Um ihre DNA-Datenbank voll zu kriegen, verhaftet die britische Polizei unschuldige Männer. Es ginge auch einfacher – mit Gentests schon im Kreißsaal.
Britannien ist nicht einfach nur groß, sonst hieße es Big Britain. Es ist besser als big. Es ist great. Ein großartiges Land, stilvoll, gediegen, aristokratisch, dabei ohne falsches Understatement – euer United Kingdom, liebe Briten, verkörpert gewissermaßen das Oberhaus unter den Staaten. Wofür die Weltmarke „Great Britain“ steht, habt ihr uns Kontinentalbanausen in eurer unnachahmlich feinen englischen Art beharrlich klargemacht: für ein Volk, das sich so perfekt unter Kontrolle hat wie kein anderes in Europa.
Dabei geht ihr absolut mit der Zeit. Eure legendäre Selbstdisziplin beschränkt sich längst nicht mehr auf das Schlangestehen an der Bushaltestelle oder das stoische Ertragen eures Nieselwetters und der englischen Küche. Nein, heute blickt ihr höchst freiwillig in „die toten Augen von London“: Weil eure Schutzleute, die netten Bobbys, nicht überall sein können, habt ihr Überwachungskameras an jede Ecke gehängt und damit der Welt bewiesen, dass ihr alle brave Bürger seid, die nichts zu verbergen haben.
Das Prinzip der Selbstkontrolle ist so tief in eurer Alltagskultur verankert, dass einer Regierungskommission kürzlich Angst und bange wurde, als sie sich fragte, was ihr Briten denn noch alles mit euch machen lasst. Die Irritation dieser für Gendaten zuständigen Aufpasser hatten ausgerechnet die netten Bobbys ausgelöst. Die waren nämlich nicht mehr nur den wirklich bösen Jungs zu Leibe gerückt, sondern allen Jungs, die aussahen, als könnten sie irgendwann böse werden. Um in einem x-beliebigen Kriminalfall als Verdächtiger kurz mal eben verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt zu werden, genügte es dem Bericht zufolge, als Mann unter 35 mit überdurchschnittlich dunkler Hautfarbe einer Streife über den Weg zu laufen. Fast eine Million unbescholtener Migranten bekamen offenbar schon die volle Härte eures Gesetzes zu spüren – in Form eines Wattestäbchens: Mund auffür die Vorratsdaten-Speichelung!
Es ist natürlich Unsinn, New Scotland Yard deshalb gleich Rassismus vorzuwerfen. Bei irgendeiner Bevölkerungsgruppe muss eure Polizei schließlich anfangen, wenn ihr eine landesweite DNA-Datenbank haben wollt, in der jeder potenzielle Gewalttäter (also: Mann) lückenlos erfasst ist. Schlägt im 2l. Jahrhundert ein Mr. Hyde zu, genügt nach der Analyse der Genspuren vom Tatort ein Mausklick, und schon ist Dr. Jekyll überführt.
Hört nicht auf die Regierungskommission, liebe Briten! Lernt von uns Deutschen! Uns braucht keiner festzunehmen. Wann immer wir die Chance bekommen, als völlig Unverdächtige mit bombenfesten Alibis unsere Unschuld mit den Methoden forensischer Biologie nachzuweisen, laufen wir zu Tausenden freiwillig auf die Wache, um Spucke abzugeben. Wir sind durch nichts zu irritieren, weder durch die jahrelange Fahndung nach einer mörderischen Serientäterin, die sich dann als harmlose Arbeiterin der Wattestäbchen-Fabrik entpuppt, noch durch Meldungen, auch DNA-Spuren könne man fälschen.
Warum lassen wir – Briten und Deutsche – nicht schon unseren Säuglingen Genproben abnehmen? Schließlich konnte die Polizei bisher allenfalls vermuten, wir könnten unschuldig sein. Erst wenn Vater Staat unser aller Gene kennt, kommt der ultimative Unschuldsbeweis: Unverdächtig sind alle, deren DNA nicht am Tatort gefunden wird. Eure jungen dunkelhäutigen Mitbürger mit Migrationshintergrund haben das kapiert, als sie mit steifer Oberlippe die Spuckesammlung über sich ergehen ließen. Jetzt ist der Rest an der Reihe.
ULF J. FROITZHEIM, TR-Kolumnist, erinnert sich trübe, dass sich die Menschen einst über so etwas Harmloses wie eine Volkszählung aufgeregt haben.
Aus der Technology Review 1/2010, Kolumne FROITZELEIEN