Zum elektronischen Fremdenführer für jedermann will die Mobilfunkbranche das Handy aufrüsten. Die ersten Location-based Services sind bereits verfügbar, verlangen aber noch erheblichen Pioniergeist vom Verbraucher.
Praktisch, was T-D1 seinen Kunden bietet: Im WAP-Menü „unterwegs“ auswählen, auf „Taxi“ klicken, und schon erscheint die Rufnummer der zuständigen Funkzentrale auf dem Display. Wo genau er in dieser fremden Stadt gerade im Regen steht, muss der arme Mensch dem Telefonisten aber noch selbst erklären. In Berlin hat er zum Beispiel Auskunft zu geben, ob jene Knesebeckstraße, in der ihn der andere Fahrer abgesetzt hatte, nun in Charlottenburg, Lichterfelde oder Zehlendorf liegt.
Auch Viag Interkom will Reisenden helfen, sich in der Fremde zurecht zu finden. Über den Handydienst M-Kompass kann sich ein Tourist, dem das Bare ausgeht, den Weg zum Geldautomaten weisen lassen. Doch wenn er sein Konto nicht gerade bei der Sparkasse hat, sollte er vorher recherchiert haben, welchem Automatenverbund seine Bank angehört. Sonst landet er bei einem Schein-Werfer, für dessen Benutzung er als Kunde eines Fremdinstituts hohe Gebühren zahlt.
Standortbezogene Infodienste sind der letzte Schrei in der Telekommunikation. Weil sich der Begriff so amtsdeutsch anhört, spricht fast die ganze Branche von Location-based Services (LBS) – auch nicht gerade ein Hit für zugkräftige Werbekampagnen. Dabei ist die Botschaft, die zu vermitteln den Anbietern so schwer fällt, ganz simpel: Das Handy weiß künftig, wo es ist, und es findet wie ein elektronischer Spürhund in der weltweiten Informationsflut des Internets automatisch exakt die Information, die für sein Herrchen oder Frauchen zu dieser Zeit an diesem Ort wichtig ist.
Wenn das mal so einfach wäre. Zwischen dem, was Ingenieure heute hinkriegen, und dem, was tatsächlich angeboten wird, klafft eine riesige Lücke. So wäre es technisch kein Problem, dem Taxifahrer den Standort eines orientierungslosen Fahrgasts auf zehn Meter genau mitzuteilen. Der Netzbetreiber weiß eigentlich auch, bei welcher Bank der Kunde sein Konto hat, denn er bucht dort die monatliche Telefonrechnung ab. Eltern könnten Kindern Handys mit auf den Schulweg geben – nicht aus Statusgründen, sondern um jederzeit ihren Aufenthaltsort kontrollieren zu können. Durchreisende Autofahrer fänden fix die nächste Tankstelle; Wirte hätten die Möglichkeit, allen Büromenschen in der Nachbarschaft, die das nicht stört, die Tageskarte aufs Handy zu funken.
Nichts davon passiert. Alle bisher verfügbaren Lokal-Dienste beschränken sich auf den Beweis, dass die Anbieter das Thema erkannt haben. Was fehlt, sind Inhalte, die mit der nicht-digitalen Welt konkurrieren können und sich auch rentieren. So lotst der mobile Helfer D2-Kunden, die sich mit dem letzten Tropfen Sprit von der Autobahn geschlichen haben, im Zweifelsfall an mehreren Stationen von Esso, Shell, BP oder Dea vorbei: Außer Aral hat noch kein Mineralölkonzern die Notwendigkeit erkannt, die geografischen Daten seiner Zapfsäulen zu erfassen. Machen aber alle mit, führt der Aufwand nicht zur Steigerung, sondern zur Umverteilung des Umsatzes – ein Nullsummenspiel.
Was die Erfolg versprechenden Anwendungen sein könnten, ist derzeit Thema von Kongressen. Streitpunkt ist die Frage, für welche Informationen der Handybesitzer bereit ist, Extragebühren zu zahlen. So hatten die im Mai ausgeschiedenen Viag-Interkom-Chefs Maximilian Ardelt und Burghardt Ziermann geplant, der Kundschaft ab Sommer eine Mark für jede Ortsbestimmung abzuknöpfen – zusätzlich zu den WAP-Kosten. Doch damit könnte die Ortung eines gebührenfrei nutzbaren Geldautomaten unrentabel werden. Und ein Pfennigfuchser-Dienst wie Clever-Tanken.de lässt sich aus dem stationären Internet nur dann in sein mobiles Pendant transferieren, wenn die pro Tankfüllung gesparten Dreifünfzig nicht nur in die Kassen der Mobilfunker umgeleitet werden.
Während die Öffentlichkeitsarbeiter von Dl und D2, E-Plus und Interkom unbeirrt behaupten, lokalisierte Infos seien der Clou des mobilen Internets, zeigen sich ihre Chefs wenig investitionsfreudig. So begnügen sie sich bislang mit der billigsten – und ungenausten – Ortungsmethode, bei der nur die Basisstation ermittelt wird, in deren Strahlenkegel sich der Anrufer befindet. Im Zentrum einer Großstadt sind diese Funkzellen mit einem typischen Durchmesser von 150 Metern noch überschaubar; auf dem Land jedoch deckt eine Antenne schon mal eine Parzelle ab, deren Rand fünf bis zehn Kilometer entfernt ist. Für einen Wegweiserdienst, den womöglich ein Bahnfahrgast oder Radfahrer nutzt, sind so grobe Raster indiskutabel.
