Suche nach dem Patent-Rezept

Aus technischen Innovationen Kapital zu schlagen, ist nicht trivial. Geldwerte Ideen sind flüchtig, ihr Schutz ist teuer und nie lückenlos. Deshalb muss jeder Hightech-Gründer seine persönliche Patentstrategie entwickeln.

Wer als kreativer Unternehmer-Neuling noch darauf vertraut, dass große Geschäftspartner sein geistiges Eigentum respektieren, ist nach einem Treffen mit Ulrich Benedum um eine naive Illusion ärmer. Der Münchner Patentanwalt hat in seinem Büro ein Corpus Delicti liegen, das belegt, dass ein Mittelständler heutzutage nicht einmal mehr auf die Ehrbarkeit von Kaufleuten zählen kann, die selber Schutz vor Dieben suchen. Der Streitgegenstand ist ausgerechnet eines jener „Tags“, wie sie Textilgeschäfte zur Warensicherung verwenden. Die Kopie ist vom patentierten Original nicht zu unterscheiden, Form und Farbe sind identisch. Die Manager der internationalen Handelskette, in deren Filialen der Patentinhaber das dreiste Plagiat entdeckte, waren nicht etwa arglos auf einen Produktpiraten hereingefallen: Sie hatten sich an einen chinesischen Hersteller gewandt, der das Teil billiger nachbaute. Um nicht von Ladendieben bestohlen zu werden, war der Händler quasi selbst unter die Diebe gegangen – und hielt Ideenklau wohl für ein Kavaliersdelikt.

Abwehrbereit zu sein tut also Not, auch wenn die Verrohung der unternehmerischen Sitten noch nicht so weit gediehen ist, dass Prozesse gegen Nachahmer zum täglichen Brot der Patentanwälte gehören würden. Benedum, Partner der britischen Traditionskanzlei Hazeltine Lake, führt einen oder zwei pro Jahr und liegt damit schon weit über dem Branchendurchschnitt. Wenige Hundert Fälle jährlich landen überhaupt vor deutschen Gerichten. „Ein Patent ist für Erfinder und Unternehmen eine Art Versicherung“, „Suche nach dem Patent-Rezept“ weiterlesen

Bremsklotz für Innovationen

Das Europäische Patentamt sollte innovative Unternehmen fördern, nicht behindern. Im Moment hat es aber vor allem mit sich selbst zu tun.

Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund, wenn auch beim zweiten Versuch nichts gelingt. Kommt jemand allerdings beim vierten Anlauf immer noch nicht zu Potte, ist die Grenze zur Peinlichkeit überschritten. Vor diesem Punkt steht gerade das Europäische Patentamt (EPA). Dessen Verwaltungs rat ist seit Oktober 2009 mit nichts anderem beschäftigt, als einen Nachfolger für die derzeitige Präsidentin Alison Brimelow zu wählen. Dreimal gingen die nationalen Emissäre in Klausur, dreimal gab es keinen Sieger, und nur eine verwegene Zockernatur würde viel Geld darauf wetten, dass es beim nächsten Treffen am 1. März besser läuft.

Unterläge das Epa den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, wäre das Problem längst gelöst – sei es per relativer Mehrheit oder per Stichwahl. Doch das Zeremoniell folgt, warum auch immer, katholisch-feudaler Tradition. Wie im Vatikan gucken die Eminenzen ihren neuen Primus bevorzugt „inter pares“ aus, dringt kein Mucks nach draußen, schaut kein Rechnungshof auf die Kosten. „Bremsklotz für Innovationen“ weiterlesen

Seid verschlungen, Millionen

Das deutsche System zur Förderung von Forschung und Entwicklung produziert Masse – und übersieht Klasse.

Deutschlands Keynesianer sind frustriert. Jahrzehntelang kamen sie nicht an gegen den Mainstream der Marktliberalisten. Jetzt hört man ihnen zu, doch es ist zu spät. „Wir könnten heute schlauer sein, wenn Forschungsgelder in der Vergangenheit anders verteilt worden wären“, empörte sich der Hamburger Volkswirtschaftsprofessor Arne Heise kürzlich in den „VDI Nachrichten“. Die Verantwortung sieht Heise bei den Peers – den Wissenschaftler-Kollegen, die als Gutachter und Gremienmitglieder bestimmen, wer Forschungszuschüsse aus der Staatskasse erhält: „Die achten darauf, dass die Gelder nicht an marginalisierte keynesianisch orientierte Ökonomen gehen.“

