Lawrence („Larry“) Ellison, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Softwarehauses Oracle Corp., ist eine Ausnahmeerscheinung in der amerikanischen Computerindustrie. Während sich praktisch alle anderen Unternehmer dieser Branche auf ein Engagement bei Hardware oder Software festgelegt haben, mischt Ellison auf beiden Seiten mit: Außer seinem beachtlichen Aktienpaket bei Oracle hält er eine namhafte Beteiligung an der nCube Computer Corp., einem Hersteller massiv-paralleler Supercomputer. Ellison, dessen Kompetenz sich nicht auf PCs beschränkt, ist aber auch ein Mann mit Visionen. Im Gespräch mit edv-Aspekte zeichnet er, unbeeindruckt von der wirtschaftlichen Flaute der DV-Industrie, ein schillerndes Bild der Datenverarbeitung von morgen: mit Workstations im Taschenformat, drahtlosen Netzen und gigantischen Online-Datenbanken auf Supercomputern.
eA: Sie sind bekannt als Investor, der sich mit Software und zugleich mit avantgardistischer Hardware befaßt. Wie sehen Sie die Computerei in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre?
Ellison: Die Computerindustrie wird Ende der neunziger Jahre nicht mehr wiederzuerkennen sein. Schauen Sie sich nur an, was sich heute auf dem Gebiet der Netzwerke und der Client-Server-Architektur tut. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Branche verändern wird, ist unvorstellbar. Auf jeden Schreibtischcomputer, den wir heute haben, werden zehn Computer im Taschenformat kommen, die keine Tastatur mehr haben, sondern ihre Handschrift lesen können.
eA: Solche „Notepads“ gibt es doch heute schon, auch wenn sie noch wie Prototypen wirken.
Ellison: Richtig. Aber bald werden diese Apparate wirklich aussehen wie Notizblöcke. Viel dünner als die heutigen, vielleicht ein oder anderthalb Pfund schwer. Und sie werden so simpel zu bedienen sein, daß sogar meine Mutter damit umgehen kann. Diese Mischung aus Computer und Mobiltelefon werden Sie immer dabei haben. Mit Ihrem „Personal Assistant“ stellen Sie die Kommunikation zu Ihrem Büro her oder zu Ihren Kindern, reservieren einen Tisch im Restaurant oder einen Sitz im Flugzeug, ermitteln jederzeit die Schneeverhältnisse am Urlaubsort oder die Verkehrslage auf der Autobahn. Wenn Sie wollen, erhalten Sie auch die neuesten Nachrichten und Aktienkurse. Sie werden damit viele Sachen machen, für die Sie heute noch das Telefon benutzen.
eA: Das klingt wie Science-fiction. Wird diese Technik denn für einen normalen Menschen noch bezahlbar sein?
Ellison: Aber sicher. Ich habe schon die Produkte gesehen, die Sharp und Sony auf den Markt bringen werden. In ein paar Jahren werden wir über die teuren, unhandlichen Notebook-Computer, mit denen wir beide hier sitzen, nur noch lachen. Die neuen Geräte werden 300 Dollar kosten, nicht 3000. Wir werden in der Lage sein, drahtlos Daten zu übertragen für ein Prozent der heutigen Kosten. In ein paar Jahren werden meine Kinder diese Handgeräte in der Schule verwenden, und sie werden auf riesige digitale Bibliotheken zurückgreifen. Natürlich müssen Computer und Netze dafür hundertmal, wenn nicht tausendmal billiger und schneller sein als heute.
eA: Glauben Sie das wirklich?
Ellison: Das ist keine Phantasie, es ist alles machbar. Hätten Sie mich nicht für verrückt erklärt, wenn ich Ihnen 1980 von einem Schreibtischcomputer erzählt hätte, der schneller ist als der schnellste damalige Großrechner? Und diese Workstation kostet heute 10000 Dollar, nicht zehn Millionen. Tausendmal billiger!
eA: Was soll aus den traditionellen Computerherstellern werden, wenn Walkman-Konzerne den Markt übernehmen?
Ellison: Nun, irgendwer muß die riesigen Computer bauen, auf denen all diese Bibliotheken gespeichert sind. Die Großrechnerhersteller müssen dafür zu einem völlig neuen Typ Mainframe übergehen. Diese Maschinen werden zwar 1000 mal so schnell sein, aber dasselbe wie die heutigen
kosten. Das ist für diese Firmen immer noch ein gutes Geschäft.
eA: Und wie stellen Sie sich den neuen Großrechner vor?
Ellison: Als massiv-parallelen Computer.
eA: Ein Supercomputer als Universalrechner?
Ellison: Nicht als Universalrechner. Das werden spezielle Datenbankmaschinen sein, die sehr einfach zu bedienen sind. Diese Mainframes braucht man nicht mehr zu programmieren. Denn fast alle Programme laufen auf den „Client“-Maschinen, also auf den kleinen Computern, mit denen die Abfragen gemacht werden. Auf den massiv-parallelen Servern lagern gigantische Daten-, Text-, Bild- und Video-Bibliotheken.
eA: Verkennen Sie da nicht die Machtverhältnisse auf dem Markt? Konzerne wie IBM leben davon, daß konventionell denkendes EDV-Personal konventionelle Software auf konventionellen Computern laufen läßt. Die können es sich doch gar nicht leisten, das alles über Bord zu werfen.
Ellison: IBM hat viele Geschäftsbereiche. Die Sparte Mainframes wird es vielleicht nicht schaffen, sich anzupassen. Aber die Abteilung, die für die RS/6000-Workstations verantwortlich ist, wird aus ihren „Power“-Chips einen massiv-parallelen Computer bauen. Dieses neue Unternehmen dürfte ein wichtiger Spieler in diesem Markt sein. Dabei wird zwar IBM der IBM Konkurrenz machen, doch für den Gesamtkonzern dürfte das noch immer besser sein, als wenn ein Dritter das Rennen macht.
eA: Wie werden die altgedienten DV-Leute auf die neue Herausforderung reagieren?
Ellison: Wahrscheinlich genauso, wie auf den PC. Den haben sie anfangs auch nicht gemocht. Aber am Ende hat der PC doch gewonnen.
Erschienen in edvAspekte, Juni 1992
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