Wieder einmal sollen unmoderne Dinge wie Fahrkarten und Schlüssel verschwinden – jetzt im Handy.
In Hongkong und Tokio kann man viele beobachten, in Hanau ein paar, demnächst auch welche in Potsdam und Berlin: Menschen, die mit ihrem Handy herumfuchteln, bevor sie ein öffentliches Verkehrsmittel entern. Was ihre Mobiltelefone von normalen Modellen unterscheidet, ist Technik, die nicht nur Skifahrer bislang für Schnee von gestern hielten: In die Rückwand ist eine kontaktlose Smartcard integriert. Dank NFC (Near Field Communication) mutiert der Quasselquader zum E-Geldbeutel mit Fächern für virtuelle Fahrscheine, Mitgliedsausweise, Eintrittskarten, eines Tages vielleicht sogar Hausschlüssel. Zumindest stellen sich Nokia, Vodafone, die Bahn und einige andere so die Zukunft vor.
Schöne neue Reisewelt: Das mobile Telefon macht seinen Besitzer mobil. Der steigt spontan ein, ohne Tarifgegrübel und Automatengefummel. Hält er das Teil vors Terminal am Bahnsteig („Touchpoint“), checkt ihn der Computer ein für den Zug nach Irgendwo. Abgerechnet wird am Ziel. Klingt praktisch, ist tückisch. Wer steigt in den Zug, ohne zu ahnen, was die Reise kostet? Okay, er könnte sich via Mobilfunk informieren. Wer das schafft, bestellt aber auch gleich das Ticket per MMS. Wer am Ziel das Aus-checken vergisst, weil just in dem Moment die Freundin auf seinem Fahrschein anruft, hat auch keinen Spaß: Er zahlt bis zum Beweis des Gegenteils für die Strecke bis zur Endstation. Lustig aber wird das Hauen und Stechen an den Touchpoints werden, wenn eine verspätete S-Bahn in 30 Sekunden 300 eilige Pendler auf den überfüllten Bahnsteig spuckt, die alle auschecken müssen.
Zum Glück plant die Bahn vorerst keinen NFC-Zwang nach dem Vorbild asiatischer Metropolen, wo Drehkreuze den Menschenstrom kanalisieren. Dass Menschen am Durchlass ihr Handy zücken, ist allerdings auch in Fernost nicht normal. Noch halten die meisten Leute hier eine ordinäre Chipkarte an den Touchpoint – die gibt es am Schalter zu kaufen, ganz anonym. Und selbst in personalisierten Varianten kommt NFC nicht immer als Telefon daher: In den USA verkauft Mastercard einen Schlüsselanhänger als Kleingeldersatz, in Hongkong öffnen Armbanduhren das Drehkreuz der U-Bahn.
Neu ist auch das nicht: Stammgäste österreichischer Skilifte trugen schon vor 15 Jahren die Uhr-Form dieser Technik am Arm.
Aus der Technology Review 5/2007, Kolumne FROITZELEIEN