Was kommt aus der Springer-Druckerei, brüllt reißerische Schlagzeilen in die Welt und ist zu erkennen an einem weißen Vier-Buchstaben-Wort auf einem roten Quadrat? Richtig, die Bild.
Was kommt aus der Bertelsmannschen Akzidenzdruckerei Vogel, brüllt reißerische Schlagzeilen in die Welt, für die sich vermutlich sogar Kai Diekmann genieren würde, und ist zu erkennen an zwei weißen Vier-Buchstaben-Worten auf einem roten Quadrat? Die raum & zeit.
Das von der Wolfratshauser Verlegerin und Chefredakteurin Käthe Ehlers zu verantwortende Heft verspricht in der aktuellen Ausgabe, die ich heute als Wartezimmer-Lektüre entdeckt und spontan konfisziert habe, nichts weniger als die Lösung des größten Problems der Menschheit.
Nur zu gerne hätte ich auf dem Cover mal das Perpetuum mobile gesehen, also den energetischen Selbstläufer, der wertvoller wäre als jede Solar- oder Brennstoffzelle. Oder das Erfindergenie, das uns diese „Energie-Revolution“ beschert, passend zum Heft-Motto „Die neue Dimension der Wissenschaft“.
In der Story schrumpft die Revolution zu einem Knoff-Hoff-Show-Zaubertrick, dessen Entdecker (einem Musiker, der nicht Physik, sondern Philosophie und Mineralogie als seine Studienfächer angibt) selber das Knoff-Hoff fehlt, auch nur ansatzweise verständlich zu machen, was bei seinem vermeintlich Nobelpreis-würdigen Experiment physikalisch abläuft.
Um die dünne Wissenschaftsschmonzette zu lesen, soll das geneigte Publikum 8,80 € Copypreis berappen; für Käthe Ehlers ist das „Der Preis der Unabhängigkeit“. Soso, die Redaktion ist unabhängig von werbenden Firmen? Seltsam ist dann aber doch, dass sich auf vier Seiten ein Wolfratshausener Unternehmer darüber verbreiten darf, wie man mittels der von ihm vertriebenen Produkte seine Wohnung Faraday-mäßig abschirmt, damit man nicht mehr unter Elektrostress leiden muss: ein reinrassiger PR-Text, wie er im Anzeigenblatt steht, samt kompletten zur Geschäftsanbahnung tauglichen Kontaktdaten. Über diesem plumpen Advertorial steht aber nicht „Anzeige“, es ist auch sonst keine Anzeige von dem Mann zu finden. Und wenn der Unternehmer kein Inserent ist, dann ist die Unabhängigkeitserklärung tatsächlich keine Lüge im Sinne des Gesetzes.
Damit sich derartige Pressekodex-Verstöße…
Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.
…verkaufen, hat Ehlers‘ Redaktion eine – gemessen an der Zielgruppe – billige Boulevard-Masche drauf, die die Titelseite zur Spielfläche für wissenschaftsjournalistisches Bullshit Bingo macht:
Revolutionäre Theorie: Wird die Erde immer größer?
Revolutionäre Therapie: Heilung für die Augen
Revolutionäre Physik: Lichtgeschwindigkeit nicht konstant
Aspartam – Die tödliche Süße
Wissenschaftliche Sensation: Neue Methode lässt Organe nachwachsen
Erfolgreiche Krebs–Therapie: Hitze zerstört Tumor-Zellen
Skandal: Regierung verharmlost Krebs-Gefahr durch Atomkraftwerke
Spektakuläre Forschung – Zucker: Nährboden für Krebs
Visionäre Biologie: Quanten regieren Gene
Geheimdienstler packt aus: „Unschuldige werden mit Strahlen-Waffen gefoltert“
Von EU genehmigt: Gifte im Plastik
Gesundheitsfonds fördert Krankheiten
E-smog in Schulen macht Kinder krank
Wetter-Manipulation: Neues über Chemtrails
Vielleicht ist ja alles nur als Parodie auf den Wissenschaftsjournalismus unserer Tage gemeint. Dann wäre es allerdings sehr zynisch: Es gibt ja Leser, die das alles für bare Münze nehmen.
Sie sind der oder die 2010. Leser/in dieses Beitrags.