<e>MARKET-Shop-Test
Mit amateurhaften Auftritten vergraulen viele Internet-Händler ihre Kunden. Selbst die Großen müssen noch lernen.
Die gnadenloseste Auslese stand gleich am Anfang. Wie, so fragte sich die <e>MARKET-Redaktion, ermittelt man die 100 wichtigsten Online-Shops in Deutschland? Anhand ihres Umsatzes? Unmöglich: Zu viele Händler verschweigen oder verschleiern schamhaft ihre Zahlen. Nach der Kundenfrequenz? Geht nicht: Auch dazu führt niemand eine vollständige, verlässliche Statistik. Ein gewisses Maß an Willkür würde sich nicht vermeiden lassen. Warum also sollten nicht diejenigen entscheiden, von denen auch im richtigen Leben der Erfolg jedes Geschäfts abhängt – normale Käufer? Wer schließlich in den Kreis der zu Testenden aufgenommen wurde, hatte daher zumindest eines geschafft: Er hatte die Aufmerksamkeit eine interessierten, halbwegs webkundigen Laien erregt. Entweder durch klassische Werbung oder durch seine Präsenz in populären Portalen wie T-Online, AOL, Yahoo oder Web.de.
Keine Gimmicks
Für den Inhaber so manchen Shops, der diese Hürde nicht genommen hat und daher in der Tabelle fehlt, ist dies kein Grund, sich zu grämen. Denn die Auswertung von 100 detaillierten Fragebögen förderte Ergebnisse zutage, die für das Gros der Online-Versender ausgesprochen peinlich sind. 57 der Probanden erreichten weniger als die Hälfte der 100 möglichen Punkte. Der beste Laden, Bertelsmanns „Medienshop“ BOL, schrammte haarscharf an der 80-Prozent-Marke vorbei (siehe Interview auf Seite 84).
Zugegeben: Die Ansprüche an die Unternehmen waren hoch; und eine schlechte Platzierung bedeutet nicht automatisch, dass in einem solchen Shop kein leidlich befriedigendes Kauferlebnis möglich ist. <e>MARKET ging es nicht um eine „Tomorrow“-Trophäe für die hübschesten Gimmicks oder Shockwave-Flash-Anwendungen, sondern darum, wer die Mechanismen des Marketing- und Vertriebsmediums Internet respektiert. Punkte sammeln konnten die Händler deshalb allein durch klassische Kaufmannstugenden: wenn sie es a) dem Käufer so einfach, bequem und angenehm wie möglich machten, sein Geld loszuwerden, und sich b) hinterher nicht allzu ungeschickt dabei anstellten, ihn als Stammkunden zu halten.
Damit sind nicht nur kleine Startups oft überfordert, sondern auch Netzableger etablierter Handelsunternehmen, die sich auf Grund ihres Know-hows aus der Online-Welt eigentlich leicht tun müssten mit professioneller Kundenansprache. So sieht der Versender Manufactum, bekannt für handwerklich hochwertige Lifestyle-Produkte, das Web offenbar nur als zusätzlichen Weg zur bestehenden Kundschaft denn als Chance, via Internet neue Käuferkreise zu erschließen. Beispiel E-Mail: Während reinrassige E-Commerce-Häuser wie Amazon, BOL oder Mytoys dieses Kommunikationswerkzeug bis ins Letzte ausreizen, verzichten die Westfalen komplett darauf. Der Testkäufer fand nicht einmal eine Auftragsbestätigung in seiner Mailbox, geschweige denn Informationen zum Lieferstatus. Einen besonders bösen Fauxpas – gerade im Hinblick auf die überdurchschnittlich betuchte Klientel von Manufactum –
produzierte die von Brokat stammende Technik: Am Apple-Macintosh gelang den Testern beim besten Willen keine Bestellung; erst am Windows-PC ließ sich der Auftrag absenden.
