Auch nach ihrem eigenen Jahr sind Mathematiker erst glücklich, wenn niemand sie richtig versteht.
Das Jahr der Mathematik liegt – fast – hinter uns. Es war ein Rekordjahr: Niemals zuvor haben sich so viele so schlaue Menschen in so kurzer Zeit so kolossal verrechnet. Verspekuliert, sagen Sie? Nein, verrechnet. Wer auf etwas spekuliert, der rechnet ja mit etwas – und zwar offensichtlich nicht intensiv genug mit einem Verlust. Spekulation ist das moderne Wort für eine (dummerweise ungelöste) Rechnung mit vielen Unbekannten.
Es ist also im Sinne einer überlebensfähigen Volkswirtschaft nicht das schlechteste Bildungsziel, das mathematische Verständnis unserer Schüler zu fördern. Für den Nachweis, dass viele der fantastischen Rechnungen der Landes- und Investmentbanker nicht aufgehen konnten, hätte schließlich schon ein Quäntchen logisches Denken genügt, ergänzt um das Know-how, zu was die vier Grundrechenarten fähig sind. Leider haben letztere ein miserables Image. Schüler sehen nicht ein, dass sie sich im Zeitalter von Taschenrechner und Excel mit solchen Banalitäten plagen sollen, Mathelehrer und Lehrplangestalter bekämpfen die Langeweile am liebsten per Überforderung des Abstraktionsvermögens der Pubertierenden. Praxisbeispiele mögen in den unteren Klassen Standard sein, doch ab der Mittelstufe ist jeder noch so winzige Realitätsbezug weit unter der Würde der beamteten Gralshüter einer traditionell sich selbst genügenden Mathematik.
Nun kann man den Bürokraten im Bundesbildungsministerium nicht vorwerfen, sie hätten das Problem nicht erkannt. Das Jahr der Mathematik sollte es ja lösen, unter anderem mit einem Ideenwettbewerb. Tapfer lobte Ressortchefin Annette Schavan das „starke Engagement der Schulen“, Mathe sei schließlich „der Schlüssel zu einer erfolgreichen beruflichen Zukunft“. Mit dem empirischen Teil ihrer Pressemitteilung lieferte die Ministerin zudem den Stoff für eine wunderbare Textaufgabe: Zum Wettbewerb eingereicht wurden 229 Ideen I. Insgesamt hat Deutschland 36.305 Gymnasien, Grund-, Haupt-, Gesamt- und Realschulen S mit 381.578 Klassen K. Erstelle je eine Formel für a) die Motivation M und b) den Intelligenzquotienten Q des durchschnittlichen Mathepaukers P. Konstruiere sodann eine Ableitung deiner Berufschancen B1 bis B3 als Ingenieur/in, Spekulant/in und Mathematiklehrer/in.
Aus der Technology Review 12/2008, Kolumne FROITZELEIEN