Im Blogpost Nr. 5 hatte ich angekündigt, die Bedeutung des Urheberrechts für die Demokratie zu beleuchten.
Ja, mir ist schon klar, dass der typische Piratist gerade nach dem ersten Absatz kehrt gemacht hat. Die Reizworte „Urheberrecht“ und „Demokratie“ in einem Atemzug, und dann auch noch von einem Journalisten? Das geht gar nicht, das kann nur heuchlerische Propaganda und Selbstbeweihräucherung sein. Schließlich weiß ja jedes Kind, dass das Urheberrecht zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit erfunden wurde und freies Teilen die conditio sine qua non jeder echten Basisdemokratie ist…
Die PiPa-Wähler, die immer noch lesen und sich zu Unrecht angegriffen fühlen, mögen mir verzeihen: Wer monatelang in vielen einschlägigen Foren und Kommentarspalten mitgelesen und gepostet hat, wer für nicht netzpolitisch korrekte Meinungsäußerungen auf hinterhältig-feige Art gemobbt wurde, der macht sich keine Illusionen mehr darüber, dass uns nur eine bescheidene Minderheit der Nerzkrammschrammschlömeristen NICHT so sieht:
Journalisten – speziell dienigen, die auf ihre Urheberrechte pochen, die meisten anderen aber auch – sind per definitionem als Büttel der Medienkonzerne zu betrachten. Sie lassen sich für deren Kampagnen einspannen. Sie manipulieren ihre Leser oder Zuschauer im Sinne der etablierten Parteien, sind voreingenommen und nicht vertrauenswürdig. Wer die Wahrheit sucht, findet sie nur im Netz, direkt bei den Bürgern, nie bei den Journalisten. Direkte Demokratie braucht keine Medien, die den Bürgern das Denken abnehmen. Der Gatekeeper ist tot.
Damit sind wir genau beim Thema, das in letzter Zeit recht geschickt von Leuten okkupiert wird, die so tun, als hätten sie es erfunden: Wie funktioniert gesellschaftliche Teilhabe in der vernetzten Welt, wie finden relevante Informationen ihren Weg von der Quelle zum Bürger?
Das GIGO-Prinzip in der Demokratie
Eine befriedigende Antwort darauf findet man nicht im Pflichtenheft für eine Demokratiesoftware, die als regelbasiertes System aus schlichten Wenn-Dann-Algorithmen bestenfalls das Betriebssystem für eine konstitutionelle Technokratie liefern kann. Nach dem alten, IT-Profis geläufigen GIGO-Prinzip (garbage in, garbage out) ist die Qualität des Outputs stets primär vom Input abhängig, eben nicht allein von einer geschmeidigen, fehlerfreien und agilen Datenverarbeitung. Ein trendiges Label wie „liquid“ ändert nichts daran, dass die Software nur eine organisatorische Erleichterung sein kann, die das Mitdenken nicht erspart.
Dass Letzteres durch eine Software, die enorme Input- und Feedbackmengen herrschaftsfrei durchzuschleusen und zu sortieren imstande ist, immer anstrengender wird, muss man niemandem erzählen, der Twitter, Facebook und Google+ nutzt. Weil das Einspeisen so einfach ist, kommen ständig frische Informationen herein. Der Computer fordert unverzügliche Befassung, denn sonst schiebt sich schon die nächste – scheinbar gleich dringende, gleich wertvolle – Information ins Sichtfenster. Ist man einen Tag offline, fühlt man sich abgeschnitten vom Datenfluss. Bändigen kann man den Strom nur, indem man bestimmte Themen systematisch ignoriert oder gnadenlos nach dem Namen des Verfassers selektiert. Leider muss man meist wissen, welchen Unsinn die Dummköpfe gerade wieder verzapfen. Filtert man also besser die Guten weg, weil sie keinen Schaden anrichten?
Wenn man als Journalist alter Schule schadenfroh sein will, kann man sagen, dass die Leser nun endlich per eigener Anschauung lernen, dass Gatekeeping – der alte Redakteursjob des Schleusenwärters am Informationskanal – keine triviale Tätigkeit ist, die man nebenbei mit links erledigt. Es ist eine Dienstleistung, die im Preis der „künstlerischen“ oder schöpferischen Leistung, also dem Verfassen eines Artikels, enthalten ist. Kaufmännisch gesprochen: Das Auswählen stellt einen Mehrwert dar, doch der wird nicht gewürdigt, sondern allenfalls als Zensurmaßnahme gegeißelt.
