„Mein“ Verband, der Bayerische Journalisten-Verband (BJV), und sein gesamtdeutscher Dachverband DJV haben eine seltsame Angewohnheit. Von Zeit zu Zeit nutzen sie ihre „innerverbandlichen“ Versammlungen zur Verabschiedung mehr oder weniger pathetischer Deklarationen, die den gesammelten Frust der Delegierten über alle halbwegs relevanten Missstände des Medienwesens auf einem Blatt Papier konzentrieren und von den Adressaten zuverlässigst ignoriert werden.
Diese gut gemeinten Statements, denen man gemeinhin aus falscher Höflichkeit zustimmt, kommen zumeist als nach dem Tagungsort benannte Erklärungen daher. Da der diesjährige DJV-Verbandstag in Würzburg zusammentrat, also auf dem Hoheitsgebiet des BJV, bescherte uns der Verband also diesmal auf maßgebliches Betreiben des BJV eine „Würzburger Erklärung“.
Ich weiß, dass ich mir jetzt wieder Feinde mache, aber mir ist diese Deklaration peinlich.
Sie ist mir peinlich, weil sie – nicht zum ersten Mal – offenbart, wie unproduktiv und wie wenig kreativ diese ritualisierten Hauptversammlungen sind. Wenn der Verbandstag ein Berg ist, dann kam er in Würzburg mit einem rhetorischen Mäuslein nieder. Bestenfalls erwecken wir mit diesem Text Mitleid. Man muss sich das vorstellen: Wir Journalisten appellieren an den Gesetzgeber, dass er bitte für anständige Arbeitsmöglichkeiten in/bei anständigen Medienunternehmen sorgen möge!?!?! Wie naiv ist das denn?
Machen Sie sich, macht Euch einfach selbst ein Bild davon, wie die größte Journalistenvereinigung im Land zum x-ten Mal über längst bekannte Entwicklungen lamentiert, statt konkrete und realistische Forderungen an diejenigen zu richten, die etwas ändern könnten.
Hier noch mal der Link zum Original – und wenn Sie mein Senf dazu interessiert, gibt’s hier noch mehr zum Thema:
„Die Medienlandschaft hat sich aufgrund der rasanten technischen Entwicklung und de
ms dadurch möglichen explosionsartigen Wachstums digitaler Angebote stark gewandelt. Die Medienunternehmen reagierten hierauf unter anderem mit der Einstellung von Titeln, Formaten und drastischen Einsparmaßnahmen, wodurch Tausende Journalisten ihren Job verloren oder durch Outsourcing, Leiharbeit, etc. nur noch zu deutlich verschlechterten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden.“
So sieht ein Text aus, an dem zu viele Journalisten herumgefuhrwerkt haben, von denen jeder und jede einzelne eigentlich mal die deutsche Sprache beherrschte. Nicht einmal hinsichtlich der Grammatik hat sich hier jemand durchsetzen können, von der Semantik ganz zu schweigen. Eine Erklärung, die so holprig beginnt, erklärt nichts – auch wenn ihr Bullshit-Index im Blablameter mit 0.46 noch einigermaßen passabel ist.
„Gleichzeitig wird immer weniger in Qualitätsjournalismus investiert. Gespart wird sowohl an der Ausbildung als auch an der lokalen Berichterstattung. Recherche – und insbesondere die investigative Recherche – ist aufgrund der immensen Arbeitsverdichtung in den Redaktionen kaum oder gar nicht mehr möglich. Unterhaltungs- und werbeorientierte Medienangebote nehmen immer mehr zu…“
So weit, so richtig als Befund (und sogar sprachlich okay). Aber dann folgt dieser befremdliche Satz:
„…Qualität und Pluralismus verkommen zu Schlagwörtern und es häufen sich die Anzeichen, dass ausschließlich kommerzielle Interessen auf Kosten der Unabhängigkeit des Journalismus verfolgt werden.“
Ich kenne genug Anzeichen, dass „ausschließlich“ hier völlig fehl am Platz ist. Warum kann man nicht einfach diejenigen angreifen, die hier anzugreifen sind? Es sind einige Großverlage, auch Teile der ARD, die an den Pranger gehören. Von solchen überzogenen Verallgemeinerungen und diffusen Kapitalistenbeschimpfungen ist es nicht mehr weit runter zum Niveau von Verschwörungstheorien.
