Das Europäische Patentamt sollte innovative Unternehmen fördern, nicht behindern. Im Moment hat es aber vor allem mit sich selbst zu tun.
Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund, wenn auch beim zweiten Versuch nichts gelingt. Kommt jemand allerdings beim vierten Anlauf immer noch nicht zu Potte, ist die Grenze zur Peinlichkeit überschritten. Vor diesem Punkt steht gerade das Europäische Patentamt (EPA). Dessen Verwaltungs rat ist seit Oktober 2009 mit nichts anderem beschäftigt, als einen Nachfolger für die derzeitige Präsidentin Alison Brimelow zu wählen. Dreimal gingen die nationalen Emissäre in Klausur, dreimal gab es keinen Sieger, und nur eine verwegene Zockernatur würde viel Geld darauf wetten, dass es beim nächsten Treffen am 1. März besser läuft.
Unterläge das Epa den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, wäre das Problem längst gelöst – sei es per relativer Mehrheit oder per Stichwahl. Doch das Zeremoniell folgt, warum auch immer, katholisch-feudaler Tradition. Wie im Vatikan gucken die Eminenzen ihren neuen Primus bevorzugt „inter pares“ aus, dringt kein Mucks nach draußen, schaut kein Rechnungshof auf die Kosten. Ob die Teilnehmer der Sondersitzungen sich hinter den schalldichten Türen des Sitzungssaals fetzen wie die Kesselflicker oder ob sie feilschen wie die Basarhändler, darf die Öffentlichkeit nicht erfahren.
Die Unfähigkeit der Behörde, ihren Chefsessel neu zu besetzen, macht den grundlegenden Konstruktionsfehler sichtbar, an dem das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) krankt. Der 1977 zwischen der BRD, Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und den Beneluxstaaten geschlossene Staatsvertrag ist auf Konsens getrimmt, nicht auf Effizienz. Die Vertreter der Mitgliedsstaaten sollten sich im Verwaltungsrat auf Augenhöhe begegnen, was gut gemeint und bei sieben halbwegs gleich Gesinnten auch kein Problem war.
Seither sind 29 weitere Signatare beigetreten. Und obwohl fast alle Staaten inzwischen als Vollmitglieder mit am Tisch sitzen, gilt das Prinzip „Ein Land, eine Stimme“ immer noch. Die sechs kleinsten Republiken und Fürstentümer – San Marino, Monaco, Liechtenstein, Island, Malta und Luxemburg – kommen zwar zusammen nur auf 1,3 Millionen Einwohner, ihr Einfluss ist aber der gleiche wie der von 340 Millionen Deutschen, Franzosen, Briten, Italienern, Polen und Spaniern. Doch dem Epa, einer der wichtigsten Institutionen der globalen Innovationsbürokratie, fehlen Kraft und Wille, eine unzeitgemäße Regel zu kippen, die schon den Fifa-Kongress, das Internationale Olympische Komitee und den Eurovision Song Contest zu Lachnummern gemacht hat.
Das Zwergstaaten-Privileg ist mehr als ein historischer Schönheitsfehler. Die meisten der 36 stimmberechtigten Mitgliedsländer haben nämlich ihren Sitz im Verwaltungsrat ausgerechnet einem Beamten anvertraut, der einem multinationalen Patentamt gar nicht vorbehaltlos loyal sein kann: dem Chef ihrer staatlichen Patentbehörde. Diese Konstellation mit eingebautem Interessenkonflikt erweist sich nun als schwerer Bremsklotz für die Weiterentwicklung des europäischen Patentwesens. Während sich die Wirtschaft nichts mehr wünscht als das einheitliche, europaweit gültige Gemeinschaftspatent, wollen die Nationalbürokraten das Rad eher zurückdrehen und wieder mehr Kompetenzen an sich ziehen.
Die Ängste der Landesfürsten vor einer Zentralisierung und Rationalisierung spielen wiederum eine zentrale Rolle bei der Brimelow-Nachfolge. Nicht zufällig haben sich vier Verwaltungsräte zur Wahl gestellt – die Amtsleiter Schwedens, Dänemarks, Frankreichs und der Schweiz. Jeder beanspruchte den Job des Obergärtners für sich, damit nicht einer der anderen Böcke die Blumen abfrisst.
Momentan kann niemand Schaden anrichten, denn die konsenssüchtigen Statuten verlangen eine Dreiviertelmehrheit. Für den Sieg braucht der Favorit, Benoit Battistelli aus Frankreich, also 27 Stimmen. Zehn genügen, um ihn zu verhindern – und der Schweizer Kandidat Roland Grossenbacher, Ex-Chef und Ehrenpräsident des Verwaltungsrats, verfügt laut Gerüchteküche über elf. Das Spiel der großen Buben endet erst, wenn Grossenbacher aufgibt oder sein Widersacher ihm zwei Gefolgsleute ausspannt.
Ginge es den Streithähnen nicht um die Karriere, sondern um die Interessen der europäischen Forscher, Entwickler und Erfinder, würden sie beide den Weg frei machen für eine Reform der EPA-Verwaltung, wie sie unter anderem Bruno van Pottelsberghe fordert. Der belgisehe Wirtschaftsprofessor, der die Organisation aus seiner Zeit als Chefvolkswirt des EPA von innen kennt, hält 21 Ratsmitglieder für genug, davon maximal zehn aus dem bisherigen Kreis. Die Mehrheit sollen interessierte Außenstehende bekommen, die bisher auf Distanz gehalten wurden. Das könnten Praktiker aus Mittelstand und Großindustrie sein, unabhängige Patentrechtler und Volkswirte, Politiker und Verbraucherschützer – das ganze Spektrum der gesellschaftlichen Gruppen, die das Thema etwas angeht. Damit hätte auch die Blockade des Gemeinschaftspatents ein Ende.
Große Sorgen um ihre Gebühren einnahmen brauchen die nationalen Patentamtchefs sich laut Pottelsberghe deswegen nicht zu machen. Der Ökonom hat ausgerechnet, dass sich das Gemeinschaftspatent auf die nationalen Ämter, die seit jeher von den EPA-Einkünften einen fetten Obolus abbekommen, außer für Deutschland sogar positiv auswirken würde. Das Einsparpotenzial von 250 Millionen Euro, das van Pottelsberghe der Industrie in Aussicht stellt, ginge vor allem zu Lasten der Patentanwälte und Übersetzer, jener großen Nutznießer der teuren Kleinteiligkeit im europäischen Patentwesen.
Erschienen in der Technology Review 3/2010
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