Bei Görtz 17 hingegen haben es die Kunden allzu leicht, ihren Auftrag loszuwerden. Das Schuhhaus bringt es fertig, Bestellungen anzunehmen, ohne dem Kunden auch nur eine Chance gegeben zu haben, sich die Zahlungsart auszusuchen. Ein zweites Paar Sandalen in den Warenkorb legen? Es gibt keinen Warenkorb. Bei der Schuhgröße vertippt und statt 39 die (gar nicht lieferbare) 49 eingegeben? Pech für den Kunden: Auf die Idee, wie (fast) alle anderen Online-Shops, die Angaben aus dem ausgefüllten Formular noch einmal zwecks Bestätigung anzuzeigen, kam der
Web-Designer nicht. Weil auch sonst kaum etwas war, wie es hätte sein können, landete Görtz mit 26 von 100 möglichen Punkten an der Spitze der Flop Five – ein angemessener Platz für ein Unternehmen, das sich selbst derart unnötig der Gefahr von irrtümlichen oder falschen Bestellungen
aussetzt.
Während sich die Tester bei einer nennenswerten Minderheit der Web-Läden des Eindrucks nicht erwehren konnten, es handle sich um bloße Alibi-Veranstaltungen nach der Devise „wir sind auch im Netz“, ist beim typischen Shop durchaus der Wille zu erkennen, tatsächlich etwas zu verkaufen. Woran es mangelt – das zeigt die Auswertung der Testbögen überdeutlich – ist das, was im Jargon der Marketing-Gurus „Kundenorientierung“ heißt: also die Fähigkeit, die eigene Website mit den Augen des Kunden zu betrachten.
Der fiktive 100-Prozent-Shop, an dem sich die 100 Test-Kandidaten messen lassen mussten, ist dementsprechend kein multimediales Gesamtkunstwerk, sondern ein perfekter „Point of Information“. Der strengeMARKET-Kriterienkatalog beginnt bei der Kontaktaufnahme und endet erst nach der Lieferung. War eine bestimmte Information trotz gezielter Suche nicht zu finden, galt sie als „nicht vorhanden“.
Der ideale Shop
Um in der Kategorie „Neukunden erreichen“ die volle Punktzahl zu erzielen, musste die Homepage aussagekräftige Metatags enthalten – Stichwortgeber für die Suchmaschinen. Ein Jeansladen sollte also nicht gerade „Herrenoberbekleidung“ eingetragen haben. Nur 47-mal kreuzten die Tester hier „ja“ an. Mit Punktabzug wurden in immerhin 14 Fällen Bookmarks geahndet, die nicht kurz, prägnant und eindeutig waren. Wer Interessenten nicht gleich wieder – wie leider 85 Prozent der Anbieter – mit einer Mindestbestellmenge abschreckte, rückte ein Stückchen vor.
Versandkosten galten als okay, sofern der Kunde an geeigneter Stelle darauf hingewiesen wird; also nicht erst, wenn er seinen Warenkorb schon gefüllt hat. Diese Frage war wesentlicher Bestandteil des Blocks „Umfassend informieren“, der mit einer Gewichtung von 28 Prozent entscheidenden Einfluss auf die Gesamtbewertung hatte. Bestnoten bekam, wer nicht nur zu jedem Produkt eine Abbildung zeigte, sondern auch eine angemessen ausführliche Beschreibung mitlieferte.
Als K.-o.-Kriterien waren hier auch Angaben zur Lieferzeit sowie die Platzierung der AGB definiert. Ein kleines Plus war es, wenn Verbraucher Kommentare zu Produkten abgeben dürfen. Fast perfekte Vorbilder sind hier die Buch- und CD-Versender BOL und Amazon. Der extrem niedrige
Punktedurchschnitt (15,5 von 28) zeigt, wie groß die Defizite sind: Informationsfülle ist die Stärke des Hypertext-Mediums Internet – doch manches Unternehmen tut so, als sei der Platz so begrenzt wie im Videotext.
Auch mit der Präsentation der zu sparsam dosierten Infos hapert es bei vielen Online-Läden. Immerhin 21-mal mussten die Testpersonen ankreuzen, nicht alles sei gut lesbar gewesen – sei es, weil der Web-Designer vergessen hatte, das es so etwas wie Brillenträger und billige Bildschirme gibt, sei es, weil sich bestimmte Elemente aufgrund technischer Macken nicht öffnen ließen. Maßstab war: Die Darstellung musste mit Netscape auf einem Mac hinter einer Firewall einwandfrei sein. Wer nur Besitzer von Windows-PC mit Explorer und direktem Netzzugang bedient, büßte hier wegen Mangel an Kundenorientierung Punkte ein.
