Die erste Euphorie über Fuzzy Logic und Neuronale Netze ist verflogen. Jetzt müssen sich die neuen Softwarekonzepte am Markt bewähren. Allerdings läuft der Transfer von der Theorie in die Praxis nur schleppend an. Dabei lassen sich mit den unkonventionellen Technologien trefflich Kosten senken.
Seine Waschmaschinen sind Rainer Stammingers ganzer Stolz. An erster Stelle steht bei ihm der „Öko-Lavamat 6953“, dessen neuartige elektronische Regelung seit vorigem Jahr neue Maßstäbe für geringen Wasser- und Stromverbrauch setzt. Inzwischen kann Stamminger, Entwicklungschef für Waschautomaten und Geschirrspüler bei der AEG Hausgeräte AG in Nürnberg, schon auf 40 Modellvarianten der umweltfreundlichen Generation verweisen. Die Jahresproduktion liegt bei stattlichen 70.000 Stück.
Damit ist die AEG deutscher Vorreiter beim Einsatz der Fuzzy Logic, einer jener „intelligenten“ Softwaretechniken, die seit Anfang der 90er Jahre das traditionelle Weltbild der Informatiker in Frage stellen. Im Gegensatz zur messerscharfen Präzision normaler Computer folgt die „unscharfe“ Logik einem pragmatischen Prinzip der Biologie – nämlich gerade soviel Genauigkeit zu verlangen, wie für ein akzeptables Ergebnis erforderlich ist.
Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Denn plötzlich sind technische Lösungen machbar, die bei klassischer Digitaltechnik einen unvertretbaren Aufwand bedeutet hätten. So dosiert der Mikroprozessor im Öko-Lavamat das Wasser nicht abhängig vom Gewicht der Wäsche, sondern von ihrer Saugfähigkeit – einem viel wichtigeren Wert, der aber mit klassischen Methoden nicht bei rotierender Trommel erfaßt werden könnte.
Fortschritt in der Fototechnik
Waschmaschinen sind das erste Massenprodukt, in dem die deutsche Industrie diese vielseitige Technologie offen einsetzt. Mehrere Konkurrenten der AEG bewerben ihre Weiße Ware ebenfalls als „Fuzzy“. Zu Stammingers Leidwesen interpretiert jedoch jedes Unternehmen dieses Schlagwort anders. Einer der Wettbewerber handle inkonsequent, rüffelt der AEG-Mann, weil bei dessen Produkt die Fuzzy-Regelung abschaltbar sei. Ein anderer habe gar nur die Broschüre eines existierenden Geräts auf Fuzzy getrimmt. Grollt Stamminger: „Dadurch wird ein guter Ansatz in Verruf gebracht.“
So geben bei der Image-Arbeit für die „mitdenkende“ Technik nach wie vor japanische Unternehmen den Ton an. Besonders Nippons Kamerahersteller stellen in ihrer Werbung Fuzzy-Attribute heraus. Bei Minolta & Co. sorgt unscharfe Logik für scharfe Fotos, indem sie den Autofocus-Sensoren hilft, wichtige von unwichtigen Teilen des Motivs zu unterscheiden. In Camcordern sorgen Fuzzy-Bildstabilisatoren dafür, daß sogar zittrige Filmer gute Videos machen können. Bei Büromaschinen gibt Fuzzy den Grau-Ton an: Ein Panasonic-Kopierer verbessert so bei dunklen Vorlagen den Kontrast.
In der industriellen Praxis fristen die Fuzzy-Systeme hierzulande allerdings ein ebenso karges Schattendasein wie die Neuronalen Netze, eine Art selbstlernender Software, der ebenfalls seit Jahren eine große Zukunft vorhergesagt wird. Zwar brüstet sich fast jede Universität oder Fachhochschule mit ihren Aktivitäten auf diesem Sektor, und an Erfolgsmeldungen über die Steuerung industrieller Prozesse mittels Fuzzy-Controllern oder Neuro-Computern besteht kein Mangel. Doch die Anwender betonen fast unisono, es handle sich lediglich um Forschungsvorhaben, Prototypen oder Pilotinstallationen.
Während der Dschungel universitärer Machbarkeitsstudien selbst für Insider undurchsichtig geworden ist, sind echte kommerzielle Anwendungen noch immer rar. An fehlenden Softwarewerkzeugen liegt das nicht. Die elektronischen Bausteine wie Mikrocontroller und sogar komplette speicherprogrammierbare Maschinensteuerungen (SPS) sind längst serienmäßig in Fuzzy-Versionen lieferbar. Doch wird die neue Technik von industriellen Anwendern nur zögerlich eingesetzt. Der Grund: Akzeptanzprobleme, Mangel an einschlägigen Programmierexperten sowie geringe Vorstellungskraft über den Nutzen.
