2,53 Promille Payback: dm verkauft Stammkunden für blöd

Seit über 30 Jahren war ich, von Petitessen abgesehen, ein sehr zufriedener dm-Kunde. Ab sofort hat in Karlsruhe allerdings nicht mehr der langjährige Geschäftsführer Erich Harsch das Sagen – er wechselt zu Hornbach – sondern Christoph Werner, der Sohn des dm-Gründers Götz Werner. Und der ist zum Einstand gerade drauf und dran, die Kundenbindung kurz und klein zu hacken, die sein Vater und Harsch aufgebaut hatten.

So war dm vor 20 Jahren die Handelskette, die dem Loyalty-System Payback zum Erfolg verhalf. Man bekam ein Prozent des Umsatzes in vollen DM oder Euro in Form von Bonuspunkten gutgeschrieben, und bei dm war das ein echter Naturalrabatt (bzw. ein Natural-Skonto): Man konnte mit den Punkten einkaufen.

Freuen Sie sich auf halbierte Punkte!

Eigentlich sind 20 Jahre Zusammenarbeit im Marketing ein legitimer Anlass zum Feiern. Sie sollten aber kein Anlass für die Partner sein, ihre gemeinsamen Kunden zu vergackeiern. Genau das tun Payback und Werner junior gerade mit vereinten, aber leider völlig irregeleiteten Kräften.

„Punktiläum“ nennen sie – ha, ha, ha – das Punkte-Jubiläum, und sie nehmen dieses zum Anlass, aus Punkten Pünktchen zu machen. Gab es bis jetzt für jeden Euro einen Punkt, ist es künftig nur noch ein Punkt je volle zwei Euro. Das heißt: Kaufe ich für 3,95 Euro ein, schreibt mir dm statt drei Cent nur noch einen Cent gut. Das Skonto beträgt dann 0,253 Prozent – was mich an die Zinsentwicklung bei Tagegeldkonten Anfang/Mitte der Zehnerjahre erinnert. Mal ehrlich: Ist ein Cent Nachlass auf vier Euro (Schwellenpreis) noch ein Kundenbindungsinstrument oder schon eine rotzlöffelige Beleidigung? Sehen Sie, wir sind uns einig.

Zum Start in die Reduktion des Skontos zur Quantité négligeable schießt der Nachwuchswerner eine Doppel-Nebelkerze in die Silvesternacht: Bis zum 31.12. darf man noch einen Einkauf mit 10-fach-Punkten tätigen, für die Tage nach Neujahr folgt ein Coupon mit 20-fach-Punkten. Das soll offenbar aussehen, als sei es ein Geschenk an die Kunden, dabei ist dieser Coupon natürlich nicht mehr, sondern sogar ein klitzekleines bisschen weniger wert als der von 2019 mit den 10-fach-Punkten.

Wer jetzt mich für den Pfennigfuchser hält, verkennt die Lage: Nicht ich mache mit halben Cents herum, sondern das neue dm-Management. Es folgt damit dem schlechten Beispiel von Aral und Rewe.

Jetzt ist es aber so, dass die Payback-Punkte nie ein echtes Skonto oder eine Treueprämie waren wie Tante Emmas gute alte Rabattmarke. Sie waren eine Gegenleistung für die Daten über mein Einkaufsverhalten. Ich habe mich einverstanden erklärt, mich ausmarktforschen zu lassen, dafür konnte ich von Zeit zu Zeit meinen Einkauf mit Punkten bezahlen. Es war ein Deal, eine Win-Win-Geschichte nach dem Prinzip „Kleinvieh macht auch Mist“.

 

Dabei war eigentlich schon ein Prozent vom Umsatz erbärmlich wenig Gegenwert für die Daten, weshalb ich per Mischkalkulation die halbwegs regelmäßigen 5-fach-Punkte-Aktionen für Vorratskäufe nutzte und so unter dem Strich halbwegs den drei Prozent im Laden von Tante Emma selig nahekam. Aber künftig sind dm’s 5-fach-Punkte nur noch 2,5-fach-Punkte, und bei Bonsummen mit ungerader Zahl auf der letzten Euro-Stelle nicht einmal mehr das.

