Mit WAP ins Web – ein Elend. Nun schwört die Branche auf die Tempotechnik UMTS und investiert Milliarden. Doch UMTS wird teuer – und womöglich ein Flop.
Schluss mit der Langsamkeit – jetzt beginnen die goldenen Zeiten für Handyfans, versprechen die Mobilfunkbetreiber. Mit der neuen Übertragungstechnik Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) soll das Internet mobil werden. Mit Datenraten von bis zu zwei Megabit pro Sekunde, die UMTS schafft, können Nutzer beispielsweise einen Pop-Song in einer Minute in ihr Handy laden und in CD-Qualität anhören. Zum Vergleich: Das heute benutzte Wireless Application Protocol (WAP) schafft 9,6 Kilobit, ausreichend zum Abrufen von Börsenkursen, aber unbrauchbar für Web-Seiten, Videos oder Musikdateien.
Tatsächlich sind die Designstudien und Prototypen der UMTS-Geräte, die Hersteller von Siemens über Ericsson bis Nokia vorgestellt haben, faszinierend und meilenweit entfernt vom ärmlichen Minimalismus der WAP-Modelle. So soll es superflache Color-Bildtelefone im Handyformat mit einer winzigen Kamera zum Herausklappen geben. Oder einen digitalen Diskus, mit dem sich Touristen unterwegs via Internet allerorten im jeweiligen Stadtplan orientieren können. Oder den eleganten Mini-Organizer Dame von Welt, der komplette Web-Seiten in Farbe wiedergibt.
Doch ob UMTS jemals ein Erfolg wird, bezweifeln Branchenkenner. Vor allem, weil die Refinanzierung der Investitionen kaum zu schaffen ist. In Großbritannien haben sich jüngst fünf um UMTS-Lizenzen buhlende Unternehmen gegenseitig hochgepokert und Schatzkanzler Gordon Brown 70 Milliarden Mark in die Kasse gespielt. Brown hatte mit zehn Milliarden Mark gerechnet. Die heißspornigen Visionäre reden sich zur Beruhigung ein: In wenigen Jahren wollen moderne Großstadtnomaden ebenso wie Hinterwäldler auf Schritt und Tritt mit sechs- bis 32-facher ISDN-Geschwindigkeit mit dem Internet verbunden sein – und kräftig dafür zahlen.
Früher mussten sich Investoren nicht auf solche Szenarien versteifen: Jahrzehntelang war es in Europa Usus, Investitionen in zukunftsweisende Technik mit Steuermitteln zu fördern – eine bessere Startposition. Jetzt legen die Unternehmen freiwillig astronomische Summen hin nur für die Erlaubnis, in den Aufbau einer Infrastruktur investieren zu dürfen. So freut sich auch die Bundesregierung auf außerplanmäßige Milliardeneinnahmen. Wie im Königreich werden hierzulande die UMTS-Frequenzen meistbietend versteigert. Jeder will Ende Juli dabei sein, die Deutsche Telekom und Mannesmann, E-Plus und Viag Interkom, Mobilcom und Debitel, MCI Worldcom und Talkline.
Neben der Lizenzgebühr werden die Betreiber zehnstellige Beträge in den Netzausbau investieren müssen. Das Zähneknirschen der freiwillig-unfreiwilligen Sanierer der deutschen Staatskasse ist nicht zu überhören. Telekom-Chef Ron Sommer nutzt jede Gelegenheit, seinen Unmut kundzutun: „Diese Milliardensummen sind volkswirtschaftlich höchst bedenklich.“ Besonders übel nimmt Sommer den Politikern, dass jedes EU-Land die Lizenzvergabe nach eigenem Gusto handhabt. Die spanische Regierung etwa veranstaltete unter den Bewerbern einen Beauty-Contest – die beste Präsentation gewinnt. Eine für die Sieger billige Lösung, die etwa dem Anbieter Telefónica erlaubt, das gesparte Geld für E-Plus beim hiesigen Poker einzusetzen.