Ladehemmung in der Industrie
Auch renommierte einheimische Anbieter wie die Klöckner-Moeller GmbH in Bonn haben bisher Mühe, Komponenten an den Mann zu bringen. „Eine Fuzzy-SPS ist nach wie vor ein stark erklärungsbedürftiges Produkt“, kennt der zuständige Produktbereichsleiter Wolfram Kreß das Problem – gibt sich aber optimistisch. Selbstverständlich, so der Manager, werde die Technik weiterentwickelt, und für die kommenden Jahre erwarte er durchaus steigende Nachfrage nach Fuzzy-Steuerungen.
Daß ein überzeugendes Marketing für die verschwommene Logik noch nicht gefunden ist, beweist das Exempel der GTS Trautzl Gesellschaft für Technologietransfer und Systemintegration mbH im holsteinischen Kaltenkirchen. Vor einem Jahr brachte das mittelständische Unternehmen unter dem Namen „Fuzzysoft“ eine PC-Software auf den Markt, mit der jeder Programmierer selbständig Fuzzy-Anwendungen entwickeln kann. Trotz des Kampfpreises von 800 Mark und der Bekanntheit des Firmengründers Günther Trautzl in Fuzzy-Zirkeln erwies sich das Billigangebot als Flop. „Wir haben bei weitem nicht soviel verkauft, wie wir erwartet hatten“, grämt sich der Geschäftsführende Gesellschafter Rudolf Gratz. Während Gratz sinkende FuE-Budgets für das Debakel verantwortlich macht, verweisen Branchenbeobachter auf die Preisgestaltung: Für 800 Mark, den steuerlichen Grenzwert für geringwertige Wirtschaftsgüter, erwarte niemand eine anspruchsvolle Software.
Offenbar tun sich aber auch prominente Anbieter nicht leicht. Selbst aus dem Siemens-Konzern, dessen Zentrale Forschung und Entwicklung (ZFE) in München-Perlach die Themen Fuzzy und Neuro frühzeitig entdeckte, dringen recht selten Nachrichten über gelungene Anwendungen nach außen. Eines dieser raren Vorzeigeprojekte ist die Papierfabrik Celulose do Caima in Portugal, in der seit zwei Jahren ein „Sifloc“-System (Siemens Fuzzy Logic Control) das Kochen der Holzfasern steuert.
Power im Papier-Prozeß
In dem Werk, dessen Modernisierung im Rahmen des „Brite-Euram“Programms von der Europäischen Gemeinschaft gefördert wird, sank seither der Ausschuß auf ein Viertel. Das entspricht jährlich 640 Tonnen mehr Zellstoffausbeute aus der gleichen Holzmenge – oder 3000 Eukalyptusbäumen, die weniger gefällt werden müssen. Zudem ist das Papier jetzt reißfester, und die Energierechnung sank um 14 Prozent. Zur weiteren Verbesserung des Prozesses wollen die Siemensianer jetzt ein Neuronales Netz zuschalten.
Dennoch hält es der zuständige Siemens-Manager Herbert Furumoto aus Kundensicht für eine zweitrangige Frage, ob ein Resultat einer Fuzzy Control, einem Neuronalen Netz oder einem herkömmlichen Expertensystem zuzuschreiben ist: „Ich erzähle den Kunden nicht, was Fuzzy ist, sondern verkaufe ihnen eine Anlagenoptimierung.“ Furumoto spricht freilich aus der Perspektive dessen, der alle drei Methoden einzusetzen versteht: Fuzzy kommt für ihn nur in Frage, wenn es auch die wirtschaftlichste Lösung ist. Die Technik, so sein Credo, soll Kosten sparen.
Mit der Bezeichnung Fuzzy tut sich nicht nur Siemens-Mann Furumoto schwer. Welche Assoziationen vor allem technische Laien bei dem Stichwort haben, hat auch Adrian Weiler, Geschäftsführender Gesellschafter des Fuzzy-Anbieters Inform GmbH, oft genug erfahren. „Die meisten denken doch gleich an den ungeschickten Westernhelden aus der amerikanischen Filmserie.“
Flucht in den Export
Daß hier in Deutschland noch nicht genügend Aufklärungsarbeit geleistet ist, trifft die Branche zu einem gefährlichen Zeitpunkt. „Momentan herrscht bei Fuzzy ein gewisser Deadlock“, diagnostiziert Karl Lieven, Geschäftsführer der MIT Management Intelligenter Technologien GmbH sowie der Stiftung „Elite“ (European Laboratory for Intelligent Techniques Engineering) in Aachen. Es gebe, so Lieven, „noch nicht genug Anwendungen und sehr wenige Leute, die Fuzzy-Methoden vernünftig einsetzen können“. Überdies läuft die Fuzzy-Initiative Nordrhein-Westfalen, ein Förderprojekt der Düsseldorfer Landesregierung für die Fuzzy-Hochburgen Aachen und Dortmund, zum Jahresende aus.
