Viel zu lange hat sich die Wissenschaft mit hässlichen Dingen befasst. Die Max-Planck-Gesellschaft ändert das jetzt.
Müssten Wissenschaftler mit den Model-Qualitäten ihrer Studienobjekte um Forschungsgelder werben, möchte ich nicht in der Haut eines Meeresbiologen stecken. Die Riff- und Tiefsee-Fauna strotzt nur so von Kreaturen, die das Auge nachdrücklicher erschauern lassen als die Ausgeburten der Fantasie mittelalterlicher Domsteinmetze. Wer je dem Algenschluckspecht, dem Chinesischen Teufelsfisch oder dem Bärtigen Drachenkopf ins Angesicht geblickt hat, wird die Wasserspei-Ungeheuer an alten Kirchtürmen so liebreizend finden wie Disney-Figuren.
Auch für manch andere akademische Disziplin wäre die Einführung derartiger Casting-Shows das pure Desaster. Wer würde noch freiwillig braunen Schleim nach nützlichen Mikroorganismen durchstöbern, Methoden zum Weglasern von Tattoos auf erschlaffter Altershaut entwickeln oder gar in teilnehmender Beobachtung das Sozialverhalten erwachsener Telenovela-Zuschauer studieren? Machen wir uns nichts vor: Wissenschaftliches Arbeiten kann sehr unschöne Seiten haben.
Insofern kann man den Senat der Max-Planck-Gesellschaft kaum zu viel loben für seinen Entschluss, die schönen Dinge des Lebens endlich gebührend zu würdigen. So wäre ich nur allzu gern Mitglied in jenem „Direktorium aus vier Spitzenwissenschaftlern“, das dank einer hübschen Zuwendung des hessischen Steuerzahlers in Höhe von 45 Millionen Euro bald nach dem Schönen suchen darf, das die globale Forschercommunity in ihrem steten Streben nach dem Wahren und Guten fast aus den Augen verloren hätte. Das Professorenquartett soll nicht einfach ein Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik aufbauen, sondern zugleich „eine ganz neue Forschungsrichtung etablieren“. Empirische Ästhetik ist näm lich eine Disziplin, die es bisher nirgendwo auf der Welt gab. Empirie, das sind harte Zahlen, Daten, Fakten. Das ist die objektive Messung der Realität, die wir in der Wahrnehmung des Schönen so schmerzlich vermisst haben. Woher sollten wir denn wissen, ob Schmetterlinge hübscher sind als Motten und ob Beatles-Songs wirklich schöner klingen als Zwölftonmusik?
Dass wir Laien von derlei Dingen keinen blassen Schimmer haben, wäre noch halb so schlimm. Leider wissen nicht einmal die Leute, die uns für viel Geld Schönheit verkaufen, wovon sie reden. Weder der Solarienbauer noch der Apple-Designer kann bis dato entsprechende wissenschaftliche Gutachten vorlegen. Und wie soll ausgerechnet ein Busen- und Nasentuner wie Werner Mang, dem morgens beim Anblick seiner tiefergelegten Tränensäcke nicht das Rasiermesser aus der Hand fällt, den Schönheitskoeffizienten seiner Dienstleistungen beziffern? Bis die erste Max-Planck-Expertise dazu vorliegt, können wir zumindest die Gegen-Hypothese nicht gänzlich ausschließen, derzufolge Botox, Liposuktion und Brustvergrößerungen schlimmeres ästhetisches Elend in die Welt bringen als der Bärtige Drachenkopf. Der besucht immerhin keine Partys, sondern versteckt sich schamhaft im submarinen Dämmerlicht.
Leider steht zu befürchten, dass die Frankfurter Schönheitsforscher zu diesen brennenden Fragen gar nichts sagen. Erstens steht der Name Max Planck für Grundlagenforschung, zweitens ist bisher nur davon die Rede, dass dieses neue Institut die Schönheit von Musik, Dichtung und Bildender Kunst studieren wird, später auch von Architektur und Mode. Kein Wort von all den profanen Produkten, die uns den Alltag vermiesen. Man kann daher nur hoffen, dass auch die praxisnahe Fraunhofer-Gesellschaft rasch die neue Forschungsrichtung einschlägt. Wenn erst die Drittmittel fließen und die Ästhetik-Siegel sprießen, werden auch wir einsehen, dass die neuen Schuhe, Handys oder M.belstücke, die der Verkäufer uns aufschwatzen will…
…wirklich sehr schön sind.
ULF J. FROITZHEIM würde als Institutsleiter genug Humanreflektoren bestellen: überall Spieglein an die Wand!
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