Nur wenige Wochen hielten deutsche Internet-Provider mit ihren Flatrates durch. Dennoch haben Pauschaltarife Zukunft – in Breitbandnetzen großer Anbieter.
Nylis G. Renschler war immer ein Außenseiter auf dem deutschen Internet-Provider-Markt. Ende August bekam der Deutschamerikaner endlich große Publicity – als Pionier eines kaufmännischen Harakiri mittels Flatrate.
Der Gründer der Surf1 GmbH wurde das Opfer seiner eigenen Naivität – kalt erwischt von Power-Usern, die seine Pauschaltarife so ungeniert ausnutzten wie Las-Vegas-Touristen, die zum All-you-can-eat-Büffet einen Koffer voller Tupper-Dosen mitnehmen. Tag und Nacht blieb diese Klientel online. Mancher teilte seinen Zugang sogar vertragswidrig mit Freunden. Das konnte nicht gut gehen. Denn die Verbindung vom Kunden zum Provider läuft über das Netz der Telekom, die pro Minute bis zu zwei Pfennig kassiert. Bereits bei vier Stunden Surfen täglich zahlte Renschler drauf. Die Konsequenz: Ende August meldete Surf1 Konkurs an.
Nicht nur der Bitburger Pleitier hat sich verspekuliert. Nahezu alle bundesweit aktiven Flatrate-Anbieter sahen sich zur Notschlachtung ihrer Pauschalen gezwungen. Allein die Branchenriesen T-Online und AOL machten ohne Rücksicht auf Verluste weiter. Für die Verbraucher ist die Marktbereinigung vorerst kein Problem. Die Großen der Branche setzen weiterhin auf preiswerte Pauschalangebote – eine Variante freilich, die ihnen Gewinne verspricht, weil keine teuren Telefonleitungen blockiert werden: die ADSL-Flatrate. Bis Anfang 2001 will die Telekom schon 600 Ortsnetze auf die Breitbandtechnik aufrüsten, die es erlaubt, mit zwölffacher ISDN-Geschwindigkeit zu surfen und gleichzeitig zu telefonieren. In einigen Großstädten tritt zusätzlich Arcor mit High-Speed-Tarifpaketen an. Das wird auch Zeit: Mancherorts sind die herkömmlichen T-Online-Zugänge durch Flatrate-Dauer-Surfer bereits völlig überlastet.
AOL-Chef Uwe Heddendorp, dessen Unternehmen nicht über ein eigenes Netz verfügt, setzt alles daran, dass auch seine Kunden in den Genuss der schnellen Technik kommen. Erst mit ADSL kann er per Streaming Multimediainhalte wie Filme oder Musik-Clips vermarkten.
Schützenhilfe bekommt der Manager aus Bonn und Brüssel: Telekom-Aufpasser Klaus-Dieter Scheurle versucht nachzuweisen, dass der Exmonopolist seiner Tochter T-Online missbräuchlich Wettbewerbsvorteile verschafft. EU-Kommissar Erkki Liikanen will eine Verordnung durchpeitschen, die eine Großhandels-Flatrate für ADSL-Anbieter erzwingt. Kommt nichts dazwischen, wird der Internet-Zugang richtig billig: Heddendorp peilt 40 Mark pro Monat an.
Die Verlierer stehen bereits fest: außer kleineren Internet-Providern vor allem surfwillige Dorfbewohner. Grund: ADSL funktioniert nur im Umkreis von wenigen Kilometern um eine Vermittlungsstelle. Wer abgelegen wohnt, zahlt deshalb für eine langsamere Verbindung mehr Geld. Schon jetzt kostet die Standard-Flatrate bei T-Online 79 Mark, das Paket mit ADSL ist je nach Telefontarif bis Ende des Jahres ab 58,90 Mark zu haben. Dabei ist nicht einmal sicher, ob die Flatrates für konventionelle Netzzugänge überleben. Die AOL-Pauschale zu 78 Mark ist nämlich ein teurer Marketing-Gag: Bei jedem Kunden, der mehr als zwei Stunden pro Tag surft, zahlt AOL drauf.
Auch Arcor konzentriert sich auf Ballungsräume. Und selbst dort tut sich das Unternehmen mit seinem ISDN-ADSL-Paket schwer: Wer zu Gunsten von Arcor seinen Telekom-Anschluss kündigt, kann beim Telefonieren nicht mehr per Call-by-Call fremdgehen.
STICHWORT
ADSL. Internet-Anschluss, der Daten mit zwölffachem ISDN-Tempo empfängt und mit doppeltem ISDN-Tempo sendet – an analogen wie auch an digitalen Anschlüssen. Da die Daten auf einem ungenutzten Frequenzband durch das Kupferkabel rasen, wird die Telefonleitung nicht blockiert.
Erschienen in BIZZ 12/2000.
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