Damit ist der Deal für mich keiner mehr. Ja, ich geb’s zu, ich war ein käuflicher Kunde. Aber die neuen Konditionen sind derart kleinstkrämerisch, dass es mein Reststolz als Verbraucher mir verbietet, mich für diese Kinkerlitzchen noch korrumpieren zu lassen.

Deshalb, lieber Christoph Werner, kaufe ich jetzt mit den Zehnfachpunkten noch ein letztes Mal groß ein, in der Hoffnung, dass es wirklich nur Produkte sind, bei denen Ihre Nettomarge unter zehn Prozent liegt. Ich kaufe Ihrer Filiale bei allem, was sich lange hält, die Regale leer. Und dann schaffe ich meine Payback-Karte ab und wechsle auf die andere Straßenseite in Erwin Müllers Drogerie. Jedenfalls solange, wie mir Herr Müller auf jedem Kassenzettel nach alter Kaufmannssitte drei Prozent Skonto für den nächsten Einkauf innerhalb ein bestimmten Frist gutschreibt.

Kundenentbindung bei Edeka

Als Wirtschaftsjournalist macht man sich gerne über die Betriebsblindheit anderer lustig, dabei ist man selbst nicht davor gefeit. Unsereiner befasst sich soviel mit Managementmethoden, Kundenbindungsprogrammen, Reputationsmanagement, Markenwerten und auch konkreten Best-practice-Beispielen, dass er irgendwann glaubt, das alles müsse sich mittlerweile auch unter den real existierenden Kaufleuten herumgesprochen haben, weil diese doch bestimmt lesen, sich fortbilden und Gedanken darüber machen, was eigentlich der Sinn und Zweck ihrer Arbeit ist. Und welche Rolle der Kunde dabei spielt.

Unsere örtliche Edeka-Kauffrau hat mich vorige Woche auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Man muss zum Verständnis der Geschichte wissen, dass Kaufering zwar kaum mehr als 10.000 Einwohner hat, aber eben doch nicht nur eine Marktgemeinde ist, sondern eine veritable Supermarktgemeinde. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich nahe der alten Bundesstraße 17 (von Nord nach Süd) Rewe, Lidl, Edeka, Netto und Aldi aneinander. Auf vielleicht einem Kilometer Strecke ist also die Konkurrenz wirklich nicht weit.

Jeder dieser Ketten lässt uns jede Woche einen opulenten Werbeflyer in den Briefkasten stopfen, mit dem Hintergedanken, dass die Aussicht auf ein Pfund Nutella für nur 1,77 € uns dazu bewegt, statt der Konkurrenz mal wieder ihre Filiale aufzusuchen und bei der Gelegenheit auch andere Ware zu erwerben, die auskömmlicher kalkuliert ist als das Lockvogelangebot. So hätte es auch in diesem Fall laufen können. Nun muss man wissen, dass „unser“ Edeka nur einen einzigen USP hat (für Anfänger: ein Unique Selling Point oder eine Unique Selling Proposition ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz): Im Gegensatz zu den vier anderen Läden hat der Edeka noch eine Inhaberin, die wie die sprichwörtliche Tante Emma noch selber im Laden steht. Das könnte Sympathiepunkte bringen, die junge Dame könnte daraus etwas machen, etwa in Form von besonders freundlichem, persönlichem Service, wie das beispielhaft der Bio-Supermarkt „Landmann‘s“ in der Kreisstadt Landsberg vormacht.