Wenn Angehörige meiner Generation an dieser Stelle ins Besserwisserische abdriften, hat das einen simplen Grund: Wer dabei war, weiß es besser als die Oberlehrer und Besserwisser, die hineingeboren wurden in eine informationstechnische Infrastruktur, deren Schöpfer heute zwischen 45 bis 75 Jahre alt sind. Wer miterlebt hat, wie mühsam diese Menschen das erarbeitet haben, was heute so mühelos zu benutzen ist, kann nur über jene staunen, die sich weiß Gott was darauf einbilden, die Eingeborenen von Digitalien zu sein.
Hofberichterstatter und Gefälligkeitsjournalisten
In grauer Vorzeit – also ab den späten Siebzigern – gab es bereits tolle Ideen, wie die Medienzukunft aussehen könnte, wenn der Computer zur Massenware wird. Es fehlte nur die Technik dazu, die Brainware war vor der Hardware, Software und Netware da.
Deshalb ist es amüsant, wenn die Was-mit-Medien-Generation den vermeintlich ahnungslosen Alten im Brustton des in der Wikipedia angelesenen Halbwissens erklärt, wie das war mit McLuhan und Luhmann und Habermas und Glotz und Enzensberger und Postman. Wir sind damals mit Medientheorie sozialisiert worden bis zum Überdruss – und können uns daher umso besser über die oft ernüchternd anspruchsarme Medienpraxis des 21. Jahrhunderts wundern.
1981 waren nämlich wir die jungen, naiven Idealisten. „Neue Medien“ war ein abstrakter Begriff, das Etikett klebte auf Teletext, Videotex, Kabel- und Satellitenfernsehen; wir hatten noch analoge Dachantennen, Schreibmaschinen, Plattenspieler und Kassettenrekorder. Aber wir träumten von einem neuen Journalismus. Wir verachteten die Hofberichterstatter und Gefälligkeitsjournalisten, wollten aber auch nicht so werden wie die zynischen alten Haudegen.
Zum Glück gab es damals einige sehr engagierte Kommunikationswissenschaftler, deren größtes Anliegen die Professionalisierung des Journalismus war. Nach deren Überzeugung hatten die Rezipienten Besseres verdient, als von halbgebildeten Seiteneinsteigern informiert zu werden, die den Redakteursjob per Learning-by-doing gelernt hatten. Das Ziel hieß, Recherchefachleute heranzuziehen, die mündige Leser und Zuschauer mit fundierten Informationen versorgen, und „Rückkanäle“ anzulegen. Technische Neuheiten wie Bildschirmtext und Kabelfernsehen sollten eines Tages die Möglichkeit eröffnen, dass der Empfänger zum Sender wird. Auf einen „Gefällt mir“-Button wären wir im Traum nicht gekommen. Was das Engagement für politische Mitsprache angeht, waren wir die Ur-Piraten (nur ohne alberne pseudowiderständlerische Freibeuter-Folklore). Die rebellischsten unserer Generation gründeten die Genossenschaftszeitung taz.
Helmut Kohls neues Einbahn-TV
Unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gab es ehrgeizige Feldversuche und Pilotprojekte – und dann baute die Bundespost unter Kanzler Kohl und Minister Schwarz-Schilling doch nur Verteilnetze für die neuen Privatsender. Ohne Rückkanal. Und das genau in der Phase, als der PC in die Welt kam. Der blieb mangels bezahlbarer „DFÜ“ (Datenfernübertragung) für Privatkunden lange ein Offline-Gerät.
Die „Offenen Kanäle“ im TV jener Zeit waren nichts als Programmfenster im analogen Kabelangebot, in denen ein paar Bürger vor der Kamera herumstümpern durften. Niemand zeigte ihnen, wie man mit den „Neuen Medien“ umging; kein Mensch wollte ihre Elaborate sehen. Die Amateure hatten freilich auch noch keine Chance, die mediale Einbahnstraße zu verlassen, die für die großen Sender gebaut worden war. Dies war eine komfortable Situation für die Politiker der etablierten Parteien, die kein Interesse hatten, dass neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten und einigen kommerziellen Sendern eine dritte, unabhängige publizistische Kraft heranwächst.