Eines ist sicher: UMTS wird ein teurer Spaß. Denn das Geld, das der Preisschlacht zum Opfer gefallen ist, wollen sich die UMTS-Firmen von ihren Kunden zurückholen. Und die werden zahlen müssen, wenn sie multimedial auch nur halbwegs auf dem Laufenden sein wollen. Denn die heutigen GSM-Mobilfunknetze sind Auslaufmodelle. Schon jetzt stoßen sie allein durch Telefonieren an die Grenzen ihrer Kapazität.
Der Betrag, den jeder UMTS-Kunde in der Kalkulation der Anbieter wegen der „Internet-Steuer“ (Sommers Zorn über die Auktionserlöse) einspielen soll, ist immens. In Großbritannien zahlen die Netzbetreiber pro Inselbewohner über 1300 Mark an den Staat. Umgerechnet auf die in absehbarer Zeit in Europa zu erwartende Mobilfunkdichte von 50 Prozent der Bevölkerung sind es 2600 Mark für jeden britischen Handybesitzer. Damit nicht genug: Bleibt es dabei, dass viele Mobilfunkkunden unterwegs nicht surfen, sondern nur telefonieren und SMS-Nachrichten nutzen wollen, erfordert allein die Refinanzierung der Lizenzabgabe einen Pro-Kopf-Umsatz, der private Nutzer mit durchschnittlichem Einkommen ausschließt.
Für Deutschland ist nichts anderes zu erwarten. Der Münchner Marktforscher Mathias Plica rechnet daher mit einer Teilung des Markts: „Die breite Sprachkommunikation bleibt auf lange Sicht die Domäne der GSM-Netze. Das hochwertige Drittel der Mobilfunkkunden wird bis 2010 an UMTS gehen.“
Selbst für berufsmäßige Internet-Nutzer hat UMTS nicht das Zeug zum Selbstläufer. In den wichtigen Ballungsräumen der Industrieländer haben Festnetzbetreiber, Kabel-TV-Provider und Energieversorger mit dem Ausbau konkurrierender Breitbandnetze begonnen, die mit dem UMTS-Speed lässig mithalten können und zudem billiger sind. Außerhalb dicht besiedelter Gebiete wiederum können die Kunden auf UMTS lange warten – die Installation amortisiert sich nicht, und die Lizenzen enthalten keine Pflicht zur flächendeckenden Versorgung.
Problemlos surfen während der Fahrt im ICE – ebenfalls Fehlanzeige. Funklöcher wird es auch mit der neuen Technik geben, und die Maximalgeschwindigkeit von zwei Megabit pro Sekunde schafft die übertragungstechnik sowieso nur unter Laborbedingungen: Im Stillstand in der Nähe eines UMTS-Senders, sofern nicht zu viele andere Surfer online sind.
Im Vorfeld der Auktionen in Europa mehren sich daher Warnungen aus der Finanzwelt, die wirtschaftlichen Chancen von UMTS nicht überzubewerten. John Matthews von der Londoner Marktforschungsfirma Ovum glaubt: „Die werden sich alle fragen, wie zur Hölle sie daraus noch einen Gewinn schlagen sollen.“
Außerhalb der EU wird das Thema UMTS bisher auf ganz kleiner Flamme gekocht. Als viel heißer gelten in den USA so genannte Voice-Portals, sprechende Pendants zu Internet-Seiten wie Yahoo. Ein Anruf mit einem beliebigen Telefon genügt, und schon liefert ein sprachgesteuerter Auskunftsroboter alle gewünschten Infos. In Japan feiert der Funknetzbetreiber NTT Docomo enorme Erfolge mit preiswerten iMode-Handys, die leistungsfähiger sind als WAP-Geräte. Und die deutschen Mobilfunk-Provider arbeiten im Stillen an einem Mittelweg zwischen GSM und UMTS. Mit dieser Technik namens GPRS sind Übertragungsgeschwindigkeiten wie im ISDN-Festnetz möglich.
Der besondere Charme liegt im Preis: In ihm muss keine Internet-Steuer enthalten sein.
Erschienen in BIZZ 6/2000.
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