Sie rätseln, was in den Köpfen Ihrer Kinder vorgeht? Fragen Sie Professor Kawashima!
Hand aufs Herz, liebe Eltern, was haben Sie diesmal den Kindern zu Weihnachten geschenkt? Es stand doch sicher wieder etwas von Nintendo auf dem Wunschzettel, und Sie waren hin- und hergerissen: Eigentlich sollte man diese Spielsucht nicht noch fördern, aber wenn man als Erwachsener mal für ein paar Stunden seine Ruhe haben will, gibt es keine bessere Ablenkung für die Bengels als eine gute Konsole mit spannender Software. Sicher haben Sie dann den Kompromiss gesucht: Elektronikspiel ja, aber pädagogisch wertvoll. So etwas wie „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“ etwa? Mädchen kann man damit vielleicht noch eine Freude machen. Aber Jungs?
Was aber Ryuta Kawashima, im Hauptberuf Forscher an der Universität Tohoku, sich jetzt hat einfallen lassen, könnte im Verhältnis zwischen den Generationen noch für ganz andere Irritationen sorgen. Gemeinsam mit Ingenieuren des Elektrokonzerns Hitachi entwickelte der Hirnexperte ein Sensor-Headset, das man Probanden vor die Stirn hängen kann, wenn man wissen will, was dahinter vorgeht. Die Signale, die das Gerät auffängt, sollen angeblich so klar sein, dass er die Hirnaktivität seiner Forschungsobjekte jetzt in ganz normalen Alltagssituationen studieren kann. Das erleichtert einiges, etwa in der Konsumforschung. Mit bisherigen Methoden konnte zum Beispiel ein Hersteller geschmacksverstärkter Tütensuppen kaum feststellen, wie appetitan regend die geschönte neue Verpackung auf die Versuchsperson wirkt: Mit dem Kopf in der Röhre eines Magnetresonanz-Scanners ist es schon schwer genug, auch nur die Beschriftung des Beutels zu entziffern. Nun schickt man die Testkonsumenten einfach mit dem Headset in den Supermarkt, und wenn dann am richtigen Regal ein vermeintlich ansprechendes Suppenbild die Tüte ziert, werden die Neuronen im präfrontalen Cortex, sprich: die grauen Zellen hinter der Stirn, schon eine messbare Aktivität zeigen. Oder eben nicht.
Kawashimas Leidenschaft gilt aber nun mal nicht dem schnöden Kommerz, sondern der Bildung unserer Jugend. Deshalb schwebt ihm vor, die mobile Hirnforschung in die Schulen zu bringen. „Die Hirnaktivität zu studieren, während sich Menschen konzentrieren oder eine Idee haben, könnte Lehrern in Ausbildung mehr Feedback von Schülern geben und ihnen helfen, ihre Lehrfähigkeiten zu verbessern“, zitiert die Presseagentur AFP den Wissenschaftler. Wenn ich die französischen Kollegen richtig verstehe, die uns den japanischen Text ins Deutsche übersetzt haben, will Kawashima angehenden Paukern einen besseren Überblick darüber geben, welcher Pennäler pennt, während sie ihren einschläfernden Frontalunterricht abspulen.
Ob tatsächlich die Denkdaten einer ganzen Klasse in Echtzeit auf das Display des Studienreferendars gebeamt werden sollen oder ob der Direktor die Resultate aufs Smartphone kriegt, ist noch nicht ganz klar. Ich weiß auch nicht, wie diszipliniert japanische Gymnasiasten sind. Wie das Szenario mit deutschen Schülern ohne und mit Migrationshintergrund aussehen würde, kann ich mir allerdings lebhaft vorstellen. Da das Gerät eigentlich nur die durchs Denken angeregte Durchblutung misst, sollte es für die jungen Damen und Herren auf den hinteren Bänken kein Problem sein, das Ergebnis in jeder gewünschten Richtung zu manipulieren. So mancher fähige, aber ein wenig anstrengende Referendar könnte sich in diesem Fall die Verbeamtung wohl von der Backe streichen.
Sein langweiliger Kollege, der die Nintendos unter den Bänken nicht bemerkt, hätte den Job dagegen sicher.
ULF J. FROITZHEIM, Gymnasiastenvater in Bayern, bemerkt bei seinen Kindern auch ohne Hirn scanner, wenn deren präfrontaler Cortex inaktiv ist.
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