Wehe, wenn die Garantie abläuft

Dieser Beitrag von mir erschien kurz vor Weihnachten 1994 in der Computer-Zeitung mit der Dachzeile:

„Eine Adventsgeschichte oder das Ex-und-Hopp-Notebook“

Ich war damals rücksichtsvoll genug, den Namen des Fabrikats nur anzudeuten. Wäre ich gemein gewesen, hätte ich als weiteren Hinweis auf diesen internationalen Büromaschinenhersteller noch den Sponti-Slogan „immer besser manuell“ eingebaut. Jahre später merkte dieses in Armonk im US-Staat New York ansässige Weltunternehmen, dass es für alle Beteiligten besser ist, die Produktion seiner „Denkpolster“ den Chinesen zu überlassen.

 

Im Weihnachtsgeschäft sind sie wieder allgegenwärtig: Markencomputer zu Ramschpreisen. Diese Restposten wollen die Hersteller möglichst nie wiedersehen – am allerwenigsten als Reparaturobjekt in der Werkstatt.

Endlich kann ich aufatmen. Der Kleine ist wieder da. Nach zwei Monaten des Bangens und Hoffens kam das Happy-end: Meinem gerade einmal 14 Monate alten Lieblingscomputer bleibt das vorzeitige Ende auf dem Wertstoffhof erspart.

Begonnen hatte das nervenraubende Drama recht harmlos auf einer Reise durch Norddeutschland. Wie immer mit dabei: das Notebook, längst des Reporters wichtigstes Arbeitsuntensil. Eines Morgens bleibt beim Booten der Bildschirm dunkel, der Helligkeitsregler stellt sich tot. Allerdings surrt die Festplatte ganz normal, und auch die Kontroll-LEDs melden sich brav zum Dienst. Im Schein einer starken Tischlampe sind sogar noch alle Directories erkennbar. Glück gehabt: Daten sind nicht verloren gegangen, bloß die Hintergrundbeleuchtung ist hinüber.

Mein Adrenalinspiegel sinkt wieder, schließlich kann so etwas doch keine weltbewegende Affäre sein: Man läßt einfach die Lichtquelle austauschen und die Sache hat sich, oder? Denkste! Bei dem schnuckeligen Computerchen handelt es sich nämlich nicht um irgendein No-name-Fabrikat, einen Aachener Colani-Blaumann oder die Hausmarke eines Bochumer Rot-Schwarz-Händlers. Nein, das Teil stammt aus gutem Hause, von einem jener traditionsreichen EDV-Konzerne, deren Namen man gern mit drei Buchstaben abkürzt. Eben diese blaublütige Herkunft sorgt dafür, daß sich die Kleinigkeit zu einer mittleren Staatsaffäre entwickelt, auf deren Höhepunkt es kurzzeitig so scheint, als lege der Hersteller es darauf an, in der schadenfreudigen Fernsehshow „Wie bitte?!“ ausführlich gewürdigt zu werden.

Jenes berühmte Unternehmen (dessen genaue Identität wir schon deshalb im Dunkeln lassen wollen, weil sich der Fall bei einem anderen der Drei-Buchstaben-Konkurrenten wohl genauso hätte abspielen können) hatte anno 1993 sein Herz für den „SOHO“-Markt entdeckt: Small Office/Home Office, also Heimarbeiter, Kleingewerbetreibende oder Freiberufler wie unsereinen. Zur Freude dieser Kundschaft, die sich das Luxusfabrikat zum Listenpreis nie leisten würde, hatte der Konzern einige Paletten des nämlichen Notebook-Auslaufmodells über eine große Fachmarktkette verscherbelt: 1995 Mark für einen ausgesprochen tragbaren 386 SL mit 85-Megabyte-Platte und zwei Megabyte Hauptspeicher, Umhängetasche und Mehrwertsteuer inklusive. Zur Erinnerung: Damals war das ein Schnäppchen, für das man die Arbeit stehen und liegen ließ. Wer vor zwölf Uhr mittags auf das Inserat reagierte, konnte sich noch ein Exemplar sichern.

Den Haken der Offerte entdeckt der Käufer freilich erst, wenn die Garantiezeit abgelaufen und tatsächlich der Kundendienst gefordert ist. Zu dem Fachmarkt zu gehen, ist reine Zeitverschwendung; auf einen zweiten Akku zum Wechseln („Müssen wir bestellen!“) wartet man dort ein Jahr, ohne auch nur die Nachricht zu erhalten, er sei nicht lieferbar. Kaputte Geräte schickt der Laden an eine zentrale Werkstatt oder den Hersteller ein, und damit die Kunden kein zweites Mal das Personal mit Reparaturaufträgen belästigen, beträgt die Bearbeitungszeit mindestens zwei Monate.

Was liegt also näher, als direkt den technischen Außendienst unseres Lieferanten aufzusuchen, der ganz in meiner Nähe eine Filiale unterhält? Ein ziemlich naiver Gedanke, wie sich herausstellt. Der Mann am Serviceschalter schaut mich ganz betrübt an, denn er weiß, was ich nicht mal ahne: daß die Arbeitszeit eines Monteurs in dieser Firma zu ähnlichen Tarifen kalkuliert wird, wie sie sonst nur ein Zahnarzt oder ein erfahrener Unternehmensberater in Rechnung zu stellen wagt. Tatsache: Bei dem geforderten Stundensatz von 280 Mark plus Mehrwertsteuer würde ein vollbeschäftigter Reparateur fast eine halbe Million Mark pro Jahr erwirtschaften. Ein schriftlicher Kostenvoranschlag wird pauschal als halbe Arbeitsstunde bewertet, so daß 140 Mark auf jeden Fall weg sind. Wenn der Konzern schon am Verkauf von Rechnern kein Geld mehr verdient, will er wenigstens bei der Wartung auf seine Kosten kommen.

Offensichtlich bin ich nicht der erste, dem die Höhe der Gebühren die Sprache verschlägt. Jedenfalls bietet mir der immer betrübter blickende Servicemann ganz fürsorglich die Adresse eines Fachhändlers an, der es billiger machen würde – nur sitzt der nicht in meiner Stadt, sondern irgendwo in der schwäbischen Provinz. Ich verzichte dankend und bestehe darauf, daß der Werkskundendienst den Rechner durchcheckt. Schließlich sind mündliche Kostenvoranschläge bisher noch gratis: Die 140 Mark sollen wohl nicht den manuellen Aufwand fürs Auf- und Zuschrauben abdecken, sondern den für das Erstellen des KV-Formbriefs per Großrechner.

Weniger Tage später kommt der Schock kostenlos per Telefon: Ein Chip auf der Hauptplatine sei defekt, die neue Platine koste 1725 Mark, dazu komme eine Stunde Arbeit, summa summarum koste die Reparatur also 2005 Mark plus Mehrwertsteuer. Mit der fälligen Umsatzsteuer wäre das mehr als ein wirtschaftlicher Totalschaden – das Flicken kostet rund 16 Prozent mehr als der ganze Computer. Man kann sich vorstellen, wie genüßlich RTL-Showmaster Geert Müller-Gerbes und seine Komödiantentruppe daraus eine heitere Samstagabend-Nummer machen würden, zumal ein Anruf bei der erwähnten schwäbischen Provinz-Werkstatt ergibt, daß ein derartiger Schaden für höchstens 500 Mark zu richten sein müßte. Aber soll man seinen Computer einer unbekannten Firma anvertrauen?

Nun hat man als Journalist, der schon eine Zeitlang über diese Branche schreibt, das Privileg, bei den Herstellerfirmen mindestens so bekannt zu sein wie das Wie bitte?!-Team. Also ran ans Telefon und die nette Dame von der Presseabteilung – nur halb im Scherz – gefragt, ob bei ihrer Marke neuerdings die Lebensdauer der Geräte an die Länge der Garantiezeit und die Reparaturkosten an den Kaufpreis gekoppelt seien. Der Gesprächspartnerin ist der Vorfall hörbar peinlich, obwohl sie persönlich ja nicht die geringste Schuld trifft.

Nun beginnt eine unfreiwillige Recherche über die Schwerfälligkeit großer EDV-Unternehmen, die sich trotz (oder wegen?) wiederholter Umstrukturierungsaktionen immer noch mächtig selbst im Weg stehen. Eine Reparatur in der Firmenzentrale beispielsweise scheidet schon einmal aus: „Wir haben hier gar keine Techniker mehr im Haus.“ Aber vielleicht könne man ja auf dem Kulanzwege das defekte Gerät gegen Zuzahlung in ein neues Modell umtauschen? Mal sehen.

Weil die nette Pressedame weiß, wie lang sich in ihrem Hause die Bearbeitung von Reklamationen hinziehen kann, schickt sie mir zur Überbrückung schnell ein Ersatzgerät gleichen Typs aus dem Bestand ihrer Abteilung. Als am nächsten Tag der UPS-Bote zweimal klingelt, bestätigt sich aufs Gemeinste das Klischee vom Schuster, dessen Kinder angeblich immer in durchgelatschten Schuhen herumlaufen. Der Apparat aus der Pressestelle hat nämlich nicht nur die falsche Tastatur (die englische QWERTY-Version), sondern auch eine Macke im Powermanagement, welche zur Folge hat, daß sich das Notebook ausschließlich am Netz benutzen läßt. Nun gut: In dem neuen Kongreßzentrum, wo ich mich demnächst drei Tage lang aufhalten werde, sind ja im doppelten Boden überall Steckdosen versenkt, dann schleppe ich statt Akku halt den Trafo mit.

Unterdessen schaltet sich die örtlich zuständige Verkaufsniederlassung ein. Die nächste Enttäuschung: „Mit Kulanz können wir da nichts machen, das würde einen Präzedenzfall schaffen.“ Im Klartext: Ein Gerät im Wert von gerade einmal 2000 Mark in Zahlung zu nehmen, übersteigt die Kompetenzen selbst leitender Mitarbeiter der Filiale. Mit einem solchen Vorgang, gibt ein Vertriebsmann zu, würden vor allem etliche Mitglieder der Hierarchie solange von ihrer sonstigen Arbeit abgehalten, daß dieser Personalaufwand in keinem Verhältnis zum Wert des Computers stehe. Sein durchaus akzeptabler Alternativvorschlag: „Sie schließen mit einem unserer Händler einen Wartungsvertrag, der kostet Sie 300 Mark, und dann lassen Sie Ihr Notebook reparieren.“

Mit diesem frommen Selbstbetrug des Unternehmens hätte das Ärgernis nun zu Ende sein können. Ist es aber nicht. So hält der Händler die originelle Idee für abwegig: „Der Rechner ist kaputt, und Sie haben keine Garantie mehr, richtig? Dann können wir keinen Wartungsvertrag mehr abschließen. Da zahlen wir doch drauf.“ Daß der Hersteller ihm die Kosten ersetzt, will er verständlicherweise schriftlich haben – womit die beabsichtigte unbürokratische Handhabung gestorben ist. Indes: Der Händler bekommt den Computer und die verlangte Zusicherung. Beim Hersteller ist derweil soviel Arbeit angefallen, daß diese bei 280 Mark Stundenlohn gewiß den Neuwert des defekten Motherboards übertrifft.

Zwei Wochen später liegt das Notebook immer noch beim Händler in der Werkstatt. Begründung: „Wir warten noch auf ein Ersatzteil.“ Handelt es sich etwa um das Board, das nur elf Mark billiger ist als der komplette Rechner?

Als endlich der Anruf kommt „hier Schulz, Sie können Ihren Computer abholen“, sind gut sechs Wochen vergangen. Der Wartungskontrakt ist eine Woche später in der Post – noch ohne Autogramm meines Vertragspartners. Als mein Exemplar schließlich gegengezeichnet eintrifft, trägt es zwei gewichtige Unterschriften. Ordnung muß sein, selbst bei einem Abschluß über 300 Mark.

Mit einem blauen Auge davongekommen, ärgere ich mich nun über meine eigene Dummheit: Da predigt man seinen Lesern, beim Computerkauf nicht nur auf den Preis zu schauen, und fällt selbst hinein. Nächstes Jahr muß ich mich entscheiden, ob ich den Wartungsvertrag verlängere oder die Kiste verschenke. Denn beim derzeitigen Preisverfall übersteigt die Jahresprämie womöglich bald den Zeitwert.

Sicher ist: Beim nächsten Computer wird alles anders. Der wird bei einem Händler gekauft, der auch repariert – und sei es Escom oder Vobis. Ein Stundensatz von 140 bis 160 Mark, wie ihn die meisten PC-Spezialisten verlangen, ist teuer genug. Vor allem würde sich kaum ein Händler erfrechen, wegen eines kaputten Controllers ein komplettes Motherboard auf den Schrott zu werfen. Zwar lötet niemand mehr in eigener Werkstatt an den Chips herum. Aber der Handel kooperiert mit unabhängigen Wartungsfirmen, die solche fast heilen Platinen preisgünstig wiederaufbereiten können.

Noch besser als billige Ersatzteile ist allerdings eine lange Garantiezeit. Ein Hersteller, der 36 Monate lang für seine Produkte gerade steht, darf gerne ein paar Mark mehr verlangen. Für Geräte mit kurzer Gewährleistungsfrist bieten die bekannten Handelsketten für moderate Gebühren eine Garantieverlängerung an; Computerland in Köln verlangt beispielsweise für vier Jahre einmalig zehn Prozent auf den Kaufpreis.

Die großen Discounter allerdings hängen ihre Service-Pakete nicht an die große Glocke, damit der Käufer nicht denkt, daß sein neuer Computer auch mal kaputt gehen kann. Statt dessen hauen sich PC-Ketten und Fachmärkte gegenseitig die Preise um die Ohren. Warum auch nicht: Unverbesserliche Optimisten unter den Kunden gibt’s schließlich noch en masse.

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