Ob die Volkswirte-Minorität, die eine stärkere Rolle des Staates propagiert, mithilfe generöser Projekt-Etats tatsächlich ein Patentrezept zur Rettung des Finanzsystems zuwege gebracht hätte, weiß niemand. Wer jedoch solche Vorwürfe als beleidigtes Nachtreten abtut, macht es sich zu einfach. Heise spricht aus, was im Wissenschaftsbetrieb kaum jemand zugibt: Das mehr als 300 Jahre alte Prinzip anonymisierter Peer Reviews ist seinem Anspruch, die Qualität der Forschung durch ein System kollegialer Selbstkontrolle zu gewährleisten, längst nicht mehr gewachsen.

Dass die Art, wie Peer Review in Deutschland praktiziert wird, einem strukturellen Konservativismus Vorschub leistet, ist kein neuer Befund. Gutachter werden danach ausgewählt, dass sie viel vom Fachgebiet des Antragstellers verstehen. Das geht meist nur so lange gut, wie die Ziele des Antragstellers nicht mit der Lehrmeinung des Gutachters kollidieren. Die naheliegende Lösung, eine Berufungsinstanz zu schaffen, ist bei den Professoren unpopulär: Diese Hintertür stünde nicht nur verkannten Querdenkern offen, sondern auch der Masse von Mittelmäßigen, deren minderwertige Anträge zu Recht ausgesiebt wurden. Und noch mehr Arbeit mit dem ehrenamtlichen Job der Peer Review ist das Letzte, was die Hochschullehrer brauchen können. Der Zeitaufwand, den ihnen Förderanträge der Kollegen bescheren, ist in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen eskaliert, dass ihre eigene Arbeit massiv darunter leidet. Parallel dazu wächst das Aufkommen an wissenschaftlichen Publikationen, die irgendwer prüfen muss. Kein namhafter Forscher kann sich der  Verpflichtung entziehen, als Mitglied des Herausgeberbeirats eines renommierten Zunftblattes fremde Forschungsberichte durchzuackern.

Vollends absurd wird das System dadurch, dass für die Forschungsevaluation auf dem Campus viel strengere Maßstäbe gelten als außerhalb. Während die in „Exzellenz“-Wettläufe gezwungenen Unis ihre besten Leute in wahren Evaluationsorgien verschleißen, fließen unter viel laxeren Bedingungen ungleich höhere Summen in die F&E-Abteilungen der Industrie. So sponsert das Bundeswirtschaftsministerium in einem „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ derzeit „technologieoffen“ alle möglichen Projekte, die irgendwie nach Fortschritt klingen. Hauptsache, der Antragsteller trägt zwei Drittel der Kosten selbst. Das Bundesforschungsministerium wiederum delegiert die Verteilung seiner Fördermilliarden traditionell an Projektträger, deren Sachbearbeiter einen großen Entscheidungsspielraum genießen. Und auch beim industriefreundlichen 7. Forschungs-Rahmenprograrnm der EU geht es lockerer zu als im deutschen Wissenschaftsbetrieb: Als Evaluator kann sich jeder Europäer bei der Kommission bewerben; die von den Brüsseler Beamten für kompetent und proporzkonform befundenen Experten erhalten im Gegensatz zu den ehrenamtlichen Peers der Deutschen Forschungsgemeinschaft sogar eine Aufwandspauschale von 450 Euro pro Tag.

In Deutschland gilt eine Bezahlung der Reviewer-Jobs als nicht finanzierbar. Das Selbstverständnis der Peers verlangt aber ohnehin nach einer anderen Entlohnung: Respekt, Reputation und frei verfügbare Zeit sind den Wissenschaftlern wichtiger. Vielleicht liegt der Schlüssel in einer Öffnung der hermetischen Forscherwelt, wie sie das Open -Access-Lager forciert. Bei der „Collaborative Peer Review“ stellen Forscher ihre Ergebnisse im Internet zur Diskussion. Eine junge Avantgarde hofft, so die Zwänge des Publish-or-perish-Prinzips – publizieren oder untergehen – zu überwinden: Gutachter dürfen aus der Anonymität heraustreten und mit konstruktiven Kommentaren Renommeepunkte sammeln. Überflüssigen Alibi-Publikationen mit marginalem Erkenntnisgewinn, die sowohl Autoren als auch Reviewern Zeit stehlen, würde der Boden  entzogen. Zugleich hätten etablierte Platzhirsche weniger Macht, neues Denken auszubremsen.

