Wozu Urheberrecht? (5) – Gibt es Geistiges Eigentum?

Wissen Sie, was ich nicht mehr lesen kann ohne horizontal abstehende Nackenhaare?

Diese murmeltierhaft wiederkehrende Floskel, geistiges Eigentum könne es schon deshalb nicht geben, weil jede sprachliche Kommunikation auf einer vorhergehenden aufbaue und wir eigentlich alle nur bestehendes Gedankengut rekombinierten.

Demnach wären wir alle kleine axolotlige Guttenbergs. 

Ich möchte jetzt niemanden mit informations- oder kommunikationstheoretischen Erörterungen langweilen. Lieber möchte ich auf einen logischen Widerspruch hinweisen: Die gleichen Leute, die die Existenz geistigen Eigentums ungeachtet des geschriebenen Rechts negieren, begründen ihre Freiheitsphilosophie gerne damit, dass man das Recht zum Rückgriff auf fremde Werke benötige, damit überhaupt noch neue Werke entstehen können. Das Urheberrecht schränke die Kreativität, die Freiheit der Kunst oder gar – ganz großes Kino – die Meinungsfreiheit ein.

Wenn tatsächlich alles nur Verbal- oder Notenrecycling wäre, könnte man sich aber mit dem bestehenden Repertoire begnügen. Alle neuen Werke wären hingegen Hegemannereien oder Guttenbergerien. (Hätte ich wie geplant „Hegemanniaden“ oder „Guttenbergismen“ geschrieben – Wörter, die ich nie irgendwo bewusst gelesen habe – könnte man mich übrigens der Abschreiberei bezichtigen, denn Google weiß: Beides gibt’s schon.)

Somit würde niemand Zugriff auf die laufende Produktion von Wort-, Bild- oder Musikautoren benötigen. Schließlich hätten diese keinen Wert. Man könnte einen Bogen um neue Werke machen und müsste sich an Schutzbegehren nicht stören. Da das Urheberrecht sich in Hinsicht auf Plagiate und Kunstfreiheit ja überhaupt nicht geändert hat, könnte man statt dessen einen Schnitt machen und freien Zugriff nur auf altes Zeug fordern, das beispielsweise vor 1965 entstanden ist. Müsste ja dann reichen.

Absurd? Ja. Wie man schon begreift, wenn man nur an die seither entstandenen Genres der Popmusik denkt.

Was das Urheberrecht schützt, ist das Werk. Nicht den Akkord, sondern die Partitur. Nicht die Wörter, nicht die bloße Nachricht, sondern den Text, in dem jemand in seinem eigenen Sprachstil und mit eigenen Prioritäten Dinge festhält, die jemand anders völlig anders erzählen würde. Nicht das Was ist daher im Urheberrecht schutzfähig, sondern das Wie. (Im Patentrecht wird oft das Was geschützt.)

Dieses Wie muss sich auch noch durch eine „schöpferische Gestaltungshöhe“ vom Allerweltsgeblubber abheben: Wer am Ballermann-Strand mit Belichtungsautomatik den Sonnenuntergang knipst, wird sich schwertun, ein schutzwürdiges fotografisches Werk zu fertigen, denn niemand wird es von Tausender ähnlicher Fotos unterscheiden können. Und ja: Auch in der Popmusik und im Journalismus gibt es viel zu viele Ballermann-Sonnenuntergänge. Aber es gibt eben auch immer wieder Neues und Besonderes, das noch nicht da war und dessen Urheber Respekt verdient, sofern man das Leistungsprinzip nicht aus ideologischen Gründen verabscheut.

Das grundsätzliche Missverständnis bezüglich des Geistigen Eigentums besteht darin, dass dem „Eigentümer“ unterstellt wird, er wolle die Nutzung desselben verbieten oder verhindern. Das Gegenteil ist richtig: Die Nutzung ist der einzige Zweck jeder Schöpfung des Urhebers (wie auch des Erfinders). Das Rechtskonstrukt des Geistigen Eigentums ist lediglich das Vehikel, das dem Urheber die Möglichkeit verschafft, seine Ideen zu monetarisieren und sich seine Kunden auszusuchen – für jeden anderen Unternehmer eine Selbstverständlichkeit.

