Computer zu hacken ist out? Macht nichts. Hacken Sie Gene. Das Equipment gibt’s bei eBay.
Biologie war nie mein Fach an der Schule. Das lag eindeutig an Minna. So nannten wir Wilhelmine W., eine extradröge Oberstudienrätin, neben der uns jede Klosterschwester als heißer Feger erschienen wäre. Niemand in der Klasse hätte daran gezweifelt, dass das „Fräulein W.“, wie das lebende Fossil beliebte sich anreden zu lassen, sein Genetikwissen zu Kaiser Willems Zeit erworben hatte, wenn nicht sogar direkt aus dem Mund des alten Gregor Mendel. Der war ja gerade erst 90 Jahre tot.
Heute ist mir klar, dass es an Deutschlands höheren Lehranstalten jahrzehntelang von Minnas nur so gewimmelt haben muss. Wohin ich auch komme, bin ich mit meinem profunden Bio-Halbwissen in bester Gesellschaft – und niemand weit und breit, der meine Know-how-Schlaglöcher füllen würde. Ach, lebte ich doch in Manchester!
In der Heimatstadt der Meisterkicker und Cordhosen steht eine Uni, deren Professoren voriges Jahr eine grandiose Idee hatten, um Britanniens Minna-Problem zu lösen. Die Manchester Metropolitan University (MMU) ermunterte Volllaien meines Schlages, an Genen herumzufrickeln: Künstler und Kreative, Technikfreaks und Tüftler waren im gentechnischen Hobbykeller ebenso willkommen wie Hacker und Wissenschaftler.
Eingeladen fühlen durfte sich „im Grunde jeder, der Interesse daran hat“. Zugegeben, das Projekt hieß „Mad Lab“, irres Labor. Aber so ist er halt, der Brite: Bloß nichts allzu ernst nehmen. Sonst wird es am Ende noch ernst. Was kann denn auch schon passieren in einem Land, das dermaßen sicherheitsbewusst ist, dass seine Bürger einander auf Schritt und Tritt mit Videokameras überwachen? Wer Bio-Terror plant, findet attraktivere Standorte. Bleibt nur der Bio- Error: Sollte wirklich mal ein fieser Erreger entfleuchen, schaut per Livestream die ganze Welt zu, wenn die Insel unter Quarantäne gestellt wird. Unbemerkt kommt da kein Virus übers Meer.
Zunächst war das Projekt auf ein Jahr befristet. Da die CCTV-Überwachungskameras aber keinerlei Mutanten oder Zombies erspähten, die auf dem Unigelände ihr Wesen trieben, dürfen die verrückten Laboranten erst mal weiterwerkeln. Unterstützt vom Wellcome Trust, einer altehrwürdigen Forschungsstiftung, trommeln die MMU-Forscher putzfidel für die Do-it-yourself-Biotech-Bewegung (DIY-Bio). Erstens heißt no risk stets auch no fun. Zweitens tun Gentech-Innovationen not, wenn die Menschheit im Allgemeinen und die Monsanto-Aktionäre im Besonderen nicht verhungern sollen. Das haben inzwischen schon Dänen, Holländer und Schweizer kapiert – und die Amis sowieso. In jenen Ländern stöbern Amateurgenetiker und Biohacker auf eBay nach gebrauchten DNA- Kopierern und -Synthesizern.
Brauchen sie eine Zentrifuge, laden sie sich einen Open-Source-Bauplan auf den 3D-Drucker; als Antrieb genügt eine Heimwerker-Schleifmaschine. Ja, ich weiß schon: Nicht jeder Hack verfolgt altruistische Motive. Die Technik bietet sich auch an, will man heimlich einen privaten Vaterschaftstest machen, Seitensprünge nachweisen oder Oma einen grünlich fluoreszierenden Joghurt unterjubeln. Aber stört Sie das wirklich, solange alle Genhacker hoch und heilig schwören, dass sie sich bemühen wollen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die in sie gesetzten Sicherheitserwartungen zu erfüllen?
Bei uns sind heimliche Gen-Basteleien natürlich verboten. Typisch! Nur heißt das nicht, dass Ihr Nachbar kein schickes Secondhand-Genlabor im Keller hätte. Das Equipment führen auch deutsche eBay-Händler. Denken Sie bitte daran, falls Ihre Nachbarin Ihnen mal schöne Augen machen sollte. Ein einziges ausgefallenes Haar an einem Ort, an dem Sie nichts zu suchen haben, schon landen Sie als Opfer im Polizeibericht der „Bild“: „Irrsinn Gentechnik: Eifersüchtiger Hobbyforscher erschlägt Nebenbuhler!“
ULF J. FROITZHEIM, freier Journalist, experimentiert nach wie vor lieber mit der deutschen Sprache als mit Basenpaaren.
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