Angesichts der schwierigen Situation im Inland bemühen sich die deutschen Anbieter von Fuzzy-Know-how, ihre Erfahrungen bei Industrielösungen auf dem Weltmarkt zu Geld zu machen. Das Aachener Softwarehaus Inform, eine Gründung des deutschen Fuzzy-Nestors Professor Hans-Jürgen Zimmermann, kooperiert deshalb nicht nur mit Siemens und Klöckner-Moeller, sondern auch mit den US-Konzernen Intel, Texas Instruments (TI) und Allen-Bradley. Bereits ein Drittel des Fuzzy-Umsatzes entfällt auf die Vereinigten Staaten – die Innovationen aus Germany kommen dort gut an.
Den Aachenern geht es bei ihrem Übersee-Engagement nicht nur um die Integration ihrer Softwarepakete Fuzzytech und Neurofuzzy in die Hardware der Partner, sondern auch um gemeinsame Projekte. So tüftelt der Inform-Ingenieur Berthold Hellenthal in Chandler bei Phoenix/Arizona mit TI-Kollegen an fuzzy-geregelten Signalprozessoren, die per Gegenschall den Lärm in Autos, Flugzeugen oder Großraumbüros ausradieren sollen. Auch Klöckner-Moeller-Manager Kreß glaubt, „daß in den USA in absehbarer Zeit etwas passieren wird“ – er will das Geschäft im amerikanischen Markt in Zusammenarbeit mit seinem Zulieferer Inform vorantreiben.
Fokus auf Dienstleistungen
Neben dem Ankurbeln des Exports kämpft die Branche um eine Belebung des Marktes im deutschsprachigen Raum. MIT-Chef Kar! Lieven, ein enger Mitarbeiter von Professor Zimmermann, beschränkt sich dabei nicht auf Fuzzy-Lösungen, sondern spricht global von „intelligenten Technologien“ für Fabrik und Büro: „Im Jahr 2000 wird es wahrscheinlich kein System mehr geben, in dem das intelligente Modul fehlt.“ Das spannendste Thema sind für ihn Datenanalysen mittels Fuzzy Logic und Neuro-Netzen – etwa die Auswertung der Kundendaten einer Bank, um daraus „segmentspezifische“ Marketingstrategien abzuleiten.
Lieven steht mit dem Fokus auf Dienstleister nicht allein. Die Fuzzy-Experten bei Inform entdeckten bei der Suche nach neuen Einsatzfeldern für „unscharfe“ Software den Handel: Für einen großen Warenhauskonzern entwickelten sie ein Programm zur Wareneingangsprüfung im Zentrallager. Mittels „gesteuerter Stichprobe“ kam das Programm den unzuverlässigen Lieferanten auf die Schliche, bei denen es sich lohnt, genau nachzuzählen. Das Verfahren übertraf mit einer Genauigkeit von 99 Prozent die Wareneingangsvollprüfung – bei der verzählt sich das Personal durchschnittlich um zwei Prozent, bei ungleich höheren Arbeitskosten.
Vermarktung mit Partnern
Das Problem der Vermarktung von Industrielösungen jedoch überlassen die Fuzzy-Vordenker zunehmend Partnern, die bei den Anwenderbetrieben bereits eingeführt sind. Marktführer Inform hat neben seinen eher maschinennahen Partnern Klöckner-Moeller (Fertigung) und Foxboro (Prozeßkontrolle) jetzt sogar ein klassisches Softwarehaus im Kooperations-Portfolio, die IKO Software Service GmbH (Ikoss). Das Unternehmen, eine Tochter des französischen Informatikkonzerns Sligos, hat kürzlich sein Fertigungsleitsystem mit einer Fuzzy-Komponente seiner Aachener Nachbarn optimiert.
Auch den Ikoss-Beratern reißt noch niemand die neue Software aus den Händen. Doch Eberhard Kalwait, Vertriebsleiter Industrie, läßt sich nicht beirren. Für ihn stimmt das Timing: „Man muß die Idee zu dem Zeitpunkt greifen, wo sie anfängt sich zu präzisieren und der Markt sie aufnimmt. Und das ist bei Fuzzy jetzt der Fall.“
Ulf J. Froitzheim
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