Porsche Consulting: Die Selbsthelfer-Truppe

Einst musste Porsche von Toyota lernen. Inzwischen ist es der schwäbische Sportwagenbauer, der anderen Firmen zeigt, wie sich Produktion und Entwicklung verbessern lassen.

Text: Ulf J. Froitzheim

Capital 8/2007

Souveränität ist, einen 911er oder Cayenne stehen zu lassen und mit der Bahn zu fahren. Stephen Reith und Jürgen Lochner sind so souverän. Beim Cappuccino im Bordbistro geben die beiden Herren mit dem Porsche-Emblem auf der Visitenkarte – Kaufmann der eine, Ingenieur der andere – unumwunden zu, dass selbst die besten Autos aus dem Fuhrpark ihres Arbeitgebers keine Chance haben, den ICE zu schlagen. Nicht auf der Fahrt von Stuttgart nach Bonn-Holzlar, zum Hauptquartier des Autozulieferers Kautex Textron, derzeit mit knappem Vorsprung Weltmarktführer bei Kraftstoffanlagen. Das sind jene aufwendigen Hightech-Systeme für optimale Benzinlagerung- und verteilung im Auto, die nur ein ahnungsloser Banause noch als Tanks bezeichnen würde.

Das eilige Zwei-Mann-Team arbeitet nicht etwa für die Einkaufsabteilung des Kautex-Referenzkunden Porsche. Es ist genau umgekehrt. Kautex ist der Klient; Lochner und Reith sind angestellt bei Porsche Consulting, einer Tochterfirma mit Sitz in Bietigheim-Bissingen. Die beiden stehen dem amerikanisch-deutschen Unternehmen Kautex bei etwas zur Seite, das im üblichen Beraterjargon wohl hochtrabend unter Geschäftsprozess-Optimierung liefe. Aber das klingt zu sehr nach Informationstechnik, betriebswirtschaftlicher Theorie und Powerpointpräsentationen. Die Gesprächspartner in den Betrieben hätten für so etwas gar keinen Kopf. Es sind Menschen, die genau wissen, dass sie sich von ihrem Gehalt – oder Lohn – niemals einen Wagen aus Zuffenhausen werden leisten können. „Wir trauen uns zu“, sagt Lochner, „mit jedem Werker so zu sprechen, dass er uns wahrnimmt und auch akzeptiert.“

Elitär an Porsche Consulting ist nur der Name. Das Unternehmen, das sich dahinter verbirgt, ist das genaue Gegenteil: Bodenständigkeit wird hier als Teil der Firmenkultur zelebriert. Geschäftsführer Eberhard Weiblen lässt keine Gelegenheit aus, sich vom Mainstream der Beraterbranche abzugrenzen, vor allem von all den geschniegelten Jungakademikern, die mit theoretischem Wissen vollgestopft und in dunklen Anzügen die Besprechungszimmer bevölkern.

„Ich bin Schwabe“, sagt er, als könne es daran Zweifel geben, „das hat mich bei Porsche immer begeistert: Dieses Sofort-zum-Punkt-Kommen, Ned-lang-Schwätze, Gemeinsam-Mache.“ Für ihn ist es selbstverständlich, dass sich Unternehmensberater den grauen Kittel überstreifen und auf Augenhöhe mit denen reden, an deren Arbeitsplatz sich etwas verändern soll.

Genau darum ging es auch 1992, als Wendelin Wiedeking Vorstandsvorsitzender bei der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG wurde. Das Unternehmen mit den fünf Punkten im Namen brauchte Change Management, und zwar sehr rasch. Der Sportwagenbauer trieb in wesentlichen Bereichen einen Aufwand, der selbst gemessen an den stolzen Preisen der Produkte weit überhöht war. Lange hätte die Traditionsfirma so nicht überlebt.

„Doktor Wiedeking“, erläutert Weiblen routiniert, „ist mit Führungskräften inklusive Meisterebene nach Japan gefahren, um zu zeigen, wie die besten Fabriken der Welt funktionieren.“ Die Exkursion zu – wem sonst? – Toyota und seinen Zulieferern war die Rettung. Bei dem für seine Philosophie der kontinuierlichen Verbesserung respektierten Massenhersteller führte Wiedeking nicht nur den Anzugträgern seines Hauses vor Augen, dass die Abläufe in Zuffenhausen von Weltklasse weit entfernt waren. Sondern auch den Schlüsselfiguren: den Männern im grauen Kittel. Sie trugen die Botschaft in die Werkshallen weiter, dass nur eine japanischere Porsche AG eine Zukunft hat.

Nachdem die bis dahin so stolzen Stuttgarter Werker den ersten Schock überwunden hatten, zogen sie mit – unterstützt von japanischen Beratern, die ihnen den „Toyota- Weg“ wiesen – so der Titel eines Business-Bestsellers von Jeffrey Liker. Binnen weniger Jahre hatte Wiedeking Porsche profitabel gemacht und wieder auf Wachstumskurs gebracht.

Dieser Geschichte verdankt die Consulting-Tochter in Bietigheim-Bissingen ihre Existenz. Als kleiner Hersteller hatte Porsche keine Chance, bei seinen Lieferanten Druck auf die Preise zu machen. Das Unternehmen konnte ihnen aber einen geldwerten Vorteil bieten, der angesichts der Hardball-Verhandlungen von Großeinkäufer José Ignacio Lopez (erst GM, dann VW) just-in-time kam: Beratung bei der Prozessoptimierung.

Der Deal: Von der Kosteneinsparung kommen zwei Drittel Porsche zugute, ein Drittel dem Lieferanten, der damit ja auch seine Marge im Geschäft mit Großkunden verbessern konnte. Das sprach sich herum, und schließlich fragte Sitzhersteller Recaro, ob Porsche nicht auch in der Abteilung für Flugzeugsitze mal nach dem Rechten schauen könne.

Heute hat Porsche Consulting 150 Mitarbeiter und ist längst nicht mehr nur in der eigenen Branche unterwegs. Weil kontinuierliche Verbesserung ein Dauerthema ist, arbeitet die Tochter zu 20 Prozent für die Mutter, zu 80 Prozent für externe Klienten. Wiedeking persönlich vermittelte den Auftrag, die Abläufe im Freiburger Klinikum daraufhin zu untersuchen, wo Ärzte und Schwestern Zeit verplempern. Das Projekt war Anlass zu einer seltenen Konstellation: Weiblens Leute kooperierten mit McKinsey, um die eigene Prozess-Expertise mit dem Branchenwissen der Konkurrenz zu verbinden.

Das Kerngeschäft sind jedoch nach wie vor Projekte rund ums Auto, wie sie die Kautex-Berater Lochner und Reith betreuen. In dieser Branche muss Porsche Consulting nach wie vor keine Reklame für sich machen. Das Geschäft läuft entweder über Empfehlung – oder wie bei Kautex. Dessen Geschäftsführer Lothar Rosenkranz ist mit Porsche nicht nur als Lieferant verbunden, er ist auch Fan der Marke. Als er vor ein paar Jahren nach Stuttgart kam, um seinen neuen 911er in Empfang zu nehmen, nutzte der gelernte Techniker die Gelegenheit, sich den Betrieb zeigen zu lassen. „Mir hat das sehr gut gefallen, weil die Toyota-Ideen wirklich umgesetzt waren“, erzählt Rosenkranz, „ich habe mich auch mit den Leuten am Band unterhalten, die hatten das verinnerlicht.“ Seine Gesprächspartner in den Werkshallen vermittelten den Kontakt zu Consulting-Chef Weiblen, und Rosenkranz überwand seine tief sitzende Skepsis gegenüber Unternehmensberatern.