Zu den Essentials, die darüber hinaus im Index „Abwicklung erleichtern“ zusammengefasst wurden, gehören außerdem eine Suchfunktion (idealerweise ein Eingabefeld für fehlertolerante Volltextsuche bereits auf der Homepage), ein idiotensicher zu bedienender Warenkorb (die Funktionen „Artikel hineinlegen“ und „Inhalt ansehen“ müssen klar erkennbar sein) sowie eine deutlich sichtbare Hotline-Nummer (Gebühr möglichst nicht höher als normales Ferngespräch). Was diese Punkte angeht, können andere Branchen bei den Buchhändlern in die Lehre gehen (Spitze: Amazon). Kaum Nachhilfe haben die Spielzeugfirmen und Online-Drogerien nötig.
Salzsäure offline
15 Prozent der Punkte konnten die Kandidaten damit verdienen, den Kunden diverse Ängste zu nehmen: Angst vor Cookies, Angst vor Datenmissbrauch, Angst vor Betrügern. Als vertrauensbildende Maßnahmen gewürdigt wurden Hinweise auf stationäre Läden oder bekannte Marken des Unternehmens, die gut platzierte Hausadresse und Vertrauenssiegel wie „Trusted e-Shop“. Hier kamen nur wenige Sites gut weg: Der Geschlechtsbedarfsversender Orion, das Technische Kaufhaus Brinkmann, C&A, Boo.com, Mytoys und Vitago. Schlusslicht ist Medienhändler Booxtra mit einem (!) Punkt.
Furchterregend kann freilich auch die Art und Weise ein, in der eine ansonsten angesehene Firma mit Online-Bestellungen umgeht. So schickte eine Filiale der Baumarktkette Bauhaus der Redaktion ein testhalber geordertes Kilogramm 25-prozentiger Salzsäure als Päckchen – mit einem Warnhinweis nur für Eingeweihte: „UN 1789“ prangte auf grauen, fotokopierten Zetteln, die mit Tesafilm am Karton befestigt waren. Den Lieferschein hatte jemand per Hand ausgefüllt. Etwas maschinell Gedrucktes lag auch bei: ein Bon aus der Registrierkasse des Markts.
Solche Sonderleistungen fanden keinen Eingang in die Bewertung. Doch zu 13 Prozent floss das Verhalten der Anbieter nach dem Bestelleingang in die Note ein. Unter dem Strich verdienten sich die Getesteten aber nicht einmal vier Prozent ihrer Gesamtpunkte mit Services wie Auftragsbestätigungen per E-Mail, in denen übrigens die Rechnungssumme enthalten sein sollte wie ein Verweis auf den Liefertermin.
Dieses Manko machten einige der Unternehmen – außerhalb der Wertung – teilweise wieder wett, indem sie dem Paket kleine Geschenke beilegten: ein Spielzeugauto, eine Baseballkappe und immer wieder Gummibärchen. Aus der Reihe fiel ein Anschreiben des Kosmetikshops Beautynet. Sendet die Kundin der Firma die E-Mail-Adresse einer Freundin, erhält diese (nicht die Kundin) einen Einkaufsgutschein über 15 Mark. Bei vielen Online-Verkäufern endet allerdings die freundschaftliche Kommunikation mit dem Kunden schlagartig, sobald der Vorgang das Auslieferungslager erreicht hat: Aus Kunden werden Schuldner, die barsch darauf hingewiesen werden, dass ihnen die Ware bis zur vollständigen Bezahlung gar nicht gehört – selbst wenn als Zahlungsart Nachnahme vereinbart ist. Chaotische Mixturen aus Lieferschein, Rechnung, Überweisungsvordruck und Reklamationsformular (zum Teil auf einem Blatt) machen so manchen guten Eindruck aus dem Internet wieder zunichte. Bisweilen langt es nicht einmal für eigene Briefbögen.
So lautet ein nicht Fragebogen-taugliches Ergebnis deMARKET-Shop-Tests: Es nützt gar nichts, sich online aufzuplustern. Spätestens wenn er das Paket öffnet, merkt der Kunde, an wen er geraten ist.
ERSCHIENEN IN DER ERSTAUSGABE VON <E>MARKET (20/2000).
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