiß? Von der Kassiererin des Lechtalbades, unseres schnuckeligen landkreiseigenen Naturfreibads mit angegliedertem Hallenbad. Wir wollten ihr eigentlich eine Saisonkarte abkaufen, was immer eine Wette auf gutes Wetter ist. Die Preisgestaltung dieses an die Freibadsaison gekoppelten Angebots ist leider etwas seltsam: Ein Single (oder eine Person, deren Angehörige sich nichts aus Freibädern machen) muss mindestens 30 mal für eine Stunde schwimmen gehen oder an 17 Tagen länger als eine Stunde auf dem Gelände verbringen, damit es sich lohnt. Wer nur nach Feierabend seine Bahnen im chlorfreien Wasser ziehen will, braucht also an mindestens 30 Tagen schönes Wetter samt kommoden Wassertemperaturen plus die Zeit, just dann schwimmen zu gehen.
Kenner des hiesigen Mikroklimas wissen, dass man in manchen Jahren den ganzen Juni vergessen kann. Fast jeden Abend duscht oder gewittert es, die Wassertemperatur kommt kaum über die 20-Grad-Marke. Im Juli ist es wechselhaft, und ab der zweiten Augustwoche fällt oft erstaunlich kalter Regen, begleitet von ziemlich frischen Brisen. Es 30 mal nach der Arbeit ins Freibad zu schaffen, ergo minimal zwei Mal pro Woche, ist aber bereits bei optimalem Wetter ein höchst sportliches Ansinnen.
Zum Glück, dachte ich, gibt es diese Familien-Saisonkarte, die wir hatten, als die Kinder noch klein waren und mit Mama und Papa schwimmen gingen. Sie lohnt sich bereits, wenn die Elternteile der Freiluft-Badeanstalt 44 einstündige oder 25 längere Besuche abstatten und die Kinder sich nie blicken lassen, weil sie keinen Bock auf ein Nicht-Spaß-sondern-Schwimm-Bad haben. Die Karte kostet immerhin 160 Euro – mithin genug, um sich zu ärgern, falls der Sommer wieder kein traumhafter wird, aber wenig genug, um das Risiko einzugehen und seinem internen Sauköter zu signalisieren, dass unsportliches Kläffen und Grunzen sinnlos ist. Wenn ich soviel Geld hinlege, habe ich nun mal den Ansporn und Ehrgeiz, damit am Ende einen guten Deal gemacht zu haben.
Tja, ist nicht. Für die Kassiererin sind Eltern, deren Kinder erwachsen sind, qua Dienstanweisung keine Familie mehr. Dass Sohn und Tochter noch in der Ausbildung sind und sich die Gesamt-Lebenshaltungskosten dessen, was ich bisher als „Familie Froitzheim“ bezeichnete, durch den Auszug der beiden erhöht haben (nicht nur, weil sie jetzt in andere Schwimmbäder gehen und dort vollen Eintritt bezahlen müssen), zählt nicht. Der Landkreis verlangt von uns beiden jetzt 60 Euro mehr als von einem Ehepaar, das ein, zwei oder drei minderjährige Kinder hat. Richtig: Wir werden behandelt, als hätten wir uns scheiden lassen. Jeder von uns zweien muss eine Single-Saisonkarte zu 110 Euro nehmen oder mit Einzelkarten vorlieb nehmen.
Ich meine mich zu entsinnen, dass es Herrn Eichingers Partei ist, die CSU, die all ihren Funktionären einen Textbausteinkasten für Sonntagsreden an die Hand gibt, dessen wichtigste Floskel der „Schutz von Ehe und Familie“ ist. Da lebt man genau das familiäre Ideal, das dieser Partei so wichtig ist, und zum Dank wird man aus der privilegierten Gemeinschaft der Begünstigten ausgestoßen, bevor auch nur die Unterhaltspflicht für die Kinder geendet hat.
Wir hätten ja noch Verständnis dafür, wenn die Preistafel so aussähe: Eine Person 110 Euro, Ehepartner 50 Euro, Kinder gratis. Oder: Alle Kinder einer Familie 160 Euro, Eltern gratis. Dass man einen Strafzuschlag dafür aufgebrummt bekommt, dass die Kinder groß sind, kann nicht sein. Ergo ist es umgekehrt: Die anderen Steuer- und Eintritt-Zahler subventionieren zum einen freien Eintritt für Kinder, zum anderen schenken sie aber auch jedem Schwimmer-Paar, das seine Kinder unter 18 Jahren anmeldet, 60 Euro – selbst dann, wenn ausschließlich die Eltern schwimmen gehen.
Man könnte viele Worte darüber verlieren, was für eine Frechheit und Respektlosigkeit das gegenüber älter werdenden Eltern ist, aber geschenkt. Es ist vor allem kaufmännisch strunzdumm: Ein Freibad-Betreiber müsste ein Interesse daran haben, möglichst viele Saisonkarten zu verkaufen – so wie Zeitungsverleger am liebsten Abonnements und Mobilfunkfirmen am liebsten Flatrates verkaufen. Die Einnahmen sind sicher, niemand kann das Eintrittsgeld wegen schlechten Wetters zurückfordern. Das Landratsamt könnte sein wetterbedingtes finanzielles Risiko wunderbar auf die Kartenkäufer abwälzen, wenn es dabei nicht so maßlos wäre. Wer Saisonkarten so kalkuliert, dass sie sich für einen Normalnutzer gerade noch mit Ach, Krach, Müh und Not halbwegs rentieren, schreckt zahlungsbereite Kunden ab. Wenn ich an jedem freibad-tauglichen Abend erneut entscheiden muss, nein, kann, wofür ich ein paar Euro ausgebe, fallen mir immer noch einige andere schöne Dinge ein.
Aber das kapieren Eichinger und seine Leute nicht. „Kundenbindung“ ist für Amtspersonen ein Fremdwort. Schade.