Die Bundesregierung will den Servicesektor erforschen lassen. Am besten, sie beauftragt Historiker.
Endlich wissen wir, was unsere Innovationspolitiker unter „schnell“ verstehen: binnen einer Legislaturperiode. Es gelte „schnell eine profilierte Dienstleistungswissenschaft aufzubauen“, hatte 2005 die halbamtliche Initiative „Partner für Innovation“ gefordert, auf dass Theoretiker und Praktiker gemeinsam solide Grundlagen schüfen für die Entwicklung zukunftsweisender Service-„Produkte“.
Kaum vier Jahre später packt’s die Bundesforschungsministerin auch schon an. Annette Schavan will von ihren Forschern „wissen, was Dienstleistungen erfolgreich macht“. Das ist ihr bis zu 15 Millionen Euro Steuergeld wert. Pro Jahr. Zweierlei weiß die neugierige Ministerin allerdings schon vorher. Erstens sind Dienstleistungen (also Tätigkeiten so unterschiedlicher Menschen wie Ingenieure, Redakteure, Coiffeure oder Bilanzfriseure) „weltweit Motor für Wachstum und Beschäftigung“. Und zweitens ist dieser im Fachdeutsch „tertiär“ genannte Sektor, der in der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft angeblich für 70 Prozent der Wirtschaftsleistung steht, zu unproduktiv. Die Forschungsvorhaben sollen nämlich unter anderem eruieren, inwieweit die Fertigungsindustrie als Rationalisierungsvorbild für Branchen taugt, die keine greifbaren Güter zu verkaufen haben, sondern etwas Immaterielles wie Wissen oder Rechtsansprüche.
Als Spielverderber könnte man jetzt einwenden, dass die tertiären Hemdenträger („white collar workers“) die Weltwirtschaft nicht zuletzt deshalb dominieren, weil sie mit ihren Ideen die Produktivität der sekundären Blaumänner derart auf die Spitze getrieben haben, dass die Fabrik als Motor für Beschäftigung ausgedient hat. Falls die ministerielle Ausgangshypothese stimmt und die Erfahrungen aus diesem Segment übertragbar sind, müsste die Dienstleisterzunft konsequenterweise ihr Know-how dazu nutzen, sich früher oder später selbst wegzurationalisieren – eine Aufgabe, die selbst hartgesottenen Jobkilling-Profis einen Tick zu weit geht.
Fürs Erste könnten die Service-Vordenker den Hebel bei ihren subalternen Kollegen ansetzen. Handel, Banken und Behörden haben ja den Spielraum für ultimativ-produktive Selfservice-Konzepte längst nicht ausgeschöpft. Neben der Werbung für Do-it-yourself-Kassenscanner böten sich Maßnahmen zur Akzeptanzsteigerung von Sprachcomputern auf 01805-Hotlines an („Sie haben; drei! Gelbe Bananen? Gewählt!“). Selbst der naivste Kunde verzichtet freiwillig auf die Stimme eines echten Callcenter-Agenten, bucht man ihm erst einmal fünf Euro Personalkosten plus Gewinnmarge ab. Kleiner Haken: Aus volkswirtschaftlicher Sicht fiele diese Art von Serviceoptimierung in die Kategorie Bärendienst.
Um unserem Gemeinwesen einen solchen zu ersparen, könnte man Frau Schavan auch daran erinnern, dass die Finanzdienstleister ganz ohne F&E-Förderung viel mehr innovative „Produkte“ ertüftelt haben, als der Welt gut tat. Oder noch besser: Es rafft sich jemand auf, im Forschungsministerium für die Erkenntnis zu werben, dass ein Etikett „Dienstleistung“ längst obsolet ist. Die technische Entwicklung hat die scharfen Grenzen zwischen Arbeitern und Angestellten, zwischen Kunden und Lieferanten verwischt. Jeder, der am Wirtschaftsleben teilnimmt, arbeitet heute mehr oder weniger als Dienstleister. Studienobjekt wäre ergo alles. Oder nichts. Warum also nicht Deutschlands Historikern die 15 Millionen Euro Subventionen zustecken – für die abschließende Analyse jener Epoche, in der Dienstleistung eine Perspektive für Menschen war, deren Jobs Maschinen übernahmen.
ULF J. FROITZHEIM, TR-Kolumnist, versucht als journalistischer Dienstleister für Zeitschriftenredaktionen innovativ zu bleiben.
Aus der Technology Review 6/2009, Kolumne FROITZELEIEN
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