Lokalkolorit ohne Lederhosen

Die Hotelkette Mercure steuert einen aggressiven Expansionskurs. Ihr französischer Mutterkonzern Accor will ihr per Franchising 80 deutsche Drei-Sterne-Häuser einverleiben. Der Werbekuchen ist noch nicht verteilt.

Mit Speck fängt man Mäuse. Managermäuse. So jedenfalls dachten die Kreativen der Karlsruher Agentur Specktakulär, als sie für die Hotelkette Merceure ein Mousepad als Werbegag für Geschäftsreiscnde gestalteten. „Wir haben eine eigene Zentralreservierung“, verraten zartgraue Versalien den Sinn der wuchtigen Telefonnummer in der Mitte der Plastikmatte. Darunter, schüchtern: „Hotel Mercure“. Und rechts in der Ecke ein mageres Logo: Fünf Graugänse symbolisieren „L’esprit Accor“.

Der „Accor-Geist“ weht seit einiger Zeit bei jedem öffentlichen Auftritt der Hotelkette Mercure – wie auch bei denen ihrer Schwesterfirmen Novotel, Sofitel, Ibis und Formule 1. Par ordre du mufti hat nämlich der Vorstand der bisher eher zurückhaltenden Accor S.A. aus Evry bei Paris verfügt, daß im Zeichen der Vögel fortan Corporate Identity gezeigt werde – zumindest im Hotelbereich des Reise- und Gastronomiekonzerns. Die Autovermietung Europcar ist vorerst nicht betroffen: Sie gehört zur Hälfte der Volkswagen AG.

Die Integration des kryptischen Accor-Emblems in alle Drucksachen der Töchter ist nur der Auftakt zu dem Programm, mit dem die heterogene Gruppe (Umsatz 1993: 29 Milliarden Francs) eine neue Identität finden will.  Auffälliger ist die Straffung der breiten Produktpalette. Zugunsten eines übersichtlicheren Sortiments schickte die Pariser Holding, die seit 27 Jahren von den Novotel·Gründern Paul Dubrule und Gérard Pélisson regiert wird, ihre etablierten Marken Pullman, Altea und Arcade aufs Schafott. Die betroffenen Häuser müssen künftig – je nach Kategorie – unter den Labels Sofitel (Vier-Sterne-Hotels), Mercure (drei Sterne) und Ibis (zwei Sterne) um Gäste werben.

Die Umtaufen, die im Unternehmen nicht nur auf freudige Zustimmung stießen, sollen nach einer Wachstumsdelle im Jahr 1993 den Weg freimachen für eine erneute, noch ehrgeizigere Expansion. Zwar geht bereits heute im Accor-Imperium die Sonne nie unter, denn Dubrule und Pélisson besitzen 2000 Hotels und Motels auf fünf Kontinenten mit mehr als einer Viertelmillion Zimmern. Doch speziell in der Mittelklasse, die mit der Marke Mercure bedient wird, soll das Wachstum erst richtig losgehen.

Für das Jahr 2000 will das Unternehmen laut Geschäftsplan die Tausenderhürde nehmen. Heute gehören erst 250 Häuser zu Mercure. Allein in Deutschland – so die Vorgabe aus Paris – sollen Geschäftsführer Hans-Peter Kolditz und Marketingdirektor Bernard Clerc ihr Imperium von 21 auf etwa 100 Hotels ausbauen. „Da haben wir uns einiges vorgenommen“, räumt Clerc ein.

Die beiden Eschborner Manager wollen allerdings nicht 80 neue Bettenburgen in deutschen Städten hochziehen. Die Methode der Wahl, die sich bei Mercure längst bewährt hat, heißt Franchising. Bestehende Privathotels – möglichst in zentralen Lagen – sollen sich unter dem Dach der Marke zusammenfinden und am Markt gemeinsam auftreten. „Viele Hotelbesitzer wissen, daß sie innerhalb der nächsten fünf Jahre an die großen Reservierungssysteme angeschlossen sein müssen, um im Markt zu bestehen“, meint Clerc siegessicher. „Das können sie am besten über einen Partner wie Mercure.“

Die technische Infrastuktur ist vorhanden: Zur Accor-Gruppe gehört die Firma Resinter, ein internationaler Buchungsverbund mit Zugang zu globalen Reisevertriebssystemen wie Amadeus, Galileo oder Sabre. Hinzu kommen die franchisetypischen Leistungen wie gemeinsames Marketing, Mitarbeiterschulung und Managementberatung.

Zum Start der „neuen“ Mercure präsentieren sich die Komfortherbergen im aufgefrischten Gewand. Das bisherige Logo wird überarbeitet: Da die eingeführte Markenfarbe zu pink ist und nach Meinung der Pariser CI·Strategen nicht genug Appeal auf männliche Gäste ausübt, kam ein kühler, blau-grüner Rahmen hinzu. Gleichzeitig wird die Marke in ganzseitigen Anzeigen mit dem Slogan „Mercure Hotels. Die Schlüssel zur Stadt.“ neu positioniert.

Um die Aussage – zentral entwickelt bei Euro HSCG in Paris – zu untermauern, müssen nun die Innenarchitekten ran. Der unverwechselbare Charakter der jeweiligen Stadt soll sich in der Ausstattung jedes Hotels widerspiegeln, das uniforme Erscheinungsbild amerikanischer Systemhotels wird sorgsam vermieden. „Wir passen uns der Stadt an. Der Direktor soll sich mit seinem Haus als Botschafter der Stadt darstellen“, erläutert Bernard Clerc das Konzept. „Der Gast soll merken, wo er ist.“

Schon in der Lobby wollen die Mercure-Strategen Lokalkolorit vermitteln. „Das soll nicht heißen, daß der Direktor in München in der Lederhose rumflitzt“,stellt Deutschland-Statthalter Kolditz klar. Dirndl-Damen an der Rezeption könne er sich hingegen vorstellen. Eingeführte Hotels, die in ihrer Region verwurzelt sind, stehen daher ganz oben auf der Wunschliste des Franchisegebers Mercure. Den traditionellen Hausnamen will Kolditz dem Partnerhotelier nicht streitig machen. „Wenn das Hotel ,Zum Grünen Ochsen‘ heißt, bleibt es der ,Grüne Ochse“‘, so der Manager.  „,Mercure‘ kommt nur als Zusatz dazu.“ Auch die Speisen- und Getränkekarte soll regionaltypisch sein und wird deshalb nicht von der Zentrale diktiert – mit Ausnahme der bundeseinheitlichen Weinkarte.

Wie das unverwechselbare Ambiente im Detail aussieht, bleibt den örtlichen Direktoren oder Franchisenehmern überlassen. Eine mögliche Variante ist bereits im Mercure Bielefeld zu sehen: die Dekoration mit Requisiten aus der Geschichte der örtlichen Wirtschaft. In diesem Fall sind es Memorabilia aus dem Hause Oetker – eine Idee, die bei den dort einquartierten Geschäftsfreunden des Nahrungsmittelkonzerns dem Vernehmen nach gut angekommen ist. Repliken historischer Werbemittel als Wandschmuck haben einen zusätzlichen Vorteil: Sie kosten nicht viel.

Obwohl die Neukonzeption nicht einmal in den eigenen Häusern abgeschlossen ist, beginnt bereits die Akquisition der Franchisepartner. Gleichzeitig nimmt das Management auch in puncto Werbung den Fuß von der Bremse. „Wir werden dieses Jahr über zwei Millionen Mark in Werbung in Deutschland investieren“, verspricht Kolditz, „europaweit sind ungefähr sieben Millionen geplant.“ Marketingchef Clerc läßt durchblicken, daß der Kuchen nicht nur unter den bisherigen Agenturen Specktakulär und Euro RSCG aufgeteilt werden muß. Über die Vergabe der Etats soll auf jeden Fall in Eschborn entschieden werden.

Solange die aktuelle Printkampagne noch läuft, die europaweit von Paris aus gesteuert wird, konzentrieren sich die Aktivitäten in Deutschland auf Direktmarketing. Um die Zimmerbelegungsquote auch zu umsatzschwachen Zeiten anzukurbeln, schweben Clerc diverse Verkaufsförderungsaktionen vor – etwa festliche Silvesterpakete oder Arrangements für Musicalfans, die in Stuttgart „Miss Saigon“ besuchen wollen. Clerc: „Wir suchen die Agenturen nach ihrer Fähigkeit aus, solche Pakete Segment für Segment zu bearbeiten.“

Allzuviel Zeit bleibt der deutschen Mercure-Filiale nicht, ein Marketingbündel zu schnüren, das auch für potentielle Franchisenehmer attraktiv ist. Die US-Kette Choice Hotels lnternational, deren deutsche Niederlassung einen kräftigen Steinwurf von Kolditz‘ Büro entfernt in Bad Soden sitzt, hegt ähnlich aggressive Expansionspläne. Zusätzlich zu ihren 18 bestehenden Quality Hotels und Comfort lnns legen die Amerikaner bis Ende 1995 mindestens neun weitere Hotels an die Kette. Die magische Zahl 100 soll schon 1998 erreicht werden – zweiJahre vor Mercure. Dabei ist der Fundus, aus dem beide Unternehmen schöpfen wollen, begrenzt. Nur etwa 450 deutsche Hotels passen in das Qualitäts- und Standortraster der Franchiser.

Bernard Clerc läßt sich dennoch nich t verunsichern. So war der Name Mercure laut „Spiegel“-Erhebung 1993 bereits 28 Prozent der Befragten bekannt, obwohl bis dahin kaum Werbung gelaufen war. Außerdem verkörpern Marke und Corporate Design seiner Meinung nach einen innovativen Ansatz: „Kein Zweifel, wir haben ein gutes Logo.“

Unbekannter Markenriese

Die Accor-Gruppe, der die Hotelkelte Mercure angehört, ist in der Öffentlichkeitfast unbekannt – ganz im Gegensatz zu ihren Marken.

Accor verbirgt sich unter anderem hinter der Autovermietung Europcar (früher: InterRent; jetzt: Joint-venture mit VW), dem großen Kantinenbetreiber Eurest, den „TR-Ticket Restaurant“-Menüschecks, der Reisebüro- und Speisenwagengesellschaft Wagon-Lits, dem Dienstleister RS Catering sowie den Hotelketten Sofitel, Mercure, Novotel und Ibis. Jüngstes Pferd im Stall ist Formule 1, eine Kette von Billigquartieren mit Zimmerpreisen ab 40 Mark. In den USA zählt Accor (mit der fast flächendeckend vertretenen Franchise Motel 6) zu den größten Anbietern im Low-price-Segment.

Im Januar 1994 arbeiteten weltweit 133.000 Menschen für Accor-Betriebe, wobei das Personal der Franchisenehmer nicht mitgezählt ist. Davon entfielen 39.000 auf Frankreich und 18.000 auf Nordamerika. Deutschland ist mit 13.000 Mitarbeitern und rund 2,1 Milliarden Mark Umsatz das drittwichtigste Land für den Konzern. Eine halbe Milliarde davon erwirtschaften die Hotels, eine dreiviertel Milliarde setzt die Gemeinschaftsverpflegung um. Weltweit nahm Accor im vergangenen Jahr rund 8,7 Milliarden Mark ein.

In der Außenkommunikation stellt Accor vor allem in Frankreich seine soziale Verantwortung als großer Arbeitgeber heraus. Dazu gehören neben der „Dienstleistungsuniversität“ auch (staatlih geförderte) Projekte zur Ausbildung und Beschäftigung schwer vermittelbarer Personen, etwa Langzeitarbeitsloser oder Behinderter. Dennoch gilt das Leistungsprinzip: Mitarbeiteraktien gibt es nur für die oberen Tausend.

Schließlich bemüht sich Accor um ein „grünes“ Image. Neue Hotels werden grundsätzlich energiesparend gebaut – in der Branche bis heute keine Selbstverständlichkeit. Alle diese Aktivitäten zusammen bilden – als Synonym für die Unternehmenskultur – den „Esprit Accor“, jenen „Geist“ der Firma, der außerhalb des Stammlands bisher unauffällig blieb.

Erschienen in w&v werben & verkaufen 36/1994

 

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