Auch der amerikanischen Telekom-Aufsichtsbehörde FCC war die Methode zu primitiv. Ab dem 1. Oktober, lautet die Order aus Washington, müssen alle Mobilfunkbetreiber eine Technik einsetzen, die jeden Kunden auf 125 Meter genau orten kann. Begründung: Polizei oder Rettungsdienste verlören sonst im Notfall zu viel Zeit. Darum rüsten die US-Netzfrrmen ihre Sender nun mit Peilgeräten aus. Diese können aus dem Winkel, aus dem die Funkwellen auf die Antenne treffen, oder aus unterschiedlichen Signallaufzeiten zu benachbarten Funkmasten den Aufenthaltsort des Gesuchten auf weniger als 100 Meter genau bestimmen. Mit GPS-Satellitenpeilung würde das Zielgebiet sogar auf zehn Meter Durchmesser schrumpfen. Voraussetzung dafür wären aber neue Handys.
Von derlei High-Tech lassen deutsche Anbieter im Moment die Finger. Auch bei den Inhalten scheuen sie das unternehmerische Risiko. Lieber überlassen sie den Content Dritten wie dem Berliner Internet-Unternehmer Joachim Kastner, der für D1 einen Hotelkatalog erarbeitet hat. Der Telekomzulieferer organisierte eigens zu diesem Zweck eine Sammelbestellung bei einem Anbieter von geografischen Daten. 13.000 Hoteliers zogen mit. Für sie war das Thema mit dem Kauf des Datensatzes, in dem Längen- und Breitengrad kodiert sind, allerdings nicht ausgestanden. Wollen sie nicht nur Telekom-Kunden ansprechen, müssen sie ihre Koordinaten bei mehreren Diensten registrieren lassen.
Immerhin stehen Aufwand und Nutzen bei der Suche nach einem Zimmer oder Restaurant noch in einem plausiblen Verhältnis. Die Ankündigung der Betreiber, auch Apotheken ins Netz zu bringen, könnte sich indes als voreilig erweisen. Nutzwert bekommt ein solcher Service erst, wenn ein Zentralcomputer alle deutschen Notdienstkalender speichert – viel Aufwand für ein paar auswärtige Patienten, die nach Ladenschluss Arznei brauchen.
In den USA sucht die Branche derweil nach Chancen, die von der FCC erzwungene Lokalisierung kommerziell auszuschlachten. So hat sich der Geodaten-Vermarkter Mapinfo einen Service für Makler ausgedacht: Zu jedem Objekt, das sie besuchen, liefert ihnen eine Datenbank die relevanten Infos – etwa die Entfernung zu Shopping und Schule oder Daten zur Demografie der Wohngegend. Konkurrent Vicinity dealt ebenfalls mit Geschäftskunden: Firmen wie Levi’s oder General Motors können nun die Adressen ihrer Händler mit deren Standort-Koordinaten verknüpfen. So schlägt das Handy den PC – wer im Web sucht, muss bislang wenigstens die Postleitzahl eintippen. Dass sich Ortsinfos noch zur Geldmaschine entwickeln, gilt als unwahrscheinlich. „Location-based Services“, warnt Julie Robson, Marktforscherin bei Analysys in London, „sind keine Killer-Applikationen.“
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Wie Location-based Services funktionieren und was sie leisten.
Technik: Wer mit eingeschaltetem Handy unterwegs ist, verrät dem Netzbetreiber, wo er ist: Das Telefon meldet sich automatisch bei der nächstgelegenen Basisstation an und kann damit in Städten auf wenige hundert Meter genau geortet werden. Eine präzisere Peilung erlaubt das Satellitensystem GPS, doch es funktioniert nur im Freien. Der Einbau eines GPS-Moduls würde Handys deutlich teurer machen und den Akku stark belasten.
Anwendungen: Touristen und Geschäftsreisende finden per WAP-Handy bereits Hotels, Restaurants, Taxen, Banken und Tankstellen. Eltern können ihre Kinder (oder die an Alzheimer leidenden Großeltern) anpeilen; Cliquen halten Kontakt über Funktionen wie den Friendfinder, der meldet, wenn sich ein Bekannter nähert. In Zukunft sind vor allem professionelle Lösungen zu erwarten, zum Beispiel für das Disponieren von Außendienstmitarbeitern, Servicetechnikern und Lkw-Flotten.
Kosten: Im heutigen GSM-Netz laufen Ortsdienste im WAP-Modus, bei dem die Minute 39 Pfennig kostet. Bei GPRS-Handys wird nach Seiten bezahlt. Die Ortsbestimmung wird wahrscheinlich bald extra berechnet.
Datenschutz: Im Normalfall bestimmt der Nutzer selbst, wann er sich orten lässt. Dem Dienstanbieter gegenüber bleibt er anonym.
Erschienen in BIZZ 7/2001.
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