Zurück zum Nutella-Schnäppchen: Die Edeka-Zentrale hatte beim Zusammenstellen der Sonderangebote ein Produktfoto gewählt, auf dem das Nugatcreme-Glas mit eine Banderole „50 Gramm gratis“ verziert ist, aber nur normale 450-Gramm-Gläser geschickt. (Selbstverständlich ist das Wort „gratis“ eine dummdreiste Lüge, was man daran erkennt, dass der offiziell ausgewiesene Kilopreis 3,54 Euro beträgt und nicht 3,93 Euro.) Was also macht nun eine Nichte Emma, die von der Zentrale der Genossenschaft in so eine peinliche Lage gebracht wird? Macht sie dem dortigen Disponenten die Hölle heiß und sagt ihm: „Morgen ist die richtige Ware hier, oder Du kriegst richtig Stress!“? Stellt sie ein Schild an der Ware auf, um sich bei den Kunden zu entschuldigen? Reduziert sie den Einzelpreis auf 1,59 Euro, so dass der beworbene Kilopreis stimmt, verkauft also das 10 % untergewichtige Glas um 10 % billiger?

Nichts dergleichen. Sie versucht die abmahnungsfähige Panne einfach auszusitzen, nach dem Motto: „Das macht doch nichts, das merkt doch keiner.“ Wenn das so wäre, würde sich Ferrero die 50 Gramm extra ja sparen, und dann hätten nicht schon zwei Gläser an der Kasse gestanden, zurückgelassen von anderen Kunden. Da die örtliche Edekanerin mich aber nun in ihr Geschäft und damit weg vom näheren Rewe gelockt hatte, nahm ich ihr dieses Verständnis von Kundenorientierung und lauterem Wettbewerb doch etwas übel und beschwerte mich.

Wer während seiner kaufmännischen Ausbildung nicht die Handy-Ohrhörer in die Gehörgänge geflanscht hatte, sollte wissen, dass eine Kundenbeschwerde – vor allem dann, wenn man selbst ganz offenkundig etwas verbockt hat – eine Chance ist. Wer in so einer Situation souverän bleibt, Brötchen der angemessenen Größe bäckt, sagen wir 20 Gramm, und den Fehler geschmeidig korrigiert, kann bei verärgerten Kunden mehr punkten als mit jedem Vierfarbflyer. Es hätte lächerliche 18 Cent gekostet (oder, wenn ich zwei Gläser hätte haben wollen, 36 Cent) und dazu vielleicht noch ein freundliches Lächeln.

Tja, Chance vertan. Nichte Emma hatte schon ihre Mimik nicht im Griff. Sie war sichtlich sauer darüber, dass ich sie überhaupt wegen so einer Petitesse hatte rufen lassen, ohne zu kapieren, dass mich die demonstrative Missachtung der Kundschaft ärgerte und nicht die fehlenden 50 Gramm öliger brauner Zuckerschmiere, ging wie in einem „Wie-man-es-bitte-nie-nie-niemals-macht“-Schulungsvideo in den Gegenangriff über, schob die Schuld auf die böse Zentrale (auf die die blöde Sache natürlich auch zurückfällt, denn Edekas Einkäufer, Werber und Logistiker haben sich fraglos nicht mit Ruhm bekleckert) und sah sich außerhalb jeglicher Verantwortung. Kurzum: Sie benahm sich wie eine hilflose kleine Angestellte, nicht wie die Unternehmerin, die sie sein will.

Insofern ist natürlich doch irgendwie die Zentrale schuld, also die Edeka-Genossenschaft, die Verträge mit Leuten schließt, die vielleicht nicht dazu geboren sind, einen Laden zu führen. Dabei hat Edeka seine einst tantenhafte Marke über Jahre hinweg mit viel Kreativität verjüngt und müsste deshalb eigentlich Nachwuchskaufleuten, die diese Marke zum Kunden hin vertreten, helfen, nicht dieses Image zu ramponieren und – wie in meinem Fall – einen Kunden auf Dauer zu vergraulen, anstatt ihm einen Grund zu geben, mehr und öfter bei Edeka einzukaufen.