Erst Springer, VDZ und New York Times, jetzt Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger: Die Medienmanager und -unternehmer haben nach 15 Jahren eingesehen, dass das damals mit dem Verschenken geistigen Eigentums via Internet nicht wirklich die allertollste Geschäftsidee war. Die tagesaktuelle Erkenntnis:
„Die Onlinewerbung allein wird nicht ausreichen, publizistische Qualität im Internet zu finanzieren.“
Das war zwar eigentlich schon von Anfang an klar. Aber auf Journalisten hört ja ein Verlagskaufmann nicht so gern, die verstehen ja als tumbe Idealisten und brotlose Künstler nix vom Geldverdienen (sonst wären sie ja Kaufleute geworden).
Jetzt aber wird das, was Journalisten intuitiv wussten, zu Allgemeinwissen. Rekapitulieren wir mal die Fakten, die die Herren Chefs hätten kennen können, sollen, müssen:
Interessante journalistische Berichte waren vor dem Online-Boom das einzige Vehikel, das im Huckepackverfahren Werbeanzeigen zu den Rezipienten transportieren konnte. Das Ganze funktionierte prima, weil lokale Oligo- und Monopole den Markt beherrschten. Mehr als zwei Zeitungsverlage in einem Verbreitungsgebiet gab es fast nirgends im Lande. Die Markteintrittsbarrieren, die einen Verleger an der Expansion in Nachbarregionen hinderten – eine Lokalredaktion und einen dito Vertrieb aufzubauen, ist personalintensiv, also teuer – schützten ihn gleichzeitig vor Angreifern, die ein ansonsten weitgehend identisches Produkt anzubieten hatten: den dpa-strotzenden Mantelteil.
Und wem gehört die dpa, deren redaktioneller Output heute eine ganz zentrale Rolle bei der Misere spielt? Den Verlegern. Die Agentur arbeitet nach dem Prinzip der Genossenschaft. War es also schlau, der dpa zu erlauben, die von ihrer Belegschaft zusammengetragenen Nachrichten auch Dritten zu verkaufen, die sie überregional kostenlos zugänglich machen? War es klug, den in der Printwelt naturgemäß vorhandenen Schutzzaun des Lokalen umzureißen und sich in einen Wettbewerb mit allen anderen Verbandskollegen zu stürzen, mit denen man sich doch jahrzehntelang via Gebietsschutz so schön die Pfründen geteilt hatte? Kaufmännisch gesehen war es kurzsichtig.
Doch die Gratiszeitung kam – nicht auf Papier, nur online. Plötzlich war der Wettbewerb da, den Politiker, Zeitungswissenschaftler und Journalistengewerkschaften immer angemahnt hatten, weil es galt, die „Pressekonzentration“ zu stoppen und eine Springerisierung der Tagespresse zu verhindern. Da hatten sich aber schon längt die Lokalmonopole breitgemacht, die stets beschworene publizistische Meinungsvielfalt endete meist an der Landkreisgrenze. Plötzlich wurde offenbar, dass die Nachrichtenmedien im Web keinen USP hatten, weder für Leser noch für Inserenten. Eigentlich eine alte Geschichte, die man von Kartoffeln, Schweinebäuchen und Speicherchips kennt: Wird ein Gut masshaft in vergleichbarer Qualität verfügbar, sprechen die Ökonomen von einer „Commodity“. Nur dass man News als Commodity jetzt „Content“ nannte. Zu deutsch: Füllmenge.
Hat hier jemand „geistiges Eigentum“ gerufen, „Intellectual Property“?
Jawohl, die Sprecher des Verlegerlagers. Okay, sie nennen es anders, sie beklagen die von ihnen selbst erst ermöglichte „Gratiskultur“ und den in ihr üblichen „Content-Klau“, den sie mittels eines „umfassenden“ Leistungsschutzrechts nicht verhindern können, aber wenigstens eindämmen wollen.
Es ist die alte „Haltet-den-Dieb“-Masche: Den Löwenanteil dessen, was die fraglichen Online-Seiten füllt, haben sich die nach Leistungsschutz Rufenden billig unter den Nagel gerissen – nämlich Agenturmaterial, PR-Texte oder Werke von freien Mitarbeitern, die per Knebelvertrag alle Verwertungsrechte abtreten mussten. Dieselben Juristen und Verlegerfunktionäre, die immer noch die im Urheberrechtsgesetz von 2002 (!) vorgeschriebenen Einigungen mit den Autoren über „angemessene“ Vergütung verschleppen, jammern lautstark darüber, dass sie an der bloßen Weiterverbreitung nicht angemessen verdienen. Das nennt man Chuzpe.
Laut Kress lobte Verleger-Repräsentant Wolff anlässlich der Verkündung seines Klagelieds die deutschen Verleger – sie machten „die besten Zeitungen der Welt“. Es wäre vielleicht mal an der Zeit, daran zu erinnern, dass es immer noch Journalisten sind, die die Zeitungen machen. Der Job der Verleger ist es, sich (im beiderseitigen Interesse und auch dem der Gesellschaft) zur Abwechslung endlich mal Geschäftsmodelle auszudenken, die im Online-Zeitalter wirklich funktionieren – und etwas nachhaltiger sind als das, was heute branchenüblich ist
Der Ruf nach einem „umfassenden“ Leistungsschutzrecht offenbart jedenfalls nur eines: tiefe Ratlosigkeit.
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