„Die Freiheitsrechte werden mehr und mehr eingeschränkt. Durch die Gesetzgebung wird der Quellenschutz geschwächt, das Redaktionsgeheimnis ausgehöhlt und die Stellung des Journalisten als Berufsgeheimnisträger vielfach ignoriert.“
Ja, und was folgt daraus? Hier geht es leider nicht über das bloße Konstatieren eines lange bekannten Dauerskandals hinaus, denn im nächsten Absatz heißt es bereits:
„Urheber müssen den totalen Ausverkauf ihrer Rechte durch Verlage und Sender hinnehmen, weil es an Instrumenten zur Durchsetzung vorhandener Rechte mangelt. Freie erleben, dass sich die Zeitungsverleger nicht an Absprachen halten und weiterhin Dumping-Honorare zahlen, die weit unter den Gemeinsamen Vergütungsregeln liegen.“
Ach so, das ist alles noch der Vorspann. Die eigentliche Erklärung folgt weiter unten, mit nummerierten Paragrafen. Zuvor aber noch dieses vorgezogene Fazit:
„Der Medienwandel darf nicht dazu führen, dass die Werte des Journalismus aufgrund von wirtschaftlichen Interessen aufgeweicht, politisch infrage gestellt oder schlicht ignoriert werden. Daher appelliert der Deutsche Journalisten-Verband an den Gesetzgeber, Rahmenbedingungen für eine neue Medienordnung auf nationaler und internationaler Ebene zu schaffen.“
Ist niemandem aufgefallen, dass Journalismus kein Selbstzweck ist, sondern eine dienende Funktion gegenüber der Gesellschaft hat? Wenn so mit Journalisten und ihren Rezipienten umgegangen wird, ist das nicht die Krankheit, sondern deren Symptom. Es geht also nicht primär um uns, sondern um die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens, um die der Demokratie. Anders gesagt: nicht um die Werte des Journalismus, sondern um die gesellschaftliche Wertordnung. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit „wirtschaftlichen Interessen“ zu tun, wenn damit Gier und Egoismus gemeint sein sollen. Verleger, die den Hals nicht voll bekommen konnten, gab es immer schon; auch in deren Häusern blühte oft guter Journalismus. Das Problem sind unfähige Medienmanager, die an den Ästen sägen, auf denen sie sitzen. (Und natürlich Politiker, die in Geschichte nicht aufgepasst haben und auch nicht verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert.)
„1. UNABHÄNGIGER JOURNALISMUS IST EINE ÖFFENTLICHE AUFGABE
Neue Rahmenbedingungen müssen dafür sorgen, dass der Journalismus nicht für den wirtschaftlichen Erfolg von Verwertern und Aggregatoren missbraucht wird. Wir fordern die Stärkung der Freiheitsrechte für alle in der Berichterstattung tätigen Journalisten. Insbesondere gegenüber Hausrechte ausübenden öffentlichen Institutionen und gegenüber hoheitsrechtlich tätigen Personen und Organen sowie Vereinen und Verbänden oder anderen privaten Organen der gesellschaftlichen Organisationen. Wir fordern den uneingeschränkten Quellenschutz. Qualitätsjournalismus muss auch unter den Vorzeichen des Medienwandels aufrecht erhalten werden können. Seine zentrale Bedeutung für unsere demokratische Ordnung bedarf der uneingeschränkten öffentlichen und politischen Förderung.“
Nochmal: Den Verwertern und Aggregatoren sei der wirtschaftliche Erfolg doch gegönnt. Ohne ein gewisses Kaufmannsdenken kommen auch Journalisten nicht so gut an ihr Publikum heran. Wir brauchen sogar Investoren, die an den Journalismus glauben und Risikokapital bereitstellen für zeitgemäße, vielleicht auch experimentelle Formen des seriösen Journalismus. Wir brauchen Investoren, die bereit sind, neue, nachhaltige Geschäftsmodelle im Sinne des Social Business auszuprobieren – selbstverständlich in der Hoffnung, eines Tages damit wirtschaftlichen Erfolg zu haben.
Leider liest sich der Angriff auf die Verwerter im Kontext mit den Freiheitsrechten und der öffentlichen Aufgabe fast wie ein Plädoyer für einen subventionierten Journalismus. Eine „uneingeschränkte öffentliche und politische Förderung“ wäre mir unheimlich. Mit Staatsferne ist diese Forderung nicht kompatibel. Soll die vierte Gewalt von der ersten oder zweiten abhängig sein?
