Die Drittelwissensgesellschaft

Nie konnte man so viel wissen wie heute, doch zu viele Menschen scheuen die Mühe der Recherche.

Man muss Sarah Kuttner nicht gleich zur Philosophin adeln, aber mit ihrer Formel vom „oblatendünnen Eis des halben Zweidrittelwissens“ charakterisiert die TV-Aussteigerin treffend das Bildungsniveau, das einem erklecklichen Teil der Gesellschaft genügt, um sich eine Meinung zu bilden und danach zu handeln. Selbstbewusst drängen die Ahnungslosen aufs Glatteis und übertönen mit ihrem Geplapper das Knirschen unter ihren Kufen. Beim Schlittern über seichte Gewässer riskieren sie ja höchstens kalte Füße.

Wer das für arrogante Polemik hält, braucht sich nur in die Dauerdebatte um die Gesundheitsgefahr namens Mobilfunk zu vertiefen. Dieses beliebte Aufregerthema verlangt dem, der ernsthaft mitreden will, die Bereitschaft ab, sich eingehend mit Forschung und Technik zu befassen – und in Betracht zu ziehen, dass der Experte, der einem mit imposantem Vokabular einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt, ein Scharlatan sein könnte. Diese Skepsis geht jedoch vielen Bürgern und leider auch Medienmenschen ab: Der Gegner einer Technik – zumal wenn er sich mit Approbation oder gar Professortitel schmücken kann – genießt einen Vertrauensbonus gegenüber seinem Widersacher aus der Wirtschaft, der natürlich nur die Risiken herunterspielt. Wer da zu behaupten wagt, dass die Gurus der Anti-Mobilfunk-Szene mit dem Anschein wissenschaftlicher Autorität so manchen Humbug von sich geben, riskiert die Exkommunikation.

So kam der Münchner Franz T. unlängst in einem Schweizer Anti-Sendemasten-Forum nicht zu Wort – die Betreiber machten klar, dass sie Beiträge von Nestbeschmutzern nicht hinnehmen. Anderswo beharken Selbstgewisse und Zweifler einander in Flame Wars. Manche Mitglieder der „Bewegung“ (!) halten sich mit verbaler Gewalt gar nicht erst auf: In ihrem blindwütigen Hass auf alles, was funkt, legten Saboteure neben diversen Mobilfunk-Basisstationen kürzlich sogar eine Sendeanlage des Roten Kreuzes lahm.

Vielleicht haben wir ja einfach zu idealistische Vorstellungen von der Wissensgesellschaft: Sich im Internet wirklich schlau zu machen ist mühsam und anstrengend. Wer nur seine Vorurteile bestätigt haben möchte, ist schneller fertig – und hat noch Zeit, nach Sabotageanleitungen zu stöbern.

Aus der Technology Review 2/2007, Kolumne FROITZELEIEN

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