Kurze Zeit später war Porsche-Consultant Lochner mit seinem Team bereits in einem Kautex-Werk in Niederbayern im Einsatz – ausgerechnet in einer Fabrik, die mit dem Titel „Factory of the year“ ausgezeichnet worden war. Ihm war schnell klar: „Die spielen hier schon gute Bundesliga.“ Also konnte das Ziel nur heißen: „Wie kommen wir gemeinsam in die Champions League?“ Es dauerte ein paar Tage, da hatten sich die Berater, die in Jeans und T-Shirts gekommen waren, den nötigen Respekt verschafft: Sie isolierten tatsächlich eine Schwachstelle im Ablauf, die sich mit geringem Aufwand beheben ließ: Werkstücke wurden in Fertigungsinseln neu gruppiert, so dass die Arbeit an ihnen noch schneller möglich war als zuvor.

„Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir es begreifbar machen für die Menschen im Betrieb“, sagt Lochner. Beobachtet er in einer Fabrik umständliche Handgriffe, überlegt er sofort, wie es besser ginge. „Hands on“ nennt er seine Maxime.

Das war 2005. Mittlerweile ist Porsche Consulting weltweit bei Kautex aktiv, sogar in einem Werk in Hiroshima, das den Kunden Toyota mit Tanks beliefert. Lothar Rosenkranz gibt offen zu, dass sein Ziel darin besteht, das Know-how der Porsche-Leute „abzusaugen“ und in die Köpfe seiner Mitarbeiter zu transportieren. Dazu hat er für alle Mitarbeiter in Entwicklung und Einkauf ein Mauspad drucken lassen, auf dem der gesamte Produktentstehungsprozess eines Kraftstoffsystems, der sich über drei Jahre erstreckt, abgebildet ist. Jeder hat immer vor Augen, wo die Schnittstellen sind, an denen es darauf ankommt, mit den anderen Beteiligten im Team zu spielen.

„Da steckt sehr viel Know-how drin“, sagt Porsche-Berater Reith, „genau so entwickelt Porsche Autos.“ Während es in der Fertigung, wo die Berater in Kittel und Arbeitsschuhen herumlaufen, darum geht, Verschwendung in Form überflüssiger Wege und Handgriffe zu erkennen, heißt die Herausforderung in der Entwicklung „Concurrent Engineering“. So gut wie kein wichtiges Bauteil in der Autoindustrie wird heute noch von einem Unternehmen allein entwickelt. So startet Kautex schon mit der Entwicklung des Tanks für ein neues Porsche-Modell, während in Zuffenhausen das erste grobe Konzept des Autos entsteht. Kautex wiederum muss die Hersteller der Benzinpumpen einbinden.

Die Arbeit wird den Porsche-Consultern so rasch nicht ausgehen. Wer in die Projekte eines forschungsstarken Autoherstellers eingebunden ist, der ist den Zulieferern immer einen Schritt voraus. Den größten Coup der vergangenen Zeit landeten die Bietigheimer mit dem Projektmanagement bei der Entwicklung eines neuartigen Turboladers für den aktuellen 911er – außer Zulieferer Borg Warner waren 30 Sublieferanten involviert. Das war keine Routine: Die verstellbaren Schaufelblätter des Abgas-Turboladers hatten erstmals eine variable Turbinengeometrie. Sie machen dadurch besonders starke Beschleunigung möglich und ließen sich nicht aus herkömmlichen Materialien herstellen, weil sie zu heiß werden. Porsche benötigte eine neue Legierung, die Temperaturen bis zu 1000 Grad verkraftet. Doch jede technische Veränderung wirkt wieder zurück auf Bauteile eines anderen beteiligten Unternehmens.

Zwei Jahre lang zog Porsche Consulting die Fäden, dann war der „Turbo aus dem All“ fertig, wie die Ingenieure das Teil wegen seiner Weltraum-Werkstoffe nennen. A propos Fäden ziehen: Der Einstieg von Porsche in die Krankenhausbranche kam beim Kunden so gut an, dass Consultingchef Weiblen inzwischen einen Arzt als Berater eingestellt hat. Im Zuge der Gesundheitsreform könnte das Team, das einst das Know-how aus japanischen Toyota-Hallen für die Zuffenhausener bündelte, noch manchem Hospitalmanager Hilfe zur Selbsthilfe geben.

 

 

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