Ach ja: Warum brauchen „in der Berichterstattung tätige Journalisten“ besondere Freiheitsrechte? Dürfen anderen Bürgern die Freiheitsrechte denn beschnitten werden? Quellen(sic!)schutz schützt nicht uns Journalisten. Er schützt die Bürger, die sich uns anvertrauen.
„2. DIE MEDIENUNTERNEHMER MÜSSEN IHRER VERANTWORTUNG FÜR DIE PRESSEFREIHEIT GERECHT WERDEN
Die Medienunternehmer sind als Organisatoren und Finanziers journalistischer Produkte an der Verwirklichung der Pressefreiheit maßgeblich beteiligt. Sie stehen in der Pflicht, für die entsprechenden Rahmenbedingungen eines ethischen und qualitätsvollen Journalismus zu sorgen.“
Na klar, daran kann man mal erinnern. Aber dann braucht man ihnen nicht vorzuwerfen, dass sie wirtschaftlichen Erfolg wollen.
„3. DAS URHEBERRECHT DIENT DEM SCHUTZ DER KREATIVEN, NICHT DER VERWERTER
Die Erosion des geistigen Eigentums und der „Rechteklau“ müssen endlich ein Ende haben. Die Politik hat dafür Sorge zu tragen, dass eine wirtschaftliche Übermacht der Verwerterseite nicht länger die Ausübung der Urheberrechte erschwert oder unmöglich macht.
Jede Nutzung setzt eine angemessene Vergütung voraus. Dieser Grundsatz des Urheberrechts darf nicht durch einen völligen Ausverkauf der Rechte zur leeren Worthülse verkommen. Erweisen sich Instrumente, wie z.B. die Gemeinsamen Vergütungsregeln, in der Praxis als kaum durchsetzbar, müssen sie durch den Gesetzgeber nachgebessert werden.“
Wäre eine gefüllte, unverkommene Worthülse besser, ein unvollständiger Ausverkauf der Rechte netter? Sorry, der Kalauer musste sein. Aber zur Sache: Mich stört der Konditionalis ungemein: Die Gemeinsamen Vergütungsregeln waren von Anfang an eine Farce. Sie haben sich längst als völlig untaugliches Instrument erwiesen, und zwar ohne Wenn und Aber. Da hilft auch kein Nachbessern, da hilft nur ein klares Gesetz ohne Hintertüren, mit Androhung von empfindlichen Strafen für die dann persönlich (!) haftbaren Verlagsgeschäftsführer.
Im Übrigen sollte ein DJV-Verbandstag die Größe haben, die große Mitschuld der Urheber an der Misere auszusprechen: Ohne Kollegen, die nie das Rückgrat hatten, unzumutbaren Konditionen zu widersprechen und für faire Honorare zu kämpfen, wäre es nie soweit gekommen. Im DJV-Organ „Journalist“ hat das neulich übrigens erfreulich klar gestanden. Da braucht also niemand mehr so unverbindlich herumzudrucksen. Opferlamm und Journalist zugleich zu sein, das passt nicht.
„4. DIE AUSÜBUNG DER PRESSEFREIHEIT DARF NICHT VON RENDITEVORGABEN ABHÄNGIG SEIN
Der Grundkonsens eines ethischen und qualitätsvollen Journalismus als existentielle Grundlage unserer Demokratie darf nicht Renditevorgaben geopfert werden.“
Hatten wir das nicht schon weiter oben? Im Übrigen ist es auch in dieser Formulierung Blödsinn. Als Freiberufler kann ich meine Pressefreiheit wunderbar ausleben, ohne dass mir irgendwer Renditevorgaben machte. Das Problem ist, dass unsereins gerne mittels Ausübung der Pressefreiheit seine Familie ernähren möchte, aber mit investigativen Recherchen nicht auf seine Kosten kommt. Es geht also nicht um Pressefreiheit, sondern um eine auskömmliche Vergütung jener Arbeiten, auf die sich unser aller Selbstverständnis stützt (auf besser bezahlte Firmenaufträge ist man als Journalist ja nicht stolz).
Eine Journalistengewerkschaft kann, darf, muss und sollte das so klar sagen. Weniger Pathos, mehr Tacheles.
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