Was blieb von der Aufbruchsstimmung? „Neue Medien“ wie RTLplus und SAT1, mehr Fernsehen, weniger Tageszeitungen – und die Überzeugung, dass es zwar für laienhafte Angebote wie Bürgerfernsehen oder Bürgerradio kein nennenswertes Publikum gebe, dafür aber Nachfrage nach medialen Inhalten, die von hauptberuflichen, kritischen, selbstbewussten Journalisten gut aufbereitet werden.
90er-Jahre: Medienprofis gesucht
Bald wurden die Medien zum Wachstumsmarkt. Gerade die oft peinlichen Sendungen der Offenen Kanäle trugen viel zu dem Konsens bei, dass nur gut ausgebildete Profis die wachsenden Anforderungen an Recherche und Vermittlung erfüllen können.
Neue Berufsbilder entstanden, und wer in die Medien wollte, wäre nicht im Traum darauf gekommen, das in seiner Freizeit nebenher zu machen. Nein, er sah zu, dass er einen der immer zahlreicheren Ausbildungsplätze bekam und sein Talent zu Geld machte.
In den Neunzigern waren Medienberufe Traumberufe. Wer nicht gerade als freier Mitarbeiter für die Lokalzeitung schrieb, konnte auch gut verdienen.
Im aufstrebenden Online-Bereich zeichnete sich freilich schon damals eine seltsame Schieflage ab: Technisches und gestalterisches Talent stand auf dem Arbeitsmarkt höher im Kurs als journalistisches. Die neue Parole hieß zwar eines Tages „content is king“, aber in Wirklichkeit zählte vor allem der schöne Schein.
Journalistischer Murks auf dem Präsentierteller
Niemand kann ernsthaft leugnen, dass in den Boomzeiten nicht nur qualifiziertes Personal in die Medien kam. Schuld daran sind freilich die Arbeitgeber, die zeitweise jeden Bewerber nahmen, der ihnen half, die Seiten und Sendeplätze zwischen der Werbung zu füllen.
Als das Web immer populärer wurde, wollten die Medienunternehmen dabei sein, aber – von Hubert Burda, der schon früh viel Geld versenkte, einmal abgesehen – vorsichtshalber nicht viel investieren, schon gar nicht in einen anspruchsvollen Journalismus. So kam, was kommen musste: Es wurde leicht für die Rezipienten, journalistischen Murks als solchen zu erkennen. Nicht wenige Verleger ruinierten damals ihren Ruf, weil sie das Thema „Online-Zeitung“ nicht zu Chefsache machten.
Ohne Papierpresse keine Digital Natives
Für gut ausgebildete Journalisten mit einem gewissen Marktwert gab es damals – vor der Einführung von DSL – attraktivere Karriereoptionen, als sich einen Job in der noch kleinen, stiefväterlich behandelten Nische Online anzutun, selbst wenn man sich mit Computern auskannte. Viel besser war man dran, wenn man den Lesern erklärte, wie das Internet funktioniert, was man da findet, wo man es findet. Das lasen die Leute damals begeistert in vor Inseraten strotzenden Printmedien. Übrigens auch viele, die sich heute das Etikett des digitalen Eingeborenen anstecken. Was in der c’t oder der Chip stand, gab es nicht online.
Ja, es waren Journalisten, die die breite Bevölkerung überhaupt erst ans Netz herangeführt haben, wir dinosauren Holzmedien-Journalisten. Bereitwillig haben meine Kollegen und ich den Lesern gezeigt, wo sie aufpassen sollten und wo sie Schätze finden. Je besser Google wurde, desto weniger brauchte man uns dafür, und das war ja okay.
