Fühlen Sie sich zu träge? Gönnen Sie sich doch ein bisschen Atemnot!
Für Arbeit am Computer ist der Mensch genetisch nicht ausgelegt. Wenn die einzige Abwechslung, die uns aus dem täglichen Kampf gegen E-Mails und Excel-Tabellen reißt, die vermeintlich lustigen Powerpoint-Anhänge der Kollegen zu Themen wie Blondinen, Alkohol und Autos sind, reagiert ein gesunder Körper auf die Zumutungen mit spontanem Büroschlaf. Leider ist diese segensreiche Untätigkeit sozial noch wenig anerkannt. Deshalb bleiben wir krampfhaft wach und jammern, wenn uns die Müdigkeit übermannt, gern über Sauerstoffmangel. Im fensterlosen Konferenzraum glaubt einem diese Ausrede sofort jeder.
Jeder außer Markus Spiegelhalder. Der Münchner Geschäftsmann, der sich bei einem Casting jede Rolle von Skilehrer über Golftrainer bis Weltumsegler aussuchen könnte, weiß es besser: Sauerstoffmangel macht fit. Okay, nicht irgendein beliebiger Sauerstoffmangel im muffigen, CO2-geschwängerten Bürokäfig, sondern ein exakt gesteuerter Sauerstoffentzug, wie ihn sich die Sportprofis beim leistungssteigernden Höhentraining antun. Das nämlich ist die geniale Geschäftsidee des schönen Markus Spiegelhalder: Mitten in der Münchner Schotterebene lässt er gestresste Kopfarbeiter Höhenluft schnuppern – und pumpt sie danach zur Belohnung mit einer Extraration O2 auf, bis von Kopf bis Fuß die Mitochondrien vibrieren.
Obwohl die exklusiven Preise vermuten lassen, der Wellness-Unternehmer fülle auf den berühmtesten Gipfeln der Welt eigenhändig Höhenluft in Flaschen, simuliert er den Gipfelaufenthalt natürlich bloß. In Spiegelhalders „Previum Lounge“ atmet man zu Premium-Tarifen ordinäre Großstadtluft mit einer Sonderportion Stickstoff. Ob Brauneck, Mont Blanc oder Kilimandscharo, das ist bei diesen Wechselduschen nur eine Frage der Dosierung.
Wer je Sportler gesehen hat, die sich beim simulierten Höhentraining mit Atemmaske auf dem Laufband quälen, wird ahnen, dass der selbsternannte „Zelltrainer“ Spiegelhalder so keine Kunden für seine Previum Lounge fände. Deshalb holt er die Zielgruppe da ab, wo sie steht respektive sitzt – an der Kippe zum Büroschlaf. Die Previum-Lounge ist das erste Fitness-Studio für Menschen, die Sport für Mord halten. Statt auf der Stelle zu rennen oder zu radeln, kuschelt sich der moderne Fitness-Freak in ein retro-futuristisches Gebilde, das aussieht, als hätte der Designer Luigi Colani einen BMW-CI-Kabinenroller zum Himmelbett umgebaut.
Nur technophobe Sportlehrer werden jetzt raunzen, dass Büromenschen besser daran täten, sich an der frischen Luft zu bewegen. Dem Herzmuskel des Stubenhockers tut die synthetische Höhenluft nachweislich gut. Ein Arbeitgeber, der daher seinen Leuten die Zehnerkarten sponsert, bekommt nach der mittäglichen Atem-Pause Mitarbeiter zurück, deren Kondition gestärkt ist, ohne dass ein kostspieliger Krankenstand infolge Sportausübung zu befürchten wäre. So klettert die Produktivität der Excel-Ausfüller auf neue Gipfelhöhen – und das Schlimmste, was der Boss befürchten muss, ist der so wahre wie müde Spruch: „Mein Chef nimmt mir heute wieder echt die Luft zum Atmen.“
ULF J. FROITZHEIM, Journalist und Flachlandtiroler, kommt auch ohne Höhenluft ins Keuchen – durch Pseudo-Radfahren auf dem Spinning-Bike.
TECHNOLOGY REVIEW | JULI 2011
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