Der Charme dieser Idee reicht weit über die professoralen Ranking-Rituale hinaus, bei denen heute Omnipräsenz vor Kompetenz kommt. Wenn sich die Forscherelite nicht mehr im Leerlauf aufreiben muss, hat sie die Köpfe frei, um sich auf neue Ideen einzulassen – und über wirklich innovative Projektvorschläge der Hochschulkollegen mit der gebotenen Gründlichkeit und Unvoreingenommenheit nachzudenken. Vielleicht kommen unsere Akademiker bei der Gelegenheit sogar auf den ketzerischen Gedanken, dass die Verpflichtung zur Drittmittelakquise sie in fatale Abhängigkeiten geführt hat. Womöglich wäre es ja umgekehrt sinnvoll, künftig die aus Steuermitteln bezahlten Experten zu Rate zu ziehen, bevor der Staat der Industrie Milliarden für angeblich zukunftsweisende Technologie-Vorhaben zuschießt. Dass die Wirtschaft ihr Kapital nicht immer weise investiert, haben wir schließlich erlebt.

Erschienen in Technology Review 5/2009

Alle Augen auf GERD

Die Bundesregierung möchte deutlich mehr Geld für die Forschungsförderung ausgeben. Wichtiger wäre aber eine Reform der Vergabepraxis: Das aktuelle System ist kaum zu durchschauen und begünstigt die Großunternehmen

Hagen Vogel hat dem Gros der deutschen Mittelständler etwas voraus: Sein Unternehmen bekommt Geld aus einem Fördertopf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Warum auch nicht, schließlich leistet er laut der offiziellen Statistik einen Beitrag zur „Forschung und Entwicklung zur Daseinsvorsorge“. Konkret besteht Vogels Aufgabe darin, die Teilnehmer von bildungspolitischen Sitzungen mit belegten Brötchen zu versorgen. Dafür sind für den Inhaber der „Berliner Backstuben“ im Rahmen des „Pakts für Hochschulen“ Fördermittel von 575 Euro über zwei Jahre vorgesehen.

Vogel hat nach eigenem Bekunden keine Ahnung, wie er in den Augen des Ministeriums vom Schrippenlieferanten zum Zukunftssicherer werden konnte. Damit ist er einerseits völlig untypisch – normalerweise müssen sich Förderwillige höchst bewusst durch Formulare arbeiten, bevor sie auf Geld vom Staat hoffen können. Andererseits ist Vogels Beispiel zwar extrem, aber durchaus reprasentativ für die deutsche Förderlandschaft: Wer sich näher mit ihr beschäftigt, stößt auf zweifelhafte Projekte und Mogelpackungen. „Alle Augen auf GERD“ weiterlesen

Hoher Geräuschpegel*

* erschienen unter „Geld sparen“

Virtuelle Seminare, Studium per Netz – Reformer wollen den Lehrbetrieb effizienter gestalten.

Studenten kennen das Ritual: Semester für Semester referieren Professoren immer gleiche Texte, deren Inhalt sich in schriftlicher Form viel besser aufnehmen ließe. Für den Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer gehört dieser Urtypus des Frontalunterrichts ins Museum. „Die Vorlesung ist antiquiert“, wettert Scheer. „Sie stammt aus der Zeit, als es noch keine Bücher gab.“

Scheer, der an der Saarbrücker Universität lehrt und zugleich ein erfolgreiches Softwareunternehmen führt, ist längst weiter. Sein Lehrbuch über Wirtschaftsinformatik ist komplett auf einem Universitätsrechner gespeichert. Die Studenten können sich die Texte per Datenleitung jederzeit auf den eigenen Rechner laden und durchackern. Zudem hat Scheers Lehrstuhl im Internet eine Plauderecke eingerichtet, in der die Studenten via elektronischer Post (E-Mail) fachsimpeln.

Wie Scheer suchen auch andere Hochschullehrer nach Wegen, den schwerfälligen Lehrbetrieb an den Universitäten effizienter zu gestalten. Dabei setzen die Reformer auf die Nutzung neuester Informations- und Kommunikationstechniken. Ganze Arsenale von multimediafahigen Personalcomputern (PC), leistungsstarken Workstations und Videokonferenzsystemen sollen im Verbund mit schnellen Datennetzen die Dozenten von Routinetätigkeiten entlasten, den Studenten mehr Lernautonomie verschaffen – und obendrein die Kosten senken. „Unsere halb bankrotten Universitäten könnten mit einem systematischen Einsatz moderner Kommunikationstechniken viel Geld sparen“, glaubt Peter Glotz. Der SPD-Vordenker baut derzeit als Gründungsrektor die Universität Erfurt auf.

Die Befürworter sehen weitere Vorteile in der Vernetzung. Die Studenten erschließen sich via Internet das Wissen dieser Welt, statt in der Universitätsbibliothek nach längst inaktuellen Büchern anzustehen. Sie schalten sich von zu Hause aus in Vorlesungen und Seminare ein, statt in überfüllten Hörsälen zu sitzen. Bei den Überlegungen steht das pragmatische Konzept der Fernuniversität Pate: Egal, wo und wann die Studenten lernen – Hauptsache, sie beherrschen hinterher den Stoff.

Der Weg zur virtuellen Universität ist allerdings noch weit. Erst einmal sind multimediale Lehrveranstaltungen selbst Gegenstand der Forschung: Was ist die beste Technik? Welche Konzepte sind unter welchen Bedingungen rentabel? Wie muß sich die Didaktik ändern, damit die technischen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden?

Ermutigt durch eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz, neue Kommunikationsmedien stärker für die Lehre zu nutzen, sammeln einige Universitäten erste Praxiserfahrungen. Ob Seminar, Vorlesung oder Tutorium, ob Hörsaal oder Übungsraum – das gesamte Hochschulvokabular bekommt Doppelgänger mit dem Präfix „Tele-“ oder „virtuell“. Eine Erhebung der Rektorenkonferenz zeigt allerdings, daß der Einsatz elektronischer Lernrnedien in den Fachbereichen noch stark auseinanderklafft. Während Informatiker, Physiker und Mathematiker Computer und Internet beinahe wie selbstverständlich nutzen, machen Juristen und Mediziner kaum davon Gebrauch (siehe Grafik Seite 187).

Im vergangenen März führte der Lernpsychologe Hermann Körndle von der Technischen Universität Dresden auf der Computermesse Cebit beispielhaft vor, wie der Studierplatz 2000 aussehen könnte: Als wäre die Uni ein Dienstleister und der Student ihr Kunde, soll dieser künftig in seiner Wohnheimbude online Zugriff haben auf die gesamte Pflichtlektüre seines Studiengangs. Die Dozenten sind verpflichtet, ihre Skripts mit weiterführenden Quellen im Internet zu verbinden. So verplempern die angehenden Akademiker keine Zeit mehr mit Lektürebeschaffung in Büchereien und Bibliotheken. Sie können tagsüber jobben und unabhängig von Öffnungszeiten und starren Seminarterminen ihr Studium vorantreiben – sogar mitten in der Nacht.

Was Körnle „effizientes Studieren“ nennt, würde den Lehrbetrieb an den Hochschulen völlig umkrempeln. Dozenten und Professoren müßten ihr Lehrmaterial komplett neu aufbereiten, die Studenten ihre gewohnte Rolle als passive Rezipienten verlassen. Per Internet durchstöbern
sie vielmehr Datenbanken auf der Suche nach aktuellem Wissen. Sie bestimmen Lemtempo, Lernort und Lernschwerpunkte weitgehend selbst – ungehindert von übereifrigen oder begriffsstutzigen Kommilitonen.

Mit dieser aktiven Rolle kommen längst nicht alle zurecht. Nach ersten Erfahrungen mit kursbegleitenden Internet-Diskussionsforen attestiert Jürgen Ewert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bank- und Finanzwirtschaft an der Fernuniversität Hagen, den Studenten eine gewisse Medienscheu. Gerade ein Prozent der 8500 eingeschriebenen Teilnehmer habe sich per E-Mail zu Wort gemeldet.

Ähnlich ernüchternde Erkenntnisse sammelte vor zwei Jahren das Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem virtuellen Seminar. Die Teilnehmer hätten sich über E-Mail „eher selten“ ausgetauscht, resümieren Professor Heinz Mandl und sein Doktorand Nicolae Nistor. Bei einer Befragung am Semesterende stellte sich heraus, daß einige Studenten Angst hatten, sich mit naiven Fragen zu blamieren und dies auch noch schriftlich vor aller Augen zu dokumentieren.

Mittlerweile scheinen sich solche Ängste abzubauen. Die Münchner verzeichnen neuerdings eine „hohe Akzeptanz“ – vor allem bei Studenten, denen erst die freie Zeiteinteilung das Studium ermöglicht, etwa alleinerziehenden Müttern. Nach dem fünften Tele-Semester weiß Nistor aber auch, daß nicht jeder mit dem elektronischen Lernen klarkommt. „Ob die Teilnehmer sich zurechtfinden, hängt mit ihrer Einstellung zum Computer zusammen“, erläutert der Wissenschaftler. „Es brechen vor allem die ab, die diese Art von Kommunikation langweilig finden.“

Tatsächlich müssen die virtuellen Studiosi schon viel Enthusiasmus mitbringen, um nicht vor den Tücken der noch unausgereiften Technik zu kapitulieren. Britta Schinzel etwa, Professorin am Institut für Informatik und Gesellschaft in Freiburg, blieb nichts anderes übrig, als ihre Televorlesung auf die unchristliche Zeit von acht Uhr morgens zu legen. Zu einer späteren Stunde hätte das einsetzende Datengewimmel im Wissenschaftsnetz die Bildübertragung der Vorlesung zum Glücksspiel macht. Zumal auch noch Übertragungskapazität für eine elektronische Tafel benötigt wurde, auf der die Professorin ihre Ausführungen mit Grafiken und Schaubildern erläuterte.

Der Bonner Informatiker Volker Wulf, der das Projekt im Breisgau mit aufgebaut hat, zieht aus dem Engpaß die Konsequenz: „Wir brauchen reservierte Bandbreiten, um virtuelle Vorlesungen zu jeder Zeit störungsfrei abhalten zu können.“ Das Problem: Reservierungen sind im Internet nicht vorgesehen. Der Dresdner Professor Alexander Schill, zuständig für die Rechnernetze an der dortigen Universität, testet zwar mit Unterstützung des Computerherstellers Digital diese Möglichkeit, doch wird sie frühestens zur Jahrtausendwende funktionieren.

Vor allem Bildübertragungen strapazieren die knappen Netzressourcen. Das zeigen Versuche in Bayern und Thüringen, wo sich Universitäten aus Kostengründen Professoren teilen. Damit sie nicht zwischen den Studienorten pendeln müssen, werden Vorlesungen und Seminare via Netz übertragen. Wenn jedoch das Bild etwa des Jenenser Professors in Ilmenau oder Weimar auf der Projektionsfläche erscheint, sind bereits bis zu 30 Prozent der 34-Megabit-Datenrennstrecke des Breitband-Wissenschaftsnetzes (BWin) okkupiert.

Das ist nicht das einzige Problem. Bei der Freiburger Fernvorlesung fiel Mitinitiator Wulf auf, daß ohne Aufsicht die Disziplin in den zugeschalteten Hörsälen schnell flöten ging. Wulf: „Die Studenten waren weniger aufmerksam als in normalen Vorlesungen, der Geräuschpegel war höher, und manche verschickten auf ihren PC lieber E-Mails, als dem Stoff zu folgen.“

Besser sind da die Erfahrungen, die der Saarbrücker Hochschullehrer Scheer mit interaktiven Lerngruppen gesammelt hat, in denen Studenten Themen via Internet gemeinsam bearbeiten. „Die fangen sofort an zu meckern, wenn das System mal acht Tage lang nicht aktualisiert worden ist“, berichtet Scheer. „Ein besseres Zeichen für die Akzeptanz kann es nicht geben.“

Scheer mahnt die hiesigen Universitäten, nicht den Anschluß an internationale Entwicklungen zu verpassen. So steigen in den USA immer mehr renommierte Universitäten wie Stanford, Harvard oder die wiederbelebte New York University in den Weiterbildungsmarkt ein. Karrierebewußte aus aller Welt können dort via Fernstudium gegen Gebühren Zusatzqualifikationen erwerben. Scheer will mit seinem Institut in diesem Geschäft ebenfalls reüssieren. Aus seiner Beratungstätigkeit, unter anderem für den Walldorfer Softwarekonzern SAP AG, weiß er, daß der Bedarf steigen wird. „Die Firmen verlangen zunehmend, daß sich Mitarbeiter auch in ihrer Freizeit weiterbilden.“ Scheer will die Mühe mit Programmen belohnen, bei denen das Lernen durch die Einbeziehung spielerischer Elemente Spaß macht.

Das wäre allerdings eine Revolution: Mit Unterhaltsamkeit hatten deutsche Professoren sich bislang noch keinen Namen gemacht.

ULF J . FROITZHEIM

 

aus der WIRTSCHAFTSWOCHE NR. 42/1997