Auch das Web ist geduldig
Das Problem ist nur, dass wir – also der Berufsstand der Journalisten – es nicht geschafft haben, dem Publikum zu vermitteln, was den Kern unserer Arbeit ausmacht. Dass der nicht darin besteht, etwas Interessantes, Spannendes oder Überraschendes zu googlen. Sondern darin, Anzeichen dafür zu erkennen, dass etwas nicht stimmt. Denn nicht nur Papier ist geduldig, auch HTML-Seiten leisten keinen Widerstand, wenn sie mit Irrtümern, PR-Plüsch und Lügen gefüllt werden. Der Anspruch an Journalisten ist, darauf nicht hereinzufallen.
Nun gibt es — ob immer noch oder wieder vermehrt, sei dahingestellt – durchaus Journalisten, die zu gutgläubig, naiv, inkompetent, denkfaul oder vorurteilsbeladen sind, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ebenso gibt es manche Blogger, von deren fachlicher Kompetenz jeder Journalist ehrfürchtig den Hut ziehen sollte. Richtig ist aber auch, dass es jede Menge Informationsanbieter im Internet gibt, die manipulativ arbeiten, die hervorragende Selbstdarsteller und dabei hochgradig unseriös sind. Clevere Meister des trügerischen Scheins.
Es gibt einen sehr prophetischen Cartoon dazu, der ist ein moderner Klassiker. Ein Hund sagt zum anderen:
„On the Internet nobody knows you’re a dog.“
Er stammt von 1993, ich kenne ihn vielleicht erst seit 1994 (da ich kein Abonnent des New Yorker bin).
Wäre es so, dass der Normalbürger auch ohne Zuarbeit von Rechercheprofis (= Journalisten) die Hunde erkennt, die ihn anschmieren und linken, würde unsereiner vielleicht wirklich nicht mehr gebraucht.
Journalismus ist nicht l’art pour l’art, sondern Handwerk…
Eine solche ideale Welt, in der der mündige Rezipient ohne professionelle Hilfe klarkommt, halten viele Piratenwähler – wie man in den Foren tagtäglich frisch nachlesen kann – für realistisch. In ihren Szenarien machen Urheber nämlich nur noch l’art pour l’art und werden dafür von der Allgemeinheit irgendwie alimentiert. Trotz aller Lippenbekenntnisse, man wolle bei der ostentativ geforderten „Reform“ des Urheberrechts den Urhebern doch gar nicht schaden, hat niemand, absolut niemand bislang ein Modell vorgelegt, das freien Autoren die Möglichkeit ließe, gründliche Recherchen zu refinanzieren und mit ihrem Beruf eine Familie zu ernähren.
…und das muss fair entlohnt werden
Die absurdeste Wahnvorstellung ist, dies über die Einführung eines „bedingungslosen“ Grundeinkommens (BGE) zu regeln. Das ist schon deshalb blanke Utopie, weil „bedingungslos“ eine dreiste Propagandalüge ist. Wenn ein BGE keine Völkerwanderungen auslösen soll, muss es weltweit eingeführt werden. Das durchzusetzen, schafft kein Politiker. Wenn es aber nicht jedem Erdenbürger zusteht, sondern nur denen, die qua Geburtsort privilegiert sind, ist es nicht bedingungslos. Die Bedingung heißt dann eben „Staatsangehörigkeit“.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich wie Sven Regener einen Shitstorm auf mich ziehe: In einer Gesellschaft, die mich so behandelt, in einer Gesellschaft, die so in den Markt eingreift, in dem ich meinen Lebensunterhalt verdiene, möchte ich weder Journalist noch Rezipient sein.
Vorsicht, professionelle Trolle!
Ich verrate Ihnen jetzt ein Berufsgeheimnis: Die Spreu, die man vom Weizen trennen muss, ist mehr geworden, nicht weniger. Die Arbeit ist nicht leichter geworden, sondern anspruchsvoller, herausfordernder. Je wichtiger das Thema, desto professioneller ist die interessengeleitete Fehlinformation und umso mehr Schlaumeier behaupten einfach mal etwas, das sie sich zusammengereimt haben. Die Trolle sind unter uns, und es sind manchmal dieselben Menschen, denen man in der analogen Welt immer schon lieber aus dem Weg ging.
Es gibt keinen Grund, ihnen zu glauben, weil sie sich als Netizens tarnen.
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