Management by helicopter

Heute zitiere ich ausnahmsweise mal die „Bild“, denn Nachrichten wie diese gehören einfach auf den Boulevard.

 „Ich habe in den Jahren bei Arcandor 200 von 625 Flügen selbst bezahlt und dafür rund 2,5 Millionen Euro aufgewendet. Ich kenne keinen Vorstandschef, der sich in diesem Umfang privat an Kosten beteiligt hat. Schon das widerlegt das Bild der Staatsanwaltschaft, dass ich systematisch in die Kassen des Unternehmens gegriffen hätte.“

Na gut, dann hat er halt ohne System hineingelangt. Aber wo er Recht hat, hat er Recht: Auch ich kenne keinen anderen angestellten Topmanager, der so gerne fliegt, dass er am Freitagabend von den ganzen Geschäftsflügen noch immer nicht genug hat, sondern in seiner kargen (?) Freizeit noch mal fast die Hälfte zusätzlich um die Welt düst und dafür in weniger als fünf Jahren den Inhalt eines mittelgroßen Lotto-Jackpots raushaut.

Ich kenne auch keinen Boss diesseits von Wall Street, dem ich es zutrauen würde, in vier Jahren und acht Monaten hochgerechnet 7,8 Millionen Euro zu verfliegen. Ich kenne keinen, der sich nicht schämen würde, wenn herauskäme, dass er durchschnittlich 12500 Euro pro Flug verjubelt, während seine Läden vergammeln und die Verkäuferinnen um ihre Jobs bangen, weil kein Geld für Investitionen übrig ist. Ich will solche Leute auch gar nicht kennen. Ich weiß nur: Die gehören nicht in den Knast, die gehören in die Therapie.

Verschwendungssucht ist eine Krankheit, und wer unter ihr leidet, braucht eine Entziehungskur – am besten, wenn es so etwas gäbe, in einer Geldentziehungsanstalt. Nach der obligatorischen Eingangsenteignung müsste der Patient von früh bis spät schuften. Sobald man ihm den Lohn ausbezahlt hätte, käme ein Beamter und knöpfte es ihm wieder ab. Eines Tages dürfte er jeden Abend einen Cent behalten, ein paar Monate später ein Zehnerl, nach einem Jahr einen Euro. Auf Bewährung. Nach zwei Jahren käme er in den Genuss des Hartz-Regelsatzes, müsste davon der Klinik aber Kost und Logis bezahlen. Nach der Entlassung aus seiner dreijährigen Kur wüsste er mit Geld vermutlich besser, sprich: verantwortungsbewusster umzugehen als ein Arcandor-Chef.

Leider hat unser Strafrecht nur Gefängnisse zu bieten, und was die zur Resozialisierung abgehobener Überflieger beitragen können oder nicht, kann das Volk in Landsberg am Beispiel eines bekannten fränkischen Wurstfabrikanten studieren.

Zweimal bin ich Thomas Middelhoff begegnet – einmal in den Neunzigern, als er bei Bertelsmann als Rechte Hand von Mark Wössner jobbte. „Big T“ hielt auf einem Medienkongress in Nürnberg einen derart hölzernen Vortrag, als hätten die Mohns den Etat für Rhetorikseminare gestrichen. Ich war schwer unterwältigt. Als ich ihm das zweite Mal begegnete, war er quasi mein Oberboß. Das war in Köln, bei der G+J Wirtschaftspresse. Wössner-Nachfolger Middelhoff ließ sich mit der Belegschaft ablichten – grinsend mit einer „BIZZ“-Schirmmütze auf dem Kopf. Einige Wochen später fiel BIZZ einer Sparrunde zum Opfer.

Heute frage ich mich unwillkürlich, welches Spesenbudget ihm zu seiner Bertelsmann-Zeit zur Verfügung stand. Es wäre vermutlich eine hübsche Kabarettnummer gewesen, seine Ticketkosten den typisch Grunerschen Sparkonzepten à la „CAP“ („Costs and Processes“) gegenüberzustellen, in denen nicht nur geregelt wurde, dass statt 0,2-Liter-Wasserflaschen die vom Literpreis her günstigeren 0,7-Liter-Flaschen zu ordern seien, sondern auch lustige Reiseregeln: Eines Tages wurde die Fahrtkostenpauschale ab dem 201. Kilometer von 30 auf 15 Cent gaCAPt. Schon früher hatte ich Ärger bekommen, weil ich mich erdreistet hatte, als freier Mitarbeiter einen Vectra zu mieten, der nach dem Sixt-Großkundentarif elf Mark pro Tag teurer war als ein Golf. Diese Klasse stehe nur Ressortleitern zu.