Dieser Schutz fördert sogar, ähnlich wie der Patentschutz, den Wettbewerb und die Kreativität. Wer nicht einfach die Abkürzung nehmen und die Früchte der Arbeit anderer für sich nutzen kann, hat die Wahl, sich mit dem „Eigentümer“ zu einigen (was er tun wird, wenn dies für ihn wirtschaftlicher ist) oder eben sich selbst etwas einfallen zu lassen, das vielleicht besser oder effizienter ist.

Es gibt eigentlich nur zwei – unterschiedlich relevante – Bereiche, in denen es häufiger Reibereien gibt: Sampling von Musik und wissenschaftliche Publikationen. Bei beiden geht es richtig um Geld, nämlich um das der Musikindustrie, die gerne musikalische Trittbrettfahrer produziert, weil ein Song mit populären Zitaten schon halb verkauft ist (Beispiel: Jennifer Lopez‘ Erfolg mit dem Lambada-Verschnitt „On the floor“), und um das, das internationale Fachverlage wissenschaftlichen Instituten aus der Tasche ziehen. Open Access ist gewiss ein interessanter Ansatz und mir deutlich sympathischer als das Geschäftsmodell der Elseviers dieser Welt. In der Musik dürfte sich auch ein Weg finden lassen, wie Musiker unter Verwendung von Zitaten aus fremden Songs Neues schaffen könnten. Das auszuraufen – sei es im Rahmen des Urhebervertragsrechts oder via Gema – würde ich freilich lieber den Komponisten und DJays überlassen. Ich will da nicht dilettieren.

Worauf es mir ankommt:

Lösbare Probleme in Nischen können kein Grund sein, die Rechte von Kulturschaffenden zu beschneiden, die allesamt nicht auf Rosen gebettet sind: Schriftstellern, Journalisten, Übersetzern, Grafikern, Fotografen, Drehbuchautoren oder auch kleinen Bühnenverlegern.

Demnächst in dieser Serie:

Warum der Schutz des so verhassten Geistigen Eigentums nicht nur volkswirtschaftlich wichtig ist, sondern auch für das Funktionieren der Demokratie.

  Fortsetzung folgt

Sie sind der oder die 5786. Leser/in dieses Beitrags.

5 Antworten auf „Wozu Urheberrecht? (5) – Gibt es Geistiges Eigentum?“

  1. Gerade bei Dietrich Brüggemann gefunden:

    „Die Argumentation, daß man bei jeglichem Schaffen ja ohnehin in erheblichem Maß auf vorbestehendes Material zurückgreifen würde und deswegen das Urheberrecht Blödsinn ist, die ist allerdings, das muß auch mal gesagt werden, tolldreister Quatsch. Genausogut könnte ich einen Architekten nicht bezahlen, weil sein Haus aussieht wie ein Haus. Ein Einfall ist immer ein irrationales, irgendwie gnädiges Ereignis, deswegen heißt er ja Einfall, aber vor und nach dem Einfall liegt ein Ding namens Arbeit.“

  2. Passend ist die Erwaehnung von Guttenberg in diesem Zusammenhang. Dieses Adelsgeschlecht hat ja bekanntlich (wie die Grimaldis) seinen enormen Wohlstand dem Raubrittertum der Vorfahren (Wegezoll genannt) zu verdanken. Irgendwie also auch „Piraten“, wenn auch ohne Schiffe 😉

    Uebrigens fallen selbst Handyfotos von Sonnenuntergaengen meines Wissens urheberrechtlich unter die zu schuetzende „kleine Muenze“.

    P.S.: Ich schreibe dies gerade aus einem Land, wo es noch nicht mal Panoramafreiheit gibt (und Umlaute auch nicht).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert