Ein Rant zum Stichwort „Lügenpresse“

Wie oft habe ich in den letzten Tagen oder Wochen etwas von „Staatsmedien“ und „Lügenpresse“ gehört oder gelesen? Nur mal fürs Protokoll, falls sich ein Pegidist hierher verirrt: Russia Today ist ein Staatsmedium – nur halt keines von unserem Staat, sondern von einem Staat, in dem kritische Journalisten Angst haben müssen, wenn sie sich mit der Staatsgewalt anlegen.

Hierzulande gäbe es die Deutsche Welle und das Deutschlandradio. Gemeint sind aber auch die normalerweise nicht. Die Skandierer hören und schauen doch wohl eher andere Programme.

Womit wir bei ARD und ZDF sowie den ebenfalls verunglimpften Printmedien SZ, FAZ, Zeit und Spiegel wären (warum werden eigentlich Welt und Bild eher selten als Staatsmedien kategorisiert?). Die Anstalten mögen immer wieder unter Parteieneinfluss leiden, aber auf Beispiele für solchen Machtmissbrauch warten die besagten Zeitungen und Magazine nur. Im ZDF, sogar im Bayerischen Rundfunk können sich diverse Redaktionen inzwischen leisten, beide Berliner Regierungsfraktionen sowie die bayerische Staatsregierung nicht offen nur zu kritisieren, sondern nach allen (oder selbst gegen alle) Regeln der Kunst zu verhöhnen, ohne dass die Sendung abgesetzt würde oder dem Verantwortlichen das EdeKa droht. Das war noch vor wenigen Jahren anders.

Ruft die Staatskanzlei im Sender an, steht es am nächsten Morgen als Skandal in der Zeitung. Sieht so Staatsfunk aus?

Ich habe in den vergangenen 40 Jahren selten weniger um die verfassungsmäßige Staatsferne der Anstalten bangen müssen als heute. Wer sich aufregt, ist entweder zu jung, um die Zeiten miterlebt zu haben, als viele Westbürger nicht wussten, dass die Tagesschau nicht vom Regierungssprecher gesprochen wird – oder er lebte im Tal der Ahnungslosen, wie das gegenüber den Westfernseh-Sendemasten abgeschattete sächsische Elbtal einst hieß. Wo liegt nochmal Dresden? Und wo sind die größten Aufmärsche?

Ja, und die Zeitungen: Woher wissen denn die neunmalklugen Spaziergänger überhaupt von den Missetaten der Geheimdienste und der Vorzeigeeuropäer wie Jean-Claude Juncker? Wenn die Presse löge, wäre Juncker doch ein kleiner Unschuldsbengel und in Brüssel, Straß- und Luxemburg alles okay. Eon würde nicht dem Steuerzahler seine Schrott-AKWs aufs Auge drücken, der ADAC wäre ein sauberer Verein, Gustl Mollath noch im Knast, Uli Hoeneß eher nicht, bayerische Abgeordnete würden noch ihre Familien auf unsere Kosten alimentieren, Christine Haderthauer in München weiter staatskanzleiern und Sigmar Gabriel nicht der Braunkohle Vorrang vor Erneuerbaren geben.

Und die Berichte, dass überhaupt Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wären natürlich auch unwahr, wenn die Presse eine Lügenpresse wäre.

Und die Pegidioten lachen sich ins Fäustchen

Leute, ich finde es beschämend, dass meine lieben Kollegen von der Nachrichtensparte heute morgen nichts Besseres zu tun hatten, als ihr Nichtwissen über das, was in Sydney passiert, in aufgeregte Meldungen zu pressen. Ich habe selten so unprofessionelle Arbeit erlebt wie in den Frühnachrichten im Bayerischen Rundfunk. Bekannt war lediglich, dass ein einzelner Täter Geiseln genommen hat und das irgendeinen arabischen oder vielleicht islam/ist/ischen Hintergrund haben soll; außerdem waren mehrere Geiseln freigekommen, nur gab es von denen und über sie nullkommanull Infos. (Und bei den Kollegen einen Reflex, ungeachtet der Recherchelage berichten zu müssen.)
Das ist, sorry, erst mal etwas für die Lokalnachrichten in Sydney. Es hat keinerlei globale Relevanz, es sei denn, man will partout die allgegenwärtige Gefahr beschwören, die die Gegenwart von Muslimen in einem christlichen Land angeblich mit sich bringt. Wenn man den Pegidisten (Pegidioten?) und Brandstiftern Rechtfertigungen für ihr Tun liefern und ihnen Zulauf verschaffen will, muss man es genau so anstellen. Eine mediale Deeskalation wäre geboten. Man kann erst mal abwarten, ob etwas Schlimmes passiert oder ob das ein durchgeknallter Einzelgänger ist und ob die örtliche Polizei mit ihm fertig wird. Statt dessen benehmen sich vermeintlich gestandene Nachrichtenleute wie aufgescheuchte Hühner.
Über das, was in Westafrika los ist, habe ich übrigens nichts gehört. Da sind Täter am Werk, die sich mit Geiselnahmen nicht aufhalten, sondern gleich morden. Aber mental ist Nigeria ja weiter weg als Australien.