Zurück zu Big T. Der hätte nach seinem Wechsel von Bertelsmann (wo er mit mehr Glück als Verstand sein toxisches Fehlinvestment in AOL noch rechtzeitig mit Gewinn weiterverscherbeln konnte) zu Karstadt eigentlich merken müssen, dass in Essen nicht so viel Kapital herumlag wie in Gütersloh. Und dass auch diese Firma ihm nicht gehörte. Wie schreibt die Bild so unnachahmlich:

„Es ging aber auch um vergleichsweise billige Hubschrauberflüge zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Arcandor-Zentrale in Essen zum Stückpreis von etwas mehr als 3000 Euro, mit denen Middelhoff auf dem Weg zur Arbeit dem Stau am Kamener Kreuz entgehen wollte.“

 

Schade, Herr Middelhoff!

Warum der Karstadt-Chef in der schönen Welt des E-Commerce gar keine gute Figur macht.

Treue zahlt sich aus, jedenfalls für den, der den Unternehmen seines Vertrauens ein paar personen bezogene Daten überlässt. So belohnt mich die Deutsche Bahn mit Bonus-Punkten dafür, dass ich von Augsburg nach Berlin den ICE nehme und nicht den TGV. Mein Lieblingsdrogeriemarkt gibt mir per Payback-Card ein Prozent Naturalrabatt auf alles. Und Karstadt und Telekom sichern mir per „Happy Digits“ den Nachschub an Teigschabern, Pfeffermühlen und Küchenmessbechern.

Neuerdings sind Bahn und Karstadt auch per Social Software nett zu mir. Pünktlich haben mir die Customer-Relationship-Manager zum Geburtstag gratuliert und der E-Mail sogar je 100 Geschenkpunkte angehängt. Nun war den Managern meines Lieblingswarenhauses wohl klar, dass meine Freude über diesen Glückseuro aus der Portokasse sich in Grenzen halten würde, und legten als Zusatzbonus noch einen Link drauf, mit dem ich mir einen Coupon über zehn Prozent Sonderrabatt ausdrucken könne. Tja, war wohl nix: Das Verfallsdatum des virtuellen Gutscheins war am Tag der Zustellung um zwölf Tage überschritten.

Nun ist man als Stammkunde – pardon: Teilnehmer eines Customer-Loyalty-Programms – natürlich nett und meldet Softwarebugs, selbst wenn die interessantesten Angebote (Multimedia!) vom Bonus exkludiert sind. Das Formular im Web akzeptiert indes nur Kurzbeschwerden – bei „Mit freundl“ ist Schluss mit Meckern. Milde belustigt klicke ich halt ohne „ichen Grüßen“ auf „Senden“ – und sehe rot: „Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben bei: Ihre Nachricht.“

So bleibt a) die Reklamation ungesendet und b) ein Deja-vu-Gefühl: War Karstadt nicht die Firma, die im Herbst 2005 aus dem Download-Portal Musicload ausstieg und mitteilte, man möge die bezahlten „Credits“ rasch verbrauchen, damit sie nicht verfallen, was dann aber misslang, weil der Server weder das alte Passwort noch das eigens angeforderte Ersatzpasswort akzeptierte? War Karstadt nicht die Firma, die Abermillionen in den Onlineshop-Flop myworld.de versenkte? Bemühte sich nicht in etwa zur selben Zeit der Bertelsmann-Ableger BOL nach Kräften und höchst erfolgreich darum, ebenfalls Millionen für ein sinnloses Online-Abenteuer zu verschwenden? Hat nicht Karstadt den Ableger Neckermann zu neckermann.de umgemodelt, nur um ihn jetzt doch abzustoßen?

Wissen Sie, was das alles ist, Herr Middelhoff? Traurig, einfach nur traurig.

Aus der Technology Review 1/2007, Kolumne FROITZELEIEN

MY WORLD: Karstadts einstürzende Neubauten

MyWorld2

Gut ein Jahr ist es her, da ließ Karstadt-Vorstandsmitglied Klaus Eierhoff im Internet ein merkwürdiges Ensemble von Hochhäusern errichten, an denen weder die Proportionen stimmten noch die Perspektive, von der architektonischen Ästhetik ganz zu schweigen. An den Bauwerken hingen als Fremdkörper Firmenembleme etwa von Sega und Dual, Talkline und IBM, und das Ganze nannte sich „My World“.

Nun geht Eierhoff zu Bertelsmann, und prompt hat Karstadt die virtuellen Wolkenkratzer aus dem Weg geräumt. Erst kurz zuvor hatte ein Schweizer Markenexperte im Fachblatt „werben & verkaufen“ den Karstadtschen Web-Auftritt verbal hingerichtet. Die neue „My World“ hat mit der alten bis aufs Logo kaum noch Ähnlichkeit. Die eigentliche Schwäche besteht indes weiter: Man findet nicht die Waren, die man sucht, und zu den Waren, die man findet, nicht die Informationen, die man sucht. Wer einen PC bestellen will, stößt erst einmal auf exotische Betriebssystem-Upgrades und Motherboards, und hat er einen PC gefunden, wirft die Datenbank wirre Dinge aus wie „Festplattenkapaz:>1000“. Unter „Geschenktips“ wimmelt es von Staubsaugern, Bügeleisen und ähnlich anzüglichen Präsenten. Daß es den Partyservice nur in vier Städten gibt, erfährt man erst, nachdem man seine Postleitzahl übermittelt hat. Immerhin steht über der enttäuschenden Antwort fett das Wort „Entschuldigung!“. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht weniger erstaunlich, daß die profane „My World Uhr Limited Edition“ (DM 89,95), die zur Funkausstellung in limitierter Auflage von 330 Stück erschien, auch zwei Monate später noch vorrätig war.

 

ONLINE-LÄDEN: Keine Chance für Drücker

GO-KopfEntwarnung für Fachhändler: Der Einkaufsbummel in Internet, AOL & Co. läßt die Kundschaft bislang kalt. Grund: Push-Marketing zieht bei den Onlinern nicht.

 

Eberhard Schöneburg
Eberhard Schöneburg

Eberhard Schöneburg träumt von der Börse. Offenbar beflügelt vom Ansturm auf die T-Aktie, will der Fachhochschulprofessor aus Friedrichshafen schon in naher Zukunft selbst Anteilsscheine unters Volk bringen. Derzeit gehören ihm als Gründer der Neurotec Hochtechnologie GmbH in Oberursel zwar nur zehn Prozent seiner Firma; der Rest liegt zu gleichen Teilen bei der Berliner Elektroholding (BEH) und der Karstadt AG. Doch Schöneburg ist sich seines Erfolgs so sicher, daß er demnächst einen seiner Finanziers auskaufen will, um sodann mit frischem Kapital von der Börse auf Expansionskurs zu gehen.

Ob die Rechnung des ehrgeizigen Informatikers aufgeht, hängt in erster Linie von den deutschen Internet-Surfern ab: Nur wenn viele von ihnen oft genug die Web-Adresse www.my-world.de in ihren Browser tippen, kann Neurotec auf genügend Folgeaufträge bauen.

Karstadt glaubt an den Erfolg von „My World“

Wenn die imaginäre Einkaufsstadt mit der fremdartigen Architektur eine nennenswerte Stammkundschaft an sich bindet, muß Karstadt-Vorstand Klaus Eierhoff jenen 65 Millionen Mark nicht nachtrauern, die er im vergangenen Frühjahr für seinen Vorstoß in den Cyberspace bei Konzernchef Walter Deuss lockergemacht hat – „ohne  Wirtschaftlichkeitsrechnung“, wie Schöneburg betont. „ONLINE-LÄDEN: Keine Chance für Drücker“ weiterlesen

FRANCHISING – Nichts für Amateure

Mit Cyber-Cafes fing es an. Dann kamen Spielhallen, Web-Läden und  Surfschulen für Privatleute und Firmen. Nachahmer sind durchaus erwünscht: Die Konzepte sind käuflich. Potentielle EXISTENZGRÜNDER aber halten sich noch zurück.
Cybersmith
Gast im Cybersmith Boston, 1995

Der Typ jugendlicher Surfer war Marshall Smith gewiß nicht, als er beschloß, seinen Lebensunterhalt fortan im Cyberspace zu verdienen. Der amerikanische Geschäftsmann kapierte anfangs nicht einmal, was dieses ominöse „World Wide Web“ überhaupt sein sollte. Aber mit 62 Jahren fühlte er sich zu jung, um eine vielversprechende Marktchance ungenutzt zu lassen.

Und die sah er klar vor sich: Noch vor dem Höhepunkt jenes großen Medienrummels, der die Metamorphose des Hochschulnetzes zum Freizeitmedium begleitete, stand sein Konzept für „Cybersmith„, die erste Online-Café-Kette in den USA. Während Bürgerrechtler von Key West bis Seattle über den freien Zugang aller Gesellschaftsschichten zu den Wissensschätzen des Internets theoretisierten, dachte Smith längst an harte Dollars. Und an zahlungskräftige Gäste: Jungvolk aus der Mittelschicht, dessen liebstes Spielzeug der Computer ist.

Dem Geld dieser Klientel jagen heute Nachahmer in aller Welt hinterher – „FRANCHISING – Nichts